Nestlé

«Die beste Entwicklungsorganisation»

«Wo bleibt die Toleranz gegenüber Industriellen?» Das fragt der Nestlé-Direktor Roland Decorvet, der im Juni in den Stiftungsrat des Hilfswerks Heks gewählt wurde. «Gewisse Leute glauben nicht, dass auch Nestlé-Mitarbeiter Gutes tun können.»

Die reformierten Kirchen seien zunehmend tolerant gegenüber Andersgläubigen oder Homosexuellen. Aber wenn ein Nestlé-Direktor sich im Hilfswerk engagieren wolle, sperrten sie sich mit Vorurteilen dagegen, sagte Decorvet Anfang November der Reformierten Presse (RP). Die Wahl des Waadtländers, der als Missionarssohn in Afrika aufwuchs und 17 Jahre für Nestlé in Asien arbeitete, ist bei Vertretern der kirchlichen Entwicklungsarbeit auf scharfe Kritik gestossen.

«Diametraler» Gegensatz

Sie stellen sich auf den Standpunkt, nicht Decorvets Person, aber seine Funktion als Generaldirektor von Nestlé Schweiz sei problematisch: Denn die Interessen des Nahrungsmittelmultis stünden «grundsätzlich dem Auftrag des kirchlichen Hilfswerks diametral gegenüber: Die neue Heks-Kampagne propagiert die Entwicklung ländlicher Dorfgemeinschaften – Nestlé macht Geschäfte mit der Privatisierung von Wasser» (Zuschrift der reformierten Beauftragten für Mission und Entwicklung in der RP 45/2008).

«Milch von 150'000 pakistanischen Bauern»

Decorvet bezeichnet Nestlé als «die beste Entwicklungsorganisation, die es gibt». In fast allen Ländern der Welt produziere man vor Ort mit lokalen Rohstoffen. In Pakistan kaufe der Konzern Milch von 150'000 Bauern. Das sei landwirtschaftliche Entwicklung, betont Decorvet – Nestlé habe kein Interesse daran, die Leute ärmer zu machen. «Die Regierungen und Bevölkerungen lieben uns, denn wir schaffen Arbeitsplätze und investieren ins Land.» Die Vertreter von gewissen Nichtregierungsorganisationen hat er als unbelehrbar erlebt. «Wenn wir in einem Land die Landwirtschaft entwickeln, sind wir Böse. Wenn wir nichts machen, sind wir auch böse.»

Was ist Trinkwasser wert – ohne Preis?

In der Trinkwasser-Frage hält Roland Decorvet fest, dass jeder Mensch zu sauberem Trinkwasser Zugang haben sollte. Doch wie beim Wein gebe es auch beim Wasser verschiedene Qualitäten: «Wer etwas Spezielles haben möchte, soll dafür zahlen.» Den Trinkwassermangel in der Dritten Welt findet auch der Nestlé-Direktor schlimm, doch die Schuld daran trügen die Regierungen. «Wir sind nicht für die Privatisierung von Wasser; das haben wir nie behauptet. Aber Wasser sollte für die Regierungen einen Preis haben.» Der grösste Teil des in der Landwirtschaft eingesetzten Wassers versickere. Dort müsse die Beratung einsetzen.

Pfarrerssohn

Roland Decorvet hat mit der Familie seiner Frau in Madagaskar ein Waisenhaus aufgebaut. Sein Vater, Bruder, Grossvater, Schwiegervater und Urgrossvater waren oder sind Pfarrer. Der Kirchgänger ist nicht Pfarrer geworden, weil «Gott mit jedem ist, auch bei der Arbeit… Als Geschäftsmann kann ich genauso viel Gutes tun wie ein Arzt, ein Schreiner oder ein Metzger.» Er sei bereit, zwölf Tage jährlich für das Heks einzusetzen. Nestlé wie das Hilfswerk hätten die gleichen Werte: sie wollten beide die Armut bekämpfen – einfach nicht mit denselben Mitteln.

Unverständnis und Empörung

Der Zürcher Theologieprofessor Pierre Bühler nimmt in einem Offenen Brief Decorvet (RP 46) wegen seines pauschalen Urteils über seine Kritiker aufs Korn. Er erwähnt das Profitstreben des Nestlé-Konzerns – von gleichen Zielen könne da nicht die Rede sein. Der Vergleich von Wasser mit Wein klinge ihm wie blanker Hohn in den Ohren. Gewinn mit der Privatisierung des Wassers (Nestlé) könne nicht angestrebt werden, wenn Wasser als öffentliches Gut verteidigt werde (Heks).

Wenn Decorvet seinen Konzern als die «beste Entwicklungsorganisation» hinstelle, sei das eine Provokation, schreibt Pierre Bühler. Er wünscht sich von Decorvet mehr Problembewusstsein: «dass Ihnen gewisse Spannungen (in Nestlés Geschäften) durchaus Sorge machen».

Datum: 18.11.2008
Quelle: Livenet / Reformierte Presse

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