«Armut hat ein weibliches Gesicht», bilanziert Wiebke Suter-Blume, Leiterin Nachhaltigkeit bei «StopArmut». Dieser Armut will sie durch das Handeln im Schweizer Alltag begegnen. Bei der baldigen «StopArmut»-Konferenz gibt sie unter dem Titel «Wegen mir muss niemand flüchten» einen aussergewöhnlichen Einblick in dieses Thema.
Wiebke Suter-Blume
Livenet: Wiebke Suter-Blume, Sie heben die besondere Rolle der Frauen bei der Arbeit im Süden im Hinblick auf die UNO-Entwicklungsziele hervor, weshalb? Wiebke Suter-Blume: Armut hat ein weibliches Gesicht. Mehr Frauen als Männer leben unter der Armutsgrenze, haben keine bezahlte Arbeit, sind Analphabeten, hungern, sind Opfer von Gewalt und Menschenhandel und in Entscheidungsgremien unterrepräsentiert. Wirkungsstudien belegen immer wieder, dass Gemeinschaften sich positiv entwickeln, wenn Frauen gefördert und schlussendlich wirklich gleichberechtigt werden: Bessere Bildung für Frauen schützt sie vor Zwangsheirat und verbessert die Zukunftschancen ihrer Kinder. Mikro-Kreditwesen und Spar- oder Versicherungsgemeinschaften sind oft Selbsthilfeprojekte von und mit Frauen, die effektive Armutsreduktion ermöglichen. Dies zeigt sehr deutlich, dass wir für die Erreichung der UNO-Entwicklunsgziele die aktive, gleichberechtigte Mitsprache von Frauen brauchen. Und vielleicht können diese Erfahrungen aus dem Süden auch uns im Norden Denkanstösse für ein gutes Miteinander von Mann und Frau geben.
Wo liegen ihre Arbeitsfelder, vorwiegend in der Schweiz oder im globalen Süden?
Schwerpunkt ist ganz klar das Handeln im Schweizer Alltag. Motivation dafür ist jedoch immer die Armut im Weltsüden. Das Handeln im Schweizer Alltag ist also der Hebel, den wir nutzen wollen, um im globalen Süden ein besseres Leben zu ermöglichen. Konkret geht es dabei um sehr unterschiedliche Themen. Ein Dauerbrenner sind Labels für fair gehandelte Lebensmittel und Kleider – im Beruf und zu Hause. Aber auch die Papierwahl für Flyer, Klimaschutz oder nachhaltiges Veranstaltungsmanagement stehen auf der Agenda.
Sie sind bei StopArmut für den Bereich Nachhaltigkeit zuständig. Was sind Ihre Schwerpunkte?
Der rote Faden meiner Arbeit ist, Menschen zu ermutigen, sich als «Change-Maker» für eine gerechtere Welt einzusetzen. Schwerpunkte sind die Förderung des Fairen Handels und Konsums sowie der Einsatz für nachhaltiges Handeln in Job, Kirche, Verein und Ehrenamt. Mein Schwerpunkt ist meist Bewusstseinsbildung: Wo liegen die Bezüge zwischen unserem Alltag und den Problemen im Weltsüden? Was kann ich persönlich in meinem Alltag zur Verbesserung beitragen? Ein Beispiel: Ohne Laptop, Smartphone oder digitale Anzeigen läuft in der Schweiz nichts mehr. Doch für unsere schöne Welt ruinieren in asiatischen Fabriken und afrikanischem Bergbau zigtausend Menschen ihre Gesundheit oder sogar ihr Leben. Und warum? Weil sie keine bessere Arbeit finden und ohne Arbeit weder Brot noch Dach haben. Wenn ich diesen Menschen dieselbe Perspektive wünsche wie allen Schulkindern und Erwerbstätigen in der Schweiz – dann kann ich das tatkräftig tun. Als Christ in der Fürbitte, als Bürgerin, indem ich entsprechende Petitionen unterschreibe und als Konsument, wenn ich Produkte von Firmen kaufe, die auf gute Bedingungen in der Lieferkette achten.
Wie macht Ihr Einsatz einen Unterschied?
