Jericho

«Warum schenken Christen den Moslems etwas?»

Jericho darbt. Die Voraussetzungen der tiefstgelegenen Stadt der Welt liegen buchstäblich im Keller. Lesen Sie den zweiten Teil unseres Gesprächs mit Karen Dunham, einer Amerikanerin, die den Ärmsten von Jericho hilft.

Für manchen Israeli ist Jericho ein Klein-Las-Vegas. Denn in Israel selber sind Kasinos verboten, nicht aber auf palästinensischem Boden. So führt ein Hotel in Jericho ein solches Spiellokal. Wir fahren daran vorbei. Die Anlage ist schön – vor allem schön leer. Die einarmigen Banditen «stehlen» zur Zeit nichts, weder Geld noch Zeit. Weil Israelis nicht nach Jericho hinein dürfen, wird in diesem Kasino eine ruhige Kugel geschoben. Der Stadt fehlen dadurch Einnahmen aus dem Tourismus. Auch um die übrige Wirtschaft steht es nicht gut. In den Flüchtlingslagern ist die Situation besonders hart. Karen Dunham will dort Hoffnung vermitteln, zum Beispiel indem sie kleine Säcke mit Reis verschenkt. Livenet besuchte die Amerikanerin in Jericho.

Livenet: Haben Sie schon Probleme gehabt, dass mehr Leute gekommen sind als Reis da war?
Karen Dunham: Auf unser Liste stehen 300 Namen von Menschen, die wir versorgen. Unsere Möglichkeiten zur Hilfe sind gewachsen. Bei einem Treffen mit dem Militär fragten sie mich, wieviel wir helfen könnten. Das hänge mit den Spenden zusammen, gab ich zu verstehen. Wenn mehr eingeht, können wir mehr Essen verteilen. Oder Kleider oder Hygienemittel oder eine Schultasche. Einzelne Schultaschen haben wir bereits weitergegeben. Die Kinder haben darüber nur noch gestaunt. Sie waren richtig schockiert, dass sie so etwas bekamen. Auch wenn die Frauen einen Sack Reis erhalten, brechen sie zusammen und weinen vor Dankbarkeit.

Führen Sie über Ihre Abgaben eine Statistik?
Damit fangen wir erst an. In ein paar Monaten können wir Zahlen liefern, zum Beispiel wie viele Menschen wir versorgen und für wie viele mehr das noch drinläge.

Sie stecken jeweils ein Stück Papier in den Reis: eine Schrift über den christlichen Glauben. Deswegen wurde vor Ihren Reissäcken auch schon gewarnt ...
Ja, in jedem Reissack haben wir eine christliche Schrift. Noch mehr Reaktionen haben wir auf den Film erhalten, den wir über unsere Arbeit gedreht haben. In allen Moscheen haben sie das moniert. Denn für diesen Reis sind die Leute aus ganz verschiedenen Flüchtlingslagern gekommen. Die Scheichs haben gewarnt: «Es sind Fremde da. Nehmt das nicht!» Aber je mehr sie das gepredigt haben, desto mehr Leute sind wegen unseren Reissäcken gekommen. Jetzt ist hier sehr viel los.

Es wurde aber auch gelogen, zum Beispiel dass wir zwar Reis gelagert hätten, aber sobald jemand käme, würden wir rausrennen und von Jesus erzählen. Unser Hausverwalter ist aber im palästinensischen Geheimdienst und hat gewusst, dass das nicht stimmt. Einmal wurde auch ein einheimischer Christ von der Hamas bedroht, weil er uns hilft. Sein Vater ist islamischer Prediger, und sie haben ihm dann grosse Probleme gemacht. Wir brauchen Gebet, damit die Leute im Glauben an Christus bleiben können.

Im vergangenen Jahr hatte man während des Ramadan Steine gegen unser Haus geworfen. Diese Leute stammten aber aus einem anderen Camp. Inzwischen hat sich das geändert. Es hat sich herumgesprochen, dass wir sehr vielen Leuten helfen. Die Güte Gottes verändert dadurch die Herzen.

Wie schaut Ihr Alltag aus?
Am morgen bete und singe ich für Gott, so dass ich seine Gegenwart über mir spüre und mit Frieden ausgefüllt bin. Dann kümmere ich mich um unsere Haustüre. Denn die Glocke läutet immer wieder. Wir sprechen mit den Leuten und hören uns ihre Probleme an. Wir geben ihnen dann einen Sack Reis oder beten für sie.

Und das bis Mitternacht?
Zehn Uhr abends kann das schon werden. Einmal haben wir Kleider vor den Eingang gehängt, so dass wir ein paar Stunden für uns hatten. Hier wird es immer lebhafter. Wir beten um mehr Helfer werden und dass wir noch professioneller arbeiten können.

Gestartet sind Sie sind hier nur mit Ihrem Sohn zusammen. Inzwischen machen also auch weitere Leute mit?
Ja, wir waren zunächst allein. Aber im Gebet hatten wir Rückhalt. Denn bevor wir hierher kamen, waren wir Missionare in Wales. In der dortigen Gebetsgruppe waren wir am Anfang 50 Leute, heute sind es 200. Und die wollen alle wissen, was Gott in Jericho tut. Früher mussten wir gegen Skorpione und schwere Bedingungen kämpfen. Heute haben wir eine Klimaanlage und Volontäre, die mithelfen. Es ist wie bei Josef. Erst war er im Verlies, aber dann kam er in höhere Positionen.

Kürzlich haben sich die Soldaten erkundigt, wann wir denn mehr Freiwillige erhalten. Ihnen liegt sehr daran. Sie haben uns sogar Visa ausgestellt, mit denen wir problemlos den Check-Point passieren können – egal wie die Sicