Glauben mit Alzheimer

Was, wenn man alles vergisst?

In den Evangelien sehen wir Jesus dabei, wie er immer wieder zu den Menschen hingeht, die durchs Raster der Gesellschaft fallen. Die niemand sieht, weil sie niemand sehen will. Und heute? Heute will er dasselbe in und um unsere Kirchen und Gemeinden tun. Zum Beispiel zu denen gehen, die sich schon morgen nicht mehr daran erinnern werden, dass man da gewesen ist: zu den Alzheimer-Kranken.

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Die Alzheimer-Krankheit ist eine hirnorganische Krankheit, benannt nach dem deutschen Neurologen Alois Alzheimer (1864-1915). Typisch für sie ist der fortschreitende Zerfall von Nervenzellen und deren Kontakten. Zum Krankheitsbild gehören Gedächtnis-, Orientierungs- und Sprachstörungen, das Denk- und Urteilsvermögen leidet und die Persönlichkeit verändert sich. Diese Störungen nehmen immer weiter zu, bis die Erkrankten völlig pflegebedürftig sind. Alzheimer betrifft hauptsächlich Personen über 60 Jahren und gilt trotz intensiver Forschung als noch nicht heilbar.

Was sich in diesen paar Sätzen sachlich umreissen lässt, ist eine Katastrophe, wenn die Diagnose einen selber oder die eigenen Angehörigen trifft. Und sie wird zunehmend mehr Menschen betreffen, denn wir werden immer älter. Zurzeit leiden in Deutschland ca. 1,3 Millionen Menschen an Demenz (die Mehrzahl davon hat Alzheimer) – in 20 Jahren werden es doppelt so viele sein.

Das Drama des Vergessens

Manche erleben den Beginn der Krankheit gnädiger, andere trifft er mit voller Härte, doch Alzheimer-Patienten bekommen sehr wohl mit, dass sie abbauen, dass sie Dinge vergessen, dass sie etwas nicht mehr können, was früher selbstverständlich war. Zur zunehmenden Isolierung durch das Vergessen von Namen, Gesichtern und Fakten kommen Unsicherheit und Angst. Wer sich und seine Umgebung nicht mehr erkennt, nicht mehr im Griff hat, wird schnell unsicher. Ein Gottesdienstbesuch kommt daher für viele Alzheimer-Kranke nicht mehr infrage: Sie erkennen nicht mehr jeden, denken aber, dass sie ihn kennen müssten. Sie können nicht mehr lesen, nicht mehr singen, stehen vor einer Treppenstufe und wissen nicht mehr, wie sie hinaufgehen sollen.

Das zweite Vergessen und das Evangelium

Und dann gibt es noch eine geistliche Dimension des Vergessens. Der Christ und klinische Psychologe Benjamin Mast beschreibt sie in seinem Buch «Second Forgetting: Remembering the Power of the Gospel during Alzheimer's Disease» (Das zweite Vergessen – sich trotz Alzheimer an die Kraft des Evangeliums erinnern). Er meint mit dem zweiten Vergessen ein Vergessen, für das jeder anfällig ist, der unter Stress steht – besonders unter dem Stress einer sich entfaltenden Krankheit: Man vergisst die gute Nachricht und all das, was man bereits mit Gott erlebt hat.

Mast setzt bei der Behandlung seiner Patienten auf tiefere Schichten des Gedächtnisses, die man nicht direkt ansprechen kann. Doch viele Patienten, die unruhig oder gar aggressiv werden, beruhigen sich, wenn man einen bekannten Psalm mit ihnen spricht oder ein Lied aus dem Gesangbuch singt. Das nimmt die Alzheimer-Erkrankung nicht weg, aber es gibt Hoffnung darüber hinaus – für Erkrankte, Angehörige und Pflegekräfte.

Was würde Jesus tun?

Das Besondere bei der Art von Jesus, Menschen zu begegnen, war die Würde, die er jedem verliehen hat. Egal ob Aussätziger oder Prostituierte: Bei ihm waren sie Menschen mit Wert. Ein alltäglicher Umgang mit Alzheimer-Patienten kostet viel Kraft. Doch ob man sie tagtäglich pflegt oder nur ab und zu besucht: Ein Schlüssel zu einem Gott-gemässen Umgang mit ihnen ist es, sie als Persönlichkeiten, als geliebte Menschen mit Wert zu behandeln und sie nie auf ihre Krankheit zu reduzieren. Im Kontakt mit ihnen und beim Hören der immer gleichen Geschichten beschleicht einen schnell der Eindruck: Zu diesem Menschen dringe ich nicht mehr durch – und Gott auch nicht. Vorsicht. Damit reduzieren wir Gott auf unsere begrenzten Möglichkeiten. Er findet Wege, seine Liebe so weiterzugeben, dass sie ankommt, auch durch uns.

Den Helfern helfen

Nachdem eine Familie in ihrem Umfeld, auch ihrer Gemeinde, bekannt gegeben hat, dass ein Angehöriger Alzheimer hat, erfährt sie in der Regel viel Anteilnahme. Am Anfang. Und dann wird es sehr still um sie. Dr. Mast zitiert als typische Reaktion von Angehörigen: «Ich sehne mich so nach jemandem aus unserer Gemeinde, der da bleibt in unserem Leben und mit uns geht.» Oder noch stärker: «Ich würde alles geben für einen einfachen Telefonanruf von jemandem, der auf einen Sprung vorbeikommen will, nur um kurz zu fragen, wie es mir geht.» Die Isolierung durch Alzheimer betrifft eben nicht nur die Erkrankten – auch die Angehörigen erleben sie. Zusätzlich zu den Belastungen, die sie tragen. Hier wirkt ein Besuch Wunder, ein kurzer Austausch, ein gemeinsames Gebet oder ein Aufpassen auf den Patienten, damit der Angehörige auch einmal den Gottesdienst besuchen kann.

Gott vergisst dich nie…

Gerade am Anfang einer Alzheimer-Erkrankung haben viele Menschen Angst vor den weiteren Schritten in Richtung Verfall und Vergessen. Sie wissen ja nicht, was als nächstes kommt, wie schnell die Krankheit voranschreiten wird.

Dr. Mast empfiehlt eine Zwei-Schritte-Hilfe zur Ermutigung:
1. Gehen Sie diesen Weg nicht allein. Suchen Sie jemanden, dem Sie vertrauen, den Sie lieben, dem Sie Ihre Sorgen mitteilen können.
2. Besprechen Sie mit dieser Person, wie sie Sie am besten begleiten kann. Und bitten Sie sie jetzt schon, Sie immer wieder an das Gute in der Guten Nachricht zu erinnern.

Schliesslich gilt es, die überwältigende Wahrheit des Evangeliums zu erkennen. Und die ist eben nicht, dass wir uns an Gott festhalten müssen, sondern dass er uns weder vergessen noch loslassen wird. Alzheimer hin oder her, Gott steht zu seinem Wort: Er vergisst uns nie!

Zum Thema:
Den kennenlernen, der uns nie vergisst
Psychologie: Glaube - eine Wundermedizin
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Datum: 31.05.2015
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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