Dr. Wolfgang Schäuble (Bild: Wikimedia / Michael von der Lohe / CC BY 2.5)
Der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble (80) hält einen noch
nie dagewesenen Rekord inne: Seit 50 Jahren ist er Abgeordneter im deutschen
Bundestag. Er hatte – ausser dem Bundeskanzler – so ziemlich alle politischen
Spitzenämter inne. Und ist Christ.
Dr. Wolfgang Schäuble sitzt im
Rollstuhl, seit er 1990 von einem geistig Verwirrten aus einem halben Meter
Entfernung in den Rücken geschossen wurde. Die Ärzte kämpften drei Tage um sein
Leben, aber schon nach sechs Wochen war er wieder aktiv. Schäuble war CDU-Vorsitzender,
zweimal Innenminister, Finanzminister, Kanzlerberater, Bundestagspräsident –
die Liste seiner politischen, aber auch seiner zivilen Ämter ist beeindruckend.
Schäuble ist ein Mann von
klaren Überzeugungen, die ihm viel Lob, aber auch viel Kritik eingebracht
haben. Er trat für eine konsequente Sicherheitspolitik ein und schaffte mit schwäbischer
Sparsamkeit im Haushalt der BRD 2015 eine «schwarze Null»; er scheute sich
nicht, für eine gesunde nationale Identität und gleichzeitig für einen
aufgeklärten Dialog mit Muslimen einzutreten.
Schäubles Wertesystem ist von
seinem klaren, durchdachten protestantischen Christsein geprägt. Hier einige Fundstücke aus der
Livenet-Berichterstattung der letzten 20 Jahre:
«Christentum wichtige
Ressource für die Werteorientierung»
2009 bezeichnete Wolfgang
Schäuble als Innenminister das Christentum als «wichtige Ressource für die
Werteorientierung in Gesellschaft und Politik». In den grossen
gesellschaftlichen Herausforderungen sei der Glaube eine wichtige Quelle, aus welcher der Einzelne und die Gesellschaft Kraft schöpfen könnten. Auch in der
säkularen Welt bliebe der christliche Glauben bedeutsam.
Protestanten
müssen sich einmischen
Bereits 2004 hatte Schäuble
erklärt: «Der Protestantismus ist für die politische Kultur unverzichtbar. Er
findet nicht im stillen Kämmerlein statt.» Ohne die Kirchen, so Schäuble, wäre
das Land ärmer, die Politik perspektivloser, der gesellschaftliche Zusammenhalt
und die Vermittlung von Werten geringer.
Religiöse Menschen, die über
eine klare Grundausrichtung ihres Lebens verfügten, würden als politisch aktive
Bürger gebraucht. Angesichts zahlreicher gesellschaftlicher Herausforderungen
sei eine Politik aus christlicher Verantwortung nötig. Christlich und zutiefst
protestantisch sei es, sich aktiv in die öffentlichen Belange einzumischen. In
der Bereitschaft zum Widerspruch leiste der Protestantismus einen wichtigen
Beitrag zur politischen Kultur.
Irrweg
Antisemitismus
Christ sein heisst für
Schäuble auch, Fehler zugeben können. So müsse sich der Protestantismus auch
mit seinen historischen Irrwegen beschäftigen. Dazu zählten in der Kaiserzeit
der starke Antikatholizismus und eine aggressive Haltung gegenüber dem
Judentum. Wiederholt erklärte er, jüdisches Leben dürfe nicht an den Rand der
Gesellschaft gedrängt werden. Es sei ein Wunder, dass es wieder jüdisches Leben
in Deutschland gebe. Dies sei eine glückliche Entwicklung «bei allem Elend im vergangenen
Jahrhundert», so Schäuble. Ebenso würdigte Schäuble, dass sich Juden wieder
stärker dazu bekennten, in Deutschland zu leben.
Gegen
Individualismus und Lethargie
Gesellschaftskritische Töne
schlug Schäuble in seiner Schrift «Und der Zukunft zugewandt» an: Darin beklagte
er unter anderem die individualistische und lethargische Haltung vieler
Bundesbürger und plädierte für eine Rückbesinnung auf gemeinschaftsorientierte
Werte.
«Die
Sünde hat die Menschen fest im Griff»
Am Kongress «Christliches
Menschenbild und Soziale Marktwirtschaft» 2011 in Berlin erklärte Schäuble, seit der
Vertreibung aus dem Paradies habe «die Sünde den Menschen fest im Griff». Das
habe nicht zuletzt die globale Finanzkrise gezeigt. Schäuble plädierte deshalb
für eine Stärkung der christlichen Kultur. Nicht finanzielle Armut sei das
grösste Problem der Gesellschaft, sondern unsere «Entwurzelung».
Die
Welt aus der Sicht des anderen betrachten
Sich entsprechend des
christlichen Menschenbildes zu verhalten, bedeutet für Schäuble auch, «die Welt
zwischendurch auch aus der Sicht des Anderen zu betrachten». In Zeiten der
Globalisierung dürften Christen in Europa sich nicht selbst «verabsolutieren»,
sondern müssten ein Verständnis für die Perspektive anderer Kulturen
entwickeln. Auf dem globalen Markt sei es «eine grosse Chance», etwa die Sicht
der Muslime zu verstehen – von denen er andererseits auch erwartete, dass sie
sich, wenn in Europa wohnhaft, auch nach dem europäischen Rechtssystem verhalten.
«Sonst
ist der Teufel los!»
Oft hört man, wir seien im
Westen «einfach zu satt zu glauben». Glaubt man dann nur an Gott, wenn man
krank, arm oder hungrig ist? Schäuble: «Das wäre auch schlimm. Denn die
Begrenztheit unserer Existenz, unserer Macht und unserer Möglichkeiten, die uns
in solchen Situationen besonders deutlich wird, trifft in Wirklichkeit auf
unser Leben als Ganzes zu.»
Auch Satte und Reiche müssten sich dem aussetzen
und anerkennen: «Der Glaube an Gott sagt uns, dass es etwas und jemanden gibt,
der vor und über uns steht.» Bischof Reinelt habe dies im Gedenken an die
Dresdener Bombennacht im Zweiten Weltkrieg, auf den Punkt gebracht: «Wo immer
einer in der Welt nicht mehr weiss, dass er höchstens der Zweite ist, da ist bald
der Teufel los.»
Sich
nicht für allmächtig halten
Schäuble empfiehlt aus seiner
christlichen Grundhaltung heraus, Verantwortung zu übernehmen und sich zu
engagieren. Dies aber soll nicht dazu verführen, sich für allmächtig zu halten:
«Wir haben keine vollständige Kontrolle über unsere Welt, und wir werden diese
auch nie haben. Die wirklich grundlegenden Dinge in unserem Leben werden von
uns empfangen, unabhängig von unserem Einkommen, von unserer Bildung oder
unserer gesellschaftlichen Position.»
Für einen solchen Glauben an
Gott sei man nie zu satt. «Wer auch immer wir sind, wie auch immer erfolgreich
wir sind, wir sind Wesen mit Grenzen, und wir müssen das anerkennen – in
unserem eigenen Interesse und im Interesse der Welt als ganzer.»
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