Unsere Arbeit wirkt indirekt über den Bewusstseinswandel und die Inspiration von «Change-Makern». Auch das lässt sich am besten an Beispielen zeigen: Ich habe «Change-Maker» ermutigt, in ihrem Büro, ihrer Kirchgemeinde oder Veranstaltung auf fairen Kaffee zu setzen. In ein paar Projekten war ich auch direkt an der Umstellung beteiligt. Dies wirkt spürbar bei den Fair-Trade-Kaffeebauern, da sie sich so ein existenzsicherndes Einkommen erarbeiten können. Und grosse Neukunden für fair gehandeltem Kaffee sind wichtig, denn es wird mehr Fair-Trade-Kaffee produziert als gekauft.
Was ist Ihr Herzensanliegen?
Aus meinem Glauben heraus motiviert ist es mir ein Anliegen, dass Christen einen einladenden, gerechten Lebensstil pflegen und sich in der Gesellschaftsgestaltung einbringen – für eine gerechtere Welt. Dazu passt der Leitvers von «StopArmut», der in Micha, Kapitel 6, Vers 8: «Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir erwartet: Nichts anderes als dies: Recht tun, Güte und Treue lieben, in Ehrfurcht den Weg gehen mit deinem Gott.»
Gibt es neue Projekte, die bei Ihnen anstehen?
Neues gibt es bei uns immer. Ein spannendes Projekt, das mich in den nächsten Monaten intensiver beschäftigt, ist dies: Zur Klimagerechtigkeit haben wir uns mit dem Thema «Beruflich fliegen» auseinandergesetzt. Dazu haben wir eine kleines Tool gemacht, das hilft, eine angestrebte Dienst- oder Projektreise nachhaltig zu gestalten – oder eben nicht zu fliegen. Ein Tester hat berichtet, dass er nun 20 Prozent weniger reist. Ein anderer hat angefangen, systematisch die Klimagase der Flüge seiner Organisation zu kompensieren. Und beide machen nun ihre verbleibenden nachhaltigen Reisen mit besserem Gewissen. Solche Effekte wollen wir auch anderen ermöglichen und bereiten aktuell mit interessierten Pilotanwendern und Partnern die breitere Veröffentlichung des Tools Anfang 2017 vor.
Sie wirken bei der StopArmut-Konferenz im November mit, mit dem Workshop-Titel «Wegen mir muss niemand fliehen». Worum geht es da?
Die Frage, ob ich Menschen in Syrien, Südsudan oder Sri Lanka in die Flucht schlage, ist wohl für alle einfach mit «nein» zu beantworten. Doch wenn man fragt: Verwehrt mein Tun und Lassen anderen die Chance auf ein gutes Leben? Dann sieht die Antwort schon etwas anders aus. An Beispielen wollen wir uns das anschauen, fragen, was die Bibel dazu sagt und was ich alltäglich beitragen kann, dass Menschen in ihrer Heimat Chancen auf ein gutes Leben haben.
Weshalb muss wegen «uns» jemand weglaufen?
Wer in seiner Heimat nicht bleiben will, ist entweder an Leib und Leben akut bedroht oder sieht für sich dort keine Aussicht auf ein gutes Leben. Das kann in einer globalen Welt auch durch die Verteilung der Macht, herrschende Regeln des Welthandels befördert werden. Ein Beispiel: Kakaoanbau muss man langfristig denken, da Kakaobäume jung nicht tragen. Doch Klimawandel und erbärmliche Verkaufserlöse für Kakao führen dazu, dass die Bauern die nachhaltige Pflege der Bestände unterlassen. So schwindet die Aussicht auf ein gutes Leben als Kakaobauer – ohne dass die Bauern dies gross ändern könnten. Wer würde da nicht woanders sein Glück versuchen? Und am Klimawandel und den geringen Erlösen haben wir beziehungsweise die Firmen, die uns im Weltnorden Lohn und Brot geben, deutliche Anteile. Letztere haben das Problem übrigens inzwischen erkannt und aus Angst um ihre Rohstoffe angefangen, Bauern direkt unter Vertrag zu nehmen…
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