Armenier in aller Welt gedachten der Opfer des Völkermordes

Armenier in aller Welt haben am Wochende der Opfer des Völkermordes im Osmanischen Reich gedacht. In allen armenischen Kirchen fanden Trauergottesdienste statt. Wer war vom ersten Völkermord im 20. Jahrhundert betroffen? Nur wenige wissen es: Christen, die vor fast 90 Jahren umgebracht wurden.

Bei einer Gedenkfeier in der armenischen Hauptstadt Eriwan forderte Präsident Robert Kotscharjan, die Welt müsse den Genozid am armenischen Volk "umfassend und eindeutig anerkennen und verurteilen". Gleichzeitig betonte Kotscharjan seine Bereitschaft, die Beziehungen zur Türkei zu normalisieren.

Im Jahr 1915 waren in den damals zum Osmanischen Reich gehörenden Teilen Armeniens schätzungsweise insgesamt etwa 1,5 Millionen Menschen ermordet worden. Die türkische Führung hat Völkermord-Vorwürfe stets zurückgewiesen, die Opferzahlen für überhöht erklärt und den Armeniern eine Mitschuld für die dramatischen Ereignisse gegeben.

In der Türkei darf der Massenmord an den Armeniern bis heute nicht öffentlich diskutiert werden. Eine Erklärung des kanadischen Parlaments, in der unlängst der Völkermord anerkannt wurde, hatte zu erheblichen Spannungen in den Beziehungen mit der Türkei geführt.

Gedenktag auch in Bern

Abdel Manoukian, Pfarrer der Armenisch-Apostolischen Kirche der Schweiz, erinnerte in der Feier auch an den vor zehn Jahren in Ruanda begangenen Völkermord.

Die Schweizer Bundesversammlung hatte am 16. Dezember 2003 den zwischen 1915 und 1918 vom jungtürkischen Regime an den Armeniern begangenen Genozid endlich offiziell anerkannt.

Das für die Armenier schicksalshafte Geschehen liege zwar bereits drei Generationen zurück, betonte Manoukian in seiner Ansprache. Doch dieses Geschehen habe eine tiefe Wunde in der armenischen Seele hinterlassen, die nicht habe heilen können, "weil die erlittene Ungerechtigkeit von bis dahin unbekanntem Ausmass weder vom Täter noch von der internationalen Gemeinschaft als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und eine Verletzung der fundamentalsten Menschenrechte zugegeben beziehungsweise anerkannt wurde".

Hätten Völkermorde verhindert werden können?

Hätten die Völker und Nationen den Genozid an den Armeniern rechtzeitig verurteilt und die Täter zur Verantwortung gezogen, so sagte Manoukian weiter, "wäre der Menschheit in den darauffolgenden Jahren vielleicht sehr viel an Leid und Schmerz, Verfolgungen und Deportationen, ja womöglich sogar der grosse Holocaust und weitere Völkermorde erspart geblieben".

Die Ausrottung armenischer Christen in weiten Gebieten des Osmanischen Reiches zähle zu den dunkelsten Kapiteln der türkischen Geschichte, schrieben die Kirchen. Der Genozid sei weder strafrechtlich aufgearbeitet noch von der türkischen Regierung je zugegeben worden.

Die ursprüngliche Wiege des armenischen Volkes ist der Osten Kleinasiens, vom Süden bis zum Mittelmeer, Kaukasus und Iran. Nach dem Zerfall des letzten armenischen Königreichs von Kilikien im Jahre 1375 entsteht die armenische Diaspora. Aufgrund fehlender Staatlichkeit in den Jahrhunderten der Zerstreuung hatte die Armenische Kirche die Rolle einer identitäts- und gemeinschaftsbewahrenden Institution übernommen und damit neben den religiösen auch soziale, politische(nationale) und kulturelle Aufgaben.

Die armenische Kirche führt sich direkt auf die Mission der Apostel Judas Thaddäus und Bartholomäus zurück, die um das Jahr 66 in Armenien den Märtyrertod starben. Der Überlieferung zufolge erhob König Tiridates III. bereits im Jahr 301 das Christentum zur Staatsreligion. Armenier betrachten ihr karges „Hayastan“ („Heimat der Menschen“) als ältesten christlichen Staat der Erde.

Aus den Anfängen der Armeniermission existieren keinerlei direkten und zeitgenössischen schriftlichen Quellen. Alles, was über die Missionstätigkeit der beiden Apostel bekannt ist, stammt aus späteren Aufzeichnungen. Auf das Wirken der Aposteln bezieht sich die armenischen Kirche in ihrer offiziellen Selbstbezeichnung als der Heiligen - Apostolischen Kirche.

Ein armes Land

Armenien gehört heute zu den ärmsten Ländern überhaupt. Fast 80 Prozent der Einwohner haben keine Arbeit. „Jeden Winter erhalten wir Berichte, dass Menschen erfrieren und verhungern“, berichtet Hans-Rudolf Hintermann, Präsident der schweizerisch-deutschen Hilfsorganisation „Diaconia“.

Jeder vierte Armenier ist arbeitslos, der Krieg mit Aserbeidschan vor 10 Jahren hat das Land ruiniert, und die Wunden des Erdbebens von 1989 sind nicht verheilt. Hilfe von aussen tut not. „Diaconia Internationale Hilfe“ leistet sie auch im vergangenen Jahr.
Jeder Spender wünscht sich, dass seine Hilfe bei denen ankommt, für die sie gedacht ist. Bei den Kleidersäcken für Armenien war das der Fall. Nach einer abenteuerlichen Reise haben sie ihre Empfänger erreicht. Per Lkw und im Schiffscontainer waren über 210 Tonnen Kleider und einige andere Hilfsgüter aus der Schweiz unterwegs. „Diaconia“ mit Sitz in Beinwil am See (AG) hatte sie im Jahr 2003 nach Armenien geliefert und dort an bedürftige Kinder, Familien und alte Menschen verteilen lassen.
Freiwillige Helfer hatten das ganze Jahr über Kleider, Schuhe und Matratzen zusammengetragen. Von den 33 Sammelstellen in der Schweiz wurden sie per Lastwagen nach Holland gefahren, wo die weite Reise aber erst begann. Frachtschiffe brachten die kostbare Ladung in einer rund dreiwöchigen Fahrt übers Mittelmeer ins Schwarze Meer. Im georgischen Hafen Poti wurden die Seecontainer bereits von den nächsten Lkw-Fahrern erwartet und tiefer in den Kaukasus chauffiert, bis in ihr Bestimmungsland Armenien.

Die Verteilung vor Ort organisierten dann die rund 200 einheimischen Mitarbeiter von "Diaconia International". Sie stellten sicher, dass die Hilfe tatsächlich in die richtigen Hände gelangte. Sie sortierten die Säcke, stellten Überlebenspakete zusammen und verteilten sie an über 40`000 notleidende Menschen.

"Diaconia Internationale Hilfe" ist seit acht Jahren in Armenien tätig. Schwerpunkte sich die Hilfstätigkeit für Kinder und das Grossprojekt "Dorf der Hoffnung". Vor allem über persönliche Patenschaften werden derzeit über 10`000 Kinder mit Lebensmitteln, Kleidern, Schulmaterial und medizinischer Hilfe versorgt.

Autoren: Lothar Mack/Bruno Graber
Quellen: Diaconia/Kipa/epd/Livenet

Datum: 28.04.2004

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