Die Diskussion um die Sterbehilfe tritt in eine neue Phase: eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer befürwortet offenbar den erleichterten Alterssuizid. Ein Blick auf verbale und legale Hintergründe dieser Entwicklung.
Rückblick: Die Sterbehilfeorganisation Exit hatte im Mai ihre Statuten geändert – «auf Wunsch ihrer Mitglieder», wie Vorstandsmitglied Marion Schafroth betont. Sie enthält jetzt den Satz «Exit engagiert sich für den Altersfreitod und setzt sich dafür ein, dass betagte Menschen einen erleichterten Zugang zu Sterbemitteln haben sollen.» Suizidhilfe solle eine «freiwillige ärztliche Aufgabe» sein können.
Eine Umfrage von «reformiert.» im August brachte dann Erstaunliches zutage: offenbar begrüsst eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung die Möglichkeit eines erleichterten Alterssuizides – 68 Prozent der Befragten finden diese Möglichkeit «gut» oder «sehr gut». Das Hauptargument ist die «Selbstbestimmung» – Menschen möchten auch im Sterben Eigenverantwortung wahrnehmen (weitere Angaben zur Umfrage hier im Bericht von idea Schweiz).
Der Kampf der Worte
Frank Mathwig Professor für Ethik an der Universität Bern und Vorstandsmitglied von Exit Marion Schafroth
Dieser Begriff «Selbstbestimmung» zeigt sehr schön: Die Diskussion um einen massiven ethischen Grundentscheid wird mit Worten geführt, die – erst recht bei einer Umfrage am Telefon – sehr gut klingen. Was kann denn an Selbstbestimmung oder Eigenverantwortung falsch sein? Exit-Vorstandsmitglied Marion Schafroth formuliert in einem «Streitgespräch» in der Zeitung «reformiert.» die Frage, ob es eine ethische Richtlinie gibt, elegant und populär: «Der Einzelne muss doch autonom entscheiden dürfen. Da können wir nicht als Kirche oder als Gesellschaft kommen und den Leuten sagen 'das darf man nicht'.» Opponent Frank Mathwig, Professor für Ethik an der
Universität Bern, hält entgegen: «Was für ein Menschenbild wird da suggeriert, wenn man vorgibt, man könne völlig souverän leben!» Auch er hält fest: «Die reformierten Kirchen schreiben niemandem etwas vor. Schief wird es, wenn aus Einzelfällen Normen abgeleitet werden.»
Der Weg zu ethischen Dammbrüchen ist offenbar mit wohlklingenden Begriffen gepflastert. So hält SEK-Präsident Prof. Gottfried Locher in einem Interview fest: «Der Begriff 'Freitod' ist einer der perverseren Euphemismen (dt. 'beschönigender Begriff'), die ich kenne. Ich bringe mich ja nicht um, weil ich frei bin, sondern weil ich Angst habe vor etwas noch Schlimmerem». Auch der nüchterne Begriff «Bilanzsuizid» fällt in diese Kategorie: er suggeriert, dass ein Mensch eine saubere Bilanz seines Lebens ziehen könne – etwa wie ein Geschäftsmann –, als Folge dieser Kalkulation zum Schluss komme, dass die Bilanz negativ sei und dass er sich dieses Leben dann nehmen könne. Alle subjektiven, emotionalen Kriterien sowie das (oft fehlende) Umfeld werden in diesem Begriff ausgeblendet.
Die Rechtslage in der Schweiz
Zu einer sauberen Diskussion gehört auch Kenntnis der legalen Tatbestände. Den Themenbereich Sterbehilfe kann man in vier unterschiedliche Tatbestände aufteilen: die passive Sterbehilfe, die indirekte Sterbehilfe, die Beihilfe zum Selbstmord (assistierter Suizid) und letztlich die aktive Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen). Hier die Rechtslage in der Schweiz:
Selbsttötung
Eine Selbsttötung oder ein Selbsttötungsversuch sind in der Schweiz nicht strafbar.
