Sabrina geriet Menschenhändlern in die Fänge – in der Schweiz
Wer glaubt, Menschenhandel sei nur in Asien, Südamerika und Osteuropa ein Thema, irrt sich. Auch bei uns kommen immer wieder tragische Fälle von moderner Sklaverei ans Licht – meist handelt es sich um sexuelle Ausbeutung. Der Verein ACT212 baut eine Meldestelle auf, um Opfern zu helfen. Hier erzählt ACT212-Geschäftsführerin Irene Hirzel die Geschichte von Sabrina (Name geändert), einer Kolumbianerin, die in der Schweiz Menschenhändlern in die Fänge geriet.
Sabrina war verheiratet und hatte ein Kind. Ihre Schulbildung war gering, sie verdiente ihr Geld mit verschiedenen Gelegenheitsjobs, eine Ausbildung hatte sie nie gemacht. Sie lebte zusammen mit ihrem Mann, Kind und Mutter in einem kleinen Haus in einer ärmlichen Umgebung in Kolumbien.
Das Unheil nimmt seinen Lauf
Mit dem kleinen Einkommen und dem Gemüsegarten kamen sie knapp durch. Das Schlimme war, dass ihr Mann Drogen konsumierte, nicht arbeitete und sich um nichts kümmerte. Eines Tages verschwand er und Sabrina fand später heraus, dass er tot war. Sabrina arbeitete hart, um ihren Sohn und ihre Mutter durchzubringen, sie liebte ihre kleine Familie. Doch eines Tages erkrankte ihre Mutter.
Die Ärzte meinten, dass die Mutter dringend eine Operation brauche, um zu überleben und dass diese sehr viel Geld kosten würde – Geld, das sie nicht hatte. Dann meldete sich noch die Schulbehörde und informierte Sabrina über die bevorstehende Einschulung ihres Sohnes. Er brauche eine Schuluniform und sie solle eine Vorauszahlung für das Schulgeld machen. Sabrina war verzweifelt.
Ein verheissungsvolles Angebot
Ein paar Tage später traf sie in ihrem Dorf auf eine Bekannte aus dem Nachbardorf. Sabrina sprach mit ihr, und die Frau erzählte Sabrina über ihre Arbeit in der Schweiz, und dass man dort sehr schnell reich werden könne. Sabrina wollte nicht reich werden, aber sie hatte Rechnungen zu begleichen.
Die Bekannte versicherte ihr, dass sie locker 7'000 Franken im Monat im Service verdienen könnte. Schnell rechnete Sabrina aus, dass sie drei Monate in der Schweiz arbeiten und damit alles bezahlen könnte. Sie willigte ein und ging mit der Frau zu einem Anwalt, um den Vertrag zu unterschreiben. Eine Klausel beschrieb, dass bei Nichtzurückzahlen der Schulden das Haus der Mutter enteignet würde. Sabrina war zuversichtlich, dass alles gut werden würde und unterschrieb. Die Bekannte organisierte danach alles für Sabrina. In der Schweiz begann sie, in einer Bar zu arbeiten.
Das böse Erwachen
Bald schon kam der Besitzer und verlangte Geld für ihr Zimmer und die Verpflegung, ein anderer Mann wollte Geld für die Vermittlungskosten. Der Betrag wurde immer höher, Sabrina verdiente nicht einmal einen Bruchteil der 7'000 Franken und konnte das geforderte Geld nicht bezahlen.
Nun schnappte die Falle der Menschenhändler zu: Sabrina wurde gezwungen, sich zu prostituieren. Sie war in einer Animierbar gelandet und musste mit Klienten Alkohol trinken und sie danach sexuell bedienen. Jeder Versuch, zu fliehen, scheiterte. «Wir nehmen das Haus deiner Mutter und tun ihr und deinem Sohn etwas an, wenn du abhaust, bevor du alles zurückgezahlt hast!», drohte man ihr. Sie ekelte sich davor, mit fremden, nach Alkohol stinkenden Männern in das kleine Zimmer über der Bar zu gehen und sie zu bedienen, aber sie hatte keine Wahl.
Die Schulden, die sie so verzweifelt zurückzahlen wollte, wurden nicht kleiner, immer kamen neue Kosten dazu. Nun war Sabrina verzweifelter denn je. Sie war bereits ein Jahr in der Schweiz und konnte nicht mehr weg. Sie fühlte sich wertlos, hoffnungslos und sah sich als Versagerin. Eines Tages wurde sie in einer Razzia von der Polizei verhaftet und als illegale Prostituierte ausgeschafft. Da sie über die deutsche Grenze eingereist war, wurde sie ohne Geld und Ticket in den Zug gesetzt und kurz nach der Grenze vom Schaffner rausgeschmissen.
«Opfer von Menschenhandel – hier in der Schweiz!»
Irene Hirzel
Sabrina rief eine Mitarbeiterin einer Organisation an, die Prostituierten hilft und Deutschkurse anbietet. Sie war in einer billigen, schmuddeligen Absteige in Deutschland gelandet, weinte bitterlich und sagte, sie fühle sich so schmutzig. Erst jetzt erzählte sie ihre ganze Geschichte. Sie war ein Opfer vom Menschenhandel geworden, mitten in der Schweiz! Dann wurde Geld für Sabrina gesammelt, um ihr ein Flugticket nach Kolumbien, ein Startgeld und auch Geld für die Operation ihrer Mutter zu besorgen. Nach ein paar Wochen konnte sie endlich nach Hause zu ihrem Kind und ihrer Mutter fliegen.
Die Menschenhändler besuchten sie zwar zu Hause und bedrohten sie, doch Sabrina gab nicht nach. Nie mehr wollte sie in eine solche Situation zurückgehen, dann lieber sterben. Heute geht es Sabrina gut. Ihr Glaube an Gott und ihre kleine Familie haben ihr Kraft gegeben, ihre Lebensfreude ist allmählich wieder zurückgekommen.
Irene Hirzel war damals aufsuchende Gassenarbeiterin und Deutschlehrerin und betreute den Fall intensiv. Monate nach ihrer Rückreise schickte Sabrina einen Brief an Irene. Darin war eine Zeichnung ihres damals achtjährigen Sohnes. Darunter stand in krakseliger Kinderschrift: 'Danke, das du meiner Mami geholfen hast!' Diese Geschichte war für Irene Hirzel der Auslöser, um in der Schweiz gegen Menschenhandel zu kämpfen und ist einer der Hauptgründe, weshalb es heute die Organisation ACT212 gibt.
Meldestelle für Menschenhandel
ACT212 ist ein Verein, der Menschenhandel in der Schweiz und im Ausland bekämpfen will, dies durch die Identifikation von Opfern sexueller Ausbeutung, durch einen umfassenden Schutz der Opfer und die effektive Bestrafung der Täter.
ACT212 dient als Anlaufstelle bei Fragen und Herausforderungen im
Bereich Menschenhandel und bietet praktische Hilfe und Unterstützung.
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