Das Basler Freiheitspodium setzt sich für mehr Freiheit und Selbstbestimmung ein. Gilt das auch bei der Suizidhilfe? Ein hochkarätiges Podium diskutierte im Stellwerk St. Johann.
Das Podium mit (v.l.) Zukunfsforscher Andreas Walker, Regierungsrat Lukas Engelberger, Moderator Remo Leupin, EXIT-Präsidentin Saskia Frei und Pflegeheimleiter Urs Baudendistel.
Eine Mehrheit der Schweizer will laut einer Umfrage der Zeitung «reformiert.» das Recht auf Sterbe- bzw. Suizidhilfe haben, sofern sie vom Leben genug haben oder darunter leiden. Soll der Gesetzgeber die Schwelle senken, sollen Pflegeheime die Türen für Suizidhelfer öffnen?
Diesen Fragen stellten sich am Donnerstagabend in Basel der Zukunftsforscher Andreas Walker, der Baselstädter Regierungsrat Engelberger, die Exit-Präsidentin Saskia Frei und Urs Baudendistel, Heimleiter und Vorstandsmitglied der Basler Alterspflegeheime.
Neues gesellschaftliches Klima
Die Podiumsteilnehmer waren sich einig, dass sich das gesellschaftliche Klima in den vergangenen 10 Jahren stark verändert hat. Heute sitzt eine Generation an den Schalthebeln, die sich gewohnt ist, dass Verbote out sind und der Mensch sich selbstbestimmt und frei auch für Dinge entscheiden darf, die früher tabuisiert oder verboten waren, so für den Suizid. Diese Haltung bestimmt heute auch weitgehend die ältere Generation. Anders wäre der Erfolg von Exit nicht zu erklären.
Exit-Präsidentin Saskia Frei stellte sich allerdings auf den Standpunkt, dass die grosse Mehrheit der Exit-Mitglieder die Organisation vor allem als Versicherung betrachtet, die es ihnen im Extremfall ermöglicht, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Die meisten nähmen diese Hilfe aber nicht in Anspruch. Frei setzte sich dennoch vehement für bessere Bedingungen für Exit ein, so für den freien Zugang zu Pflegeheimen und Spitälern und ein spezielles Sterbezimmer in diesen Institutionen. Sie warnte davor, alte Menschen zu bevormunden, auch wenn es um ihren Sterbewunsch gehe: «Wir dürfen uns nicht anmassen, einem lebensunwilligen Menschen zu sagen, er müsse jetzt ins Pflegeheim.» Andererseits verwahrte sie sich vor dem Vorwurf, eine Kultur des Todes zu betreiben und setzte sich für das Recht auf Leben von behinderten Föten ein.
Den Weg mit Kranken gehen
Heimleiter Urs Baudendistel versteht Ärzte und Pflegepersonal, die nicht Hand zur Freitodbegleitung bieten wollen. «Wir müssen mit den kranken Menschen einen Weg gehen, der sie vom Todeswunsch wegführt», so der Heimleiter. Wenn sie sich aber dennoch für den Tod entschieden, sei dieser Wunsch zu respektieren.
Regierungsrat Lukas Engelberger (CVP) betonte, beim begleiteten Suizid handle es sich um eine irreversible Entscheidung. Es gebe für Todeswillige auch andere Möglichkeiten wie den Verzicht auf Nahrung. Er wehrte sich gegen eine gesetzliche Regelung der Suizidhilfe. Der Forderung, wie sie neu im Kanton Neuenburg gilt, dass staatlich subventionierte Heime ihre Türen für Suizidhelfer öffnen müssen, steht er skeptisch gegenüber. Für den Staat sei es schwierig, hier Gesetze zu schaffen, die für alle und alles gültig und relevant sein müssten. Heute seien die Regeln von Exit massgebend, stellt er fest.
Das neue Paradigma
Zukunftsforscher Andreas Walker wies auf die Gefahr hin, dass unproduktives Leben wieder an Wert verliere wie zur Zeit der Germanen, welche alte Menschen, die nicht mehr gebären oder jagen konnten, in den Wald zum Sterben schickten. Er verwies darauf, dass es um den Erhalt einer 2000-jährigen Geschichte der Wertschätzung des menschlichen Lebens gehe und fragte: Lassen wir die schwachen und zerbrechlichen Leute leben? Alte Menschen hätten heute Möglichkeiten wie noch nie. Die Frage stelle sich, wann sich ein Mensch zu alt fühle. Er beobachtet zwei widersprüchliche Entwicklungen: Einerseits sei die Freiheit wichtig geworden, aber auch Transparenz und Dynamik des Lebens. Das führe dazu, dass gerade junge Menschen sich wieder mehr Leitplanken und weniger Wahlmöglichkeiten bzw. -zwänge wünschen. Ein Befund der neuen Jugendstudie von Credit Suisse.
Walker stellt auch die Tendenz fest, die Welt nicht mehr negativ – mit Verboten – sondern positiv zu regeln. Für ihn ein neues Paradigma. Man frage weniger, wie man sich vor Krankheit schützen müsse als wie man besser und gesünder leben könne: «Vor 100 Jahren verbot man den Suizid, heute steht die Frage des Lebensmutes im Vordergrund.» Für ihn sei dies auch der Grund gewesen, statt einem Sorgenbarometer das Hoffnungsbarometer zu kreieren.
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