Aktive Sterbehilfe
Die aktive Sterbehilfe, d.h. die Tötung eines Menschen, ist unabhängig von den Motiven des Täters in der Schweiz strafbar. Sie wird, soweit kein ausdrücklicher Wunsches des Opfers nachweisbar ist, als Totschlag (§113 StGB, ein bis zehn Jahre Freiheitsentzug) oder gar als vorsätzliche Tötung (§111 StGB, fünf bis zehn Jahre Freiheitsentzug) eingestuft. Falls der Täter durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Opfers zur Tat bewegt wurde, nimmt man strafmildernd eine Tötung auf Verlangen (§113 StGB, bis zu drei Jahren Freiheitsentzug oder Geldstrafe) an.
Beihilfe zum Suizid
Die Beihilfe zur Selbsttötung (assistierter Suizid) ist hingegen in der Schweiz nur dann straffrei, wenn keine selbstsüchtigen Motive des Beihelfers vorliegen und das Opfer letztlich seinen Tod selber herbeiführt. So darf z.B. die Giftspritze präpariert, aber nicht verabreicht werden. Falls selbstsüchtige Motive nachgewiesen werden können, erfolgt eine Verurteilung gemäss §115 StGB (bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug oder Geldstrafe). Nach den Richtlinien der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW) ist die Suizidbeihilfe keine ärztliche Tätigkeit.
Indirekte Sterbehilfe
Die indirekte Sterbhilfe bedeutet das Inkaufnehmen eines vorzeitigen Todes durch eine medizinische Behandlung, die primär der Schmerzlinderung dient. Als Beispiel kann die Verabreichung von starken Schmerzmitteln bei einer tödlichen Krebserkrankung dienen, welche als Nebenwirkung ein Versagen von Leber oder Nieren hervorruft. Diese Form der Sterbehilfe ist in der Schweiz nicht strafbar, wenn sie dem ausgesprochenen oder bei Bewusstlosigkeit vorab niedergeschriebenen Willen des Patienten entspricht, da ein schmerzfreies Sterben als das höhere Rechtsgut gegenüber einer Lebensverlängerung eingestuft wird.
Passive Sterbehilfe
Die passive Sterbehilfe bedeutet den Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen, wie z.B. eine künstliche Beatmung bei einer tödlichen Krebserkrankung. Auch diese Form der Sterbehilfe ist in der Schweiz nicht strafbar, wenn sie dem ausgesprochenen oder bei Bewusstlosigkeit dem vorab niedergeschriebenen Willen des Patienten entspricht. Welche Maßnahmen der Patient zulassen möchte, kann vorab in einer Patientenverfügung formuliert werden.
Ethik und Realität
An kaum einem Thema erkennt man derzeit so deutlich, wie weit sich unsere westlichen Gesellschaften von ihren christlichen Wurzeln entfernt haben – sei es stillschweigend (wie die oben erwähnte Umfrage belegt) oder politisch legitimiert: So hat Belgien im Februar nicht nur die Sterbehilfe für alte Menschen, sondern auch die für Kinder legalisiert.
Auf der anderen Seite hält etwa die Deutsche Bischofskonferenz in ihrer neuesten Erklärung fest: «Die katholische Kirche spricht sich nachdrücklich gegen alle Formen der aktiven Sterbehilfe und der Beihilfe zur Selbsttötung aus. Hilfe beim Sterben durch die sogenannte passive Sterbehilfe hingegen sind ethisch vertretbar.» Die Bischöfe setzen auf Sterbebegleitung und nicht auf Sterbehilfe. Auch Prof. Frank Mathwig hält fest, dass die «gesellschaftliche Solidarität» schleichend aufgekündigt werde: «Hilfsbedürftige Menschen fühlen sich unter uns immer weniger heimisch»
EXIT oder TRANSIT?
«Exit» klingt nach barmherzigem Notausgang. Biblisch denkende Menschen (überhaupt Menschen mit Religion) haben derweilen einen nochmal erweiterten Blick auf die Realität. Das Sterben ist kein Ausgang, sondern Übergang. Das Leben hier ist nicht die ganze Realität. Nach dem Sterben werden Menschen vor Gott stehen und als «selbstbestimmte» Wesen Rechenschaft ablegen. Und das freiwillige Sterben Jesu Christi eröffnet die Möglichkeit, dass wir dieser Begegnung mit dem Schöpfer angstfrei entgegensehen können.
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