Eine Stammesleiterin entscheidet gegen sexuelle Ausbeutung
Als
Theresa Kachindamoto zur Leiterin ihrer Region in Malawi wird, trifft sie eine
richtungsweisende Entscheidung: Sie schickt alle Mädchen zur Schule. Damit
setzt sie sich über die Kinderehen hinweg, die in ihrem Land traditionell
geschlossen werden. Und sie gibt Mädchen Hoffnung und Zukunft.
Theresa Kachindamoto
Theresa Kachindamoto wuchs in einer traditionell
orientierten Familie in Malawi auf. Als Jüngste von 12 Geschwistern dachte sie
nicht daran, irgendwann politische Verantwortung zu übernehmen. Doch als Mutter
von fünf Kindern und nach 27 Jahren als Sekretärin an einem College wurde sie
überraschend zur Leiterin des Dedza Distrikts berufen – verantwortlich für
900'000 Menschen. Damit hätte sie nie gerechnet, aber sie hatte den Ruf, dass
sie «gut zu Menschen» sei. Und deshalb wählten die Leute sie, «ob es mir
gefällt oder nicht». Und sie füllt ihr Amt mit Mut und Hingabe aus.
Das
Drama der Kinderehen
Mikiyasi Mkuthe (links) mit seiner ehemaligen Frau Beatrice Kapito (rechts) und ihrem Sohn bei der Annullierung ihrer Ehe.
Schon 2003, zu Beginn ihrer Amtszeit, begegnete sie
Frauen und Mädchen, die bereits mit 12 verheiratet wurden. Kachindamoto kannte
diesen Brauch natürlich, doch jetzt trug sie Verantwortung. Und sie entschied, dass
sie diese Tradition nicht länger unterstützen würde. Mehr noch: sie wurde
aktiv. Mädchen sollten nicht länger ihrer Kindheit beraubt werden, indem sie
lange, bevor sie 18 Jahre alt waren, zu Ehefrauen und Müttern würden. Theresa Kachindamoto
traf sich mit betroffenen Frauen und Mädchen, mit ihren Ehemännern und Kindern
und mit Stammeshäuptlingen. Und sie stellte klar: «Ich will, dass diese Ehen beendet
werden.»
Malawi ist ein
unauffällig armes Land im südlichen Zentralafrika. Es gehört zu den ärmsten
Ländern der Welt. 40 Prozent seiner Bevölkerung sind jünger als 15 Jahre. Die
Frauen bringen im Durchschnitt 4,4 Kinder zur Welt. Die HIV-Infektionsrate beträgt
zehn Prozent. In Westeuropa hört man fast nichts aus dem kleinen Staat mit 19
Millionen Einwohnern – es gibt dort weder blutige Bürgerkriege wie im Sudan
noch islamistische Terroristen wie in Nigeria oder Somalia. Aber die Armut im
Land ist so gross, dass es sich eingebürgert hat, Mädchen bereits als Kinder
aus der Familie herauszunehmen und sie zu verheiraten. Dann kosten sie die
armen Angehörigen nichts mehr und sind scheinbar besser versorgt. Aber sie
brechen ihre Schulausbildung ab und leiden oft genug darunter, dass sie bereits
als Kind ein Kind bekommen.
Theoretisch geht die Regierung in Malawi schon
länger gegen diese Praxis vor, seit 2015 ist sie ausdrücklich illegal.
Praktisch tut sich nichts. Bis Theresa Kachindamoto ihr Amt antritt.
Für
die Mädchen im Land
Kurz nachdem sie ihren Dienst antrat, erliess sie
eine Art freiwillige Richtlinie, um das frühe Verheiraten zu stoppen.
Ergebnislos. Sie wies auf die gesetzliche Situation hin. Ergebnislos. Dann lud
sie alle 451 Dorfvorsteher vor, die ihr zugeordnet waren und verkündete ein
«law of the chief» (Häuptlingsgesetz). Und sie machte sehr deutlich, dass sie
alles daran setzen würde, es auch umzusetzen. Manche Dorfältesten lächelten
damals. Sie lächeln nicht mehr. Denn auch gegen den erbitterten Widerstand vieler
Verantwortungsträger, die behaupteten: «Das ist eben unsere Kultur», setzte sie
das Verbot mit viel Energie und Mut durch.
Bisher annullierte Kachindamoto mehr als 850
Kinderehen und schickte alle Mädchen zurück in ihre Familie und zur Schule. Solch
ein Schritt ist ohne Unterstützung sinnlos. Also erhalten die Mädchen eine
Beihilfe, damit sie weiter die Schule besuchen können. Und für den Fall, dass sie
bereits Nachwuchs haben, gibt es eine kostenlose Kinderbetreuung. Zusätzlich
gibt es in jeder Region Mitarbeiter, die Kachindamoto informieren, ob «ihre»
Mädchen noch zur Schule gehen.
Gegen
sexuelle Ausbeutung
Theresa Kachindamoto mit älteren Frauen aus ihrem Dorf
Dass in Malawi bereits Kinder verheiratet werden,
ist mehr als eine Folge wirtschaftlicher Not. Es ist vielmehr
institutionalisierte sexuelle Ausbeutung. Deutlich wird das daran, dass Mädchen
bereits ab einem Alter von sieben (!) Jahren in sogenannte «kusasa fumbi»
geschickt werden. Diese Lager – ihr Name bedeutet einfach «Reinigung» – sind
eigentlich Orte für sexuelle Initiation. Dort wird Kindern beigebracht, was
ihren künftigen Ehemännern in sexueller Hinsicht gefallen könnte.
Kachindamoto setzt bei ihrer Aufklärungsarbeit stark
auf die Frauen im Land. Sie arbeitet mit internationalen Hilfsorganisationen
zusammen genauso wie mit lokalen Müttergruppen. Gerade diese unterstützen die
Arbeit der Politikerin. Sie formuliert ihren Anspruch so, dass er von der einfachen
Bevölkerung, die oft nicht lesen oder schreiben kann, verstanden wird: «Eure
Tochter wurde geschlagen, gebt ihr wieder ein Zuhause», «Schickt sie wieder zur
Schule» und «Wenn sie ihren Abschluss macht, kann sie euch im Alter unterstützen».
Mut,
der etwas bewegt
Malawi ist mehrheitlich christlich geprägt. Trotzdem
haben sich in der Vergangenheit Strukturen entwickelt, die zutiefst
menschenverachtend und unchristlich sind. Um dagegen aufzustehen und Änderungen
durchzusetzen, ist Mut nötig. Theresa Kachindamoto hat diesen Mut. Sie weiss,
dass sich das Denken und Handeln in der Bevölkerung nicht über Nacht ändern
wird, aber sie verweist auf ihr Amt und sagt lächelnd: «Ich bin Leiterin auf
Lebenszeit!»
Ihr Spitzname im Land ist «Terminator» – die, die
etwas beendet. Sie stellt klar: «Wenn du Mädchen auf gute Weise ausbildest, kannst
du in Zukunft alles erreichen.» Mit dieser positiven Perspektive schafft Teresa
Kachindamoto etwas, das völlig untypisch ist für die destruktive Situation im
Land und gleichzeitig typisch dafür, dass ein christliches Menschenbild Gestalt
gewinnt: Hoffnung. So ist es kein Wunder, dass Hoffnung in Malawi für viele
Mädchen einen Namen hat: Theresa Kachindamoto.
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