Redakteurin Barbara Rüegger kennt Indien gut, hat vier Jahre dort gelebt. Drei Jahre sind seit ihrem letzten Besuch vergangen und sie bemerkt eine grosse Veränderung, die sie aufwühlt...
Das erste, was mir bei meiner Reise nach Indien im
August auffiel, waren die riesigen Indien-Flaggen. Sie waren allgegenwärtig.
Und das in einem Land, das den Alltagsgebrauch von Flaggen nicht wollte und
Flaggen in den Händen des Volkes nur am Unabhängigkeitstag, dem 15. August,
zuliess. Das Land, durch welches ich reiste, war ein anderes als das, dass ich
noch vor drei Jahren erlebt habe. Was war geschehen?
Veränderungen seit der Wahl Modis
Barbara Rüegger
Ich habe Indien schon oft besucht, das letzte Mal vor der
Pandemie, also 2019. Ich habe auch vier Jahre in Indien gelebt und kenne das
Land daher sehr gut, aber was ich diesmal sah und hörte, hat mich aufgewühlt.
Seit der Wahl Narendra Modi zum Premierminister hat der Nationalismus in
Indien stark zugenommen, was in diesem Fall heisst: Indien den Hindus. Eine Auswirkung
des zunehmenden Nationalismus waren auch die vielen Flaggen, die überall wehten
und die Strassenhändler, die vor dem Unabhängigkeitstag am 15. August am Strassenrand
Flaggen in allen Grössen verkauften. Dies war ja an und für sich nichts Neues,
schon immer konnte man vor dem 15. August Flaggen kaufen, aber diese waren
immer sehr klein, aus Plastik und gingen nach dem Feiertag schnell mal kaputt.
Diese nationalistische Bewegung für ein Land, das nicht mehr
Indien, sondern Hindustan heissen soll, nennt sich Hindutva und führt zu einer
systematischen Diskriminierung aller Nichthindus, vor allem der Christen und
der Muslime, welche zwar eine Minderheit in Indien sind, aber Indien trotzdem
zum Land mit der drittgrössten Zahl von Muslimen in der Welt macht.
Hindustan: Ein Land, nur für Hindus
Ein befreundeter Muslim, Arif, erklärte mir, wie er die
Situation erlebt und was genau abläuft. Arif hat zusammen mit Hindus studiert
und war mit einigen befreundet. Von ihm hörte ich, was der Wunsch vieler Hindus
ist. Sie sehen, dass es einige Staaten gibt, die fast ausschliesslich
muslimisch sind, Saudi-Arabien zum Beispiel. Das möchten sie nun auch für sich haben und dafür wird mit den verschiedensten Mitteln gearbeitet. Wenn Arif sie darauf
hinweist, dass ein Staat wie Saudi-Arabien nicht unbedingt erstrebenswert ist,
wird ihm gesagt, dass er als Muslim ja auswandern könnte, sie aber nur Indien,
oder eben Hindustan, als Land hätten.
Arif erzählte mir auch, dass ein Dialog
nicht mehr möglich sei und er darum viele Freunde verloren hätte. Er sagte mir: «Weisst du, ich bin ja gar kein praktizierender Muslim, aber wegen meines
Namens weiss jeder, zu welcher Volksgruppe ich gehöre.» Es ist erschreckend, dass die absolute Mehrheit im Land, die Hindus, sich verhalten, als ob sie die
diskriminierte Minderheit im Staate wären und ihnen laufend Unrecht geschähe.
Taj Mahal (Bild: Barbara Rüegger)
Sogenannte Historiker schreiben nun die Geschichte Indiens
neu. Eine der Theorien ist, dass das Taj Mahal unmöglich von einem muslimischen
Herrscher für seine Lieblingsfrau gebaut worden sei, da ein Muslim gar nicht
fähig sei, seine Frau so zu lieben. Es wird nun behauptet, dass das Taj Mahal
ursprünglich ein Hindutempel gewesen sei. Da das Taj Mahal im Mogul Stil der
muslimischen Herrscher gebaut ist, heisst das auch, dass alle anderen Gebäude,
welche im selben Stil gebaut wurden, und davon gibt es einige, nun auch eine
Geschichtsneuschreibung brauchen. Auch wenn kein ernsthafter Historiker diese
Theorie akzeptiert, wird sie doch im Volk verbreitet.
Neue Verfassung geschrieben
Während meiner Ferien in Indien erhielt ich von Freunden
einen Zeitungsartikel, in dem beschrieben wird, wie bedeutende Hindu-Seher
(Weissager) zusammen mit Gelehrten eine neue hinduistische Verfassung für
diesen neuen hinduistischen Staat schreiben. In der Zeitung stand, dass ein
Entwurf geschrieben sei, der zwar Christen und Muslimen noch erlauben würde, im
Land zu leben, sie jedoch nicht mehr zu Wahlen zugelassen würden. Delhi als
Hauptstadt würde abgelöst durch Varanasi, die Heilige Stadt am Ganges.
Im Zug der Hinduisierung Indiens werden auch Gandhi und
Nehru, die zu den Gründervätern des modernen Indiens gehören, schlecht gemacht,
da sie zugelassen hatten, dass Indien geteilt wurde in die muslimischen Länder
Pakistan und Bangladesch und das vorwiegend hinduistische Indien. Dass aber
mit dieser Teilung wohl ein noch grösseres Blutvergiessen verhindert werden
konnte, wird nirgends erwähnt. Die Verfassung, die im Jahr 1949 für den neuen
Staat verabschiedet wurde, schrieb allen Bewohnern Glaubens- und Religionsfreiheit
zu, politische Gleichberechtigung und Chancengleichheit. Diese Freiheiten
werden den nicht hinduistischen Indern mehr und mehr genommen und auch die
Medien werden gleichgeschaltet und dürfen nur noch sagen, was der Regierung
genehm ist.
Gebet nötig
Schon vor dieser Reise nach Indien habe ich immer wieder von
meinen Freunden gehört, dass ihre Freiheiten mehr und mehr eingeschränkt werden
und dass es immer schwieriger wird, in Indien als Christ zu leben oder
Missionar zu sein. Was aber alles geschieht, war mir wohl auch nicht so
bewusst, da viele Informationen es nie bis in die Schweiz schaffen. Für die
meisten Schweizer ist Indien weit weg, obwohl ein Direktflug nach Indien kürzer
ist als einer in die USA. Aber wir müssen uns bewusstwerden, dass dem nicht so
ist und dass Indien und die indischen Christen, aber auch die Muslime unser
Gebet brauchen.
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