Präsident aller Ägypter?

Der Islamisten-Falke mit gestutzten Flügeln

Bevor der Wahlsiegers der ägyptischen Präsidentschaftswahl bekanntgegeben wurde, soll es ein Ringen der Muslimbrüder mit den Generälen um den künftigen Kurs gegeben haben. Bleibt die Glaubensfreiheit der Christen erhalten?

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Plakat von Wahlsieger Mohammed Mursi
In Kairo hat die kollektive Führung des «Obersten Militärrates» am Sonntag endlich das längst offene Geheimnis gelüftet und den Kandidaten der polit-islamischen Moslem-Bruderschaft, Muhammad Mursi, zum Sieger der Präsidentenwahl vom 17. Juni erklärt. Damit schaffen die Muslilm-Brüder das noch bis vor wenigen Monaten völlig Unglaubliche: 84 Jahre seit ihrer Gründung und nach Jahrzehnten der Verfolgung durch König Faruk und Abdel Nasser, des Wiedererstehens unter Präsident Sadat und streng disziplinierter Duldung im Mubarak-Regime, steht einer von ihnen an der Spitze Ägyptens.

Gestutzte Flügel

Noch in der ersten Juni-Hälfte hätte das einen weit grösseren politischen Erdrutsch dargestellt: Da kontrollierte die Bruderschaft zusammen mit den noch radikaleren Salafisten das im Winter neugewählte Parlament. Und die  militärischen Machthaber hatten sich verpflichtet, bis zu diesem Wochenende zugunsten des neuen Staatsoberhauptes zurückzutreten. Inzwischen haben sie aber die islamistisch beherrschte Nationalversammlung aufgelöst, sich selbst weiterreichende Befugnisse zudekretiert und die Befugnisse des Präsidenten beschnitten. Muhammad Mursi zieht in den Präsidentenpalast von Kubba im Nordosten von Kairo als islamistischer Falke mit gestutzten Flügeln ein.

Zähes Tauziehen

Darüber hinaus wollen gut informierte Kairoer Beobachter wissen, dass in der letzten Woche zwischen der Stichwahl und der zögerlichen Bekanntgabe ihres Ergebnisses ein zähes Tauziehen zwischen dem Militärrat und dem Chef der Muslim-Bruderschaft im Gang war, Muhammad Badia. Diesem wurde damit gedroht, den bei der Stichwahl nur knapp unterlegenen Günstling der Generalität, den Mubarak-Vertrauten Ahmed Shafik als Sieger ausrufen, wenn sich die Bruderschaft nicht zur Kollaboration bereit erklärt. Das betreffe vor allem die Ausarbeitung der neuen Verfassung. Diese dürfe nur insoweit mit dem islamischen Religionsrecht konform sein, als sie damit westliche demokratische und menschenrechtliche Standards nicht verletze.

Vorrangig habe sich der oberste Moslem-Bruder verpflichtet, den Frieden mit Israel und die Glaubensfreiheit der christlichen Kopten zu achten. Muhammad Badia, von Beruf Tierarzt, soll gerade das letztere zugesichert und sich dabei auf seinen Vorgänger in den fünfziger bis siebziger Jahre berufen haben, Hassan al-Hudeibi. Dieser hatte sich von der Christenfeindlichkeit des Gründers der Bruderschaft, Hassan al-Banna, distanziert, dem Grossvater des in Genf bekannten Tariq Ramadan.

Mit diesem Pakt hinter den Kulissen gilt die Stabilität am Nil als gesichert. Die Muslim-Brüder jubeln – die Militärs bleiben weiter am Drücker – die ägyptischen Christen harren aus...

Datum: 25.06.2012
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet

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