Glaube und seelische Gesundheit

Unzählige wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass der Glaube die seelische Gesundheit fördern und den Umgang mit seelischen Krisen verbessern kann.

Seit ewa 1980 gibt es einen Forschungsansatz, der sich mit «religious coping», also religiösen Bewältigungsformen beschäftigt. Prof. Heim, ehemaliger Direktor der psychiatrischen Universitätspoliklinik in Bern, untersuchte unter anderem Brustkrebspatientinnen, um herauszufinden, wie sie ihr Leiden bewältigen.

Positive Lebensperspektive

Nebst anderen Faktoren stiess er auch auf Sinngebung, Religiosität und Optimismus. Der Glaube half also diesen Patientinnen, ihr Leiden zu tragen, es in einen grösseren Zusammenhang zu stellen, Sinn- und Entwicklungsmöglichkeiten darin zu finden und eine positive Lebensperspektive aufrecht zu erhalten (und so nicht depressiv zu werden).

Fünf Schlüsselfunktionen

Kenneth Pargament, ein amerikanischer Forscher und Psychologe, veröffentlichte 1997 das Buch «The Psychology of Religion and Coping», ein Standardwerk zum Thema. Darin stellte er die Bedeutung des Glaubens als Grundlage zur Krisenbewältigung systematisch dar. Er postulierte fünf Schlüsselfunktionen des Glaubens, die religiösen Menschen helfen, Krankheitssituationen zu bewältigen: der Glaube schafft Sinn, ermöglicht ein vertieftes Gefühl von Kontrolle, verstärkt das Wohlbefinden, schafft Beziehung und Verbundenheit und unterstützt Veränderungsprozesse. Pargament wies auch darauf hin, dass nicht hilfreiche Glaubensformen genau das Gegenteil bewirken können (z.B. Ängste und Bestrafungsgefühle verstärken, Kontrolle reduzieren und Veränderungsprozesse blockieren).

Pargament entwickelte auch ein ausführliches Frageinventar (RCOPE), mittels welchem diese positiven und negativen Bewältigungsstrategien abgefragt werden können: «Ich sehe meine Situation als Teil von Gottes Plan» oder «Ich frage mich, wofür Gott mich bestraft» und so weiter.

Bedeutung religiöser Bewältigungsformen

Im Rahmen einer 1998 am Duke University Hospital (USA) durchgeführten Untersuchung wurden 337 Patienten, die ins Universitätsspital aufgenommen werden mussten, gefragt, wie wichtig der Glaube, die Religiosität für sie in der Bewältigung der aktuellen Krankheitssituation sei. 40% der Befragten erwähnten, dass der Glaube für sie der wichtigste Faktor sei. Für weitere 27% war der Glaube ebenfalls ein sehr bedeutender Faktor.

Eine Untersuchung bei chronisch schizophrenen Patienten an der psychiatrischen Universitätsklinik in Genf ergab ein ähnliches Resultat. Für 45% der Befragten war der Glaube von zentraler Bedeutung. Er half den Patienten in der Alltagsbewältigung (79%), gab ihnen Lebenssinn (66%), half ihnen, ihrer Krankheit eine positive Bedeutung zu geben (40%) und mit ihr umzugehen (64%), gab ihnen ein Gefühl von Kontrolle (47%) und verbesserte ihr seelisches Wohlbefinden (67%).

Diese wissenschaftlichen Untersuchungen unterstreichen die Bedeutung des religiösen Copings und zeigen eindrücklich, wie viele Patienten in der Krise auf religiöse Bewältigungsformen zurückgreifen (stress-induced religious coping).

Untersuchung der psychiatrischen Universitätsklinik Genf

Wie wichtig ist Ihnen Glaube/Religion bei der Bewältigung der Krankheitssituation, wurde gefragt.

40% Positive Bedeutung der Krankheit
45% Zentrale Bedeutung des Glaubens
47% Glaube gibt ein Gefühl von Kontrolle
64% Glaube hilft, mit Krankheit umzugehen
66% Glaube gibt Lebenssinn
67% Glaube verbessert seelisches Wohlbefinden
79% Glaube hilft bei der Alltagsbewältigung

Fazit für die klinische Arbeit

Diese Ergebnisse bestärken Dr. med. René Hefti, leitender Arzt Psychosomatik der Klinik „Stiftung für ganzheitliche Medizin“ (SGM) in Langenthal, beim Therapieansatz, die religiöse Dimension und damit auch die religiösen Bewältigungsstrategien mit einzubeziehen. „Die Durchführung einer so genannten «spirituellen Anamnese», das heisst das Erfragen des Glaubenshintergrundes und -bezuges unserer Patienten, gehört bei uns zur täglichen Routine. In die ärztlichen, psychotherapeutischen, pflegerischen und anderen Gespräche werden Glaubensaspekte selbstverständlich miteinbezogen und religiöse Bewältigungsmöglichkeiten wie zum Beispiel das Gebet angeboten“, erklärt Hefti sein Vorgehen.

Hoffnung aus der Bibel beziehen

Die Beschäftigung mit der Thematik zeige ihm, dass hier noch einiges an «therapeutischem Potenzial» verborgen sei. „Ich habe angefangen, bei Patienten gezielt nachzufragen, wie und in welcher Form ihnen denn der Glaube helfe, ihre Krankheits- oder Krisensituation zu bewältigen. Es ist eindrücklich, welche Antworten und Erfahrungen Patienten dazu haben. Eine Patientin mit einer schweren Depression erzählte mir, dass Psalm 88 für sie zu einer grossen Hilfe geworden sei. Dieser Psalm drücke aus, was sie empfinde, wie es ihr gehe, was sie trage und was ihre Hoffnung sei. Er gebe ihr sozusagen eine Sprache, authentische Worte, ihre Situation auszudrücken. Sie habe ihn in den letzten Wochen Dutzende Male gelesen. Vers 1 beinhalte ihre unumstössliche Hoffnung: «Herr, du Gott meines Heils». Der Psalm helfe ihr auch, ihren Schmerz und ihre Finsternis auszuhalten“, berichtet Hefti.

Ein grosses Potenzial verberge sich auch im Studium der Bibel. Für eine Bewältigungsperspektive könnten dort wahrscheinlich noch viele wertvolle Hinweise zu Tage gefördert werden, beispielsweise aus den Psalmen, Hiob, Prediger oder den Evangelien.

Webseite: www.klinik-sgm.ch

Literaturverzeichnis
- Handbook of Religion and Health, Dr. Harold Koenig, Oxford University Press, 2001
- Langzeituntersuchungen an Patientinnen mit Brustkrebs, Prof. E. Heim, 1988
- The Psychology of Religion and Coping, Kenneth I. Pargament, Guilford Press, 1997
- The Many Methods of Religious Coping, Kenneth I. Pargament, Journal of Clinical Psychology, 2000
- Religious coping in outpatients with schizophrenia, Huegelet/Mohr, Beitrag Tagesseminar Klinik SGM, 2005

Autor: René Hefti
Quelle: SGM

Datum: 23.12.2005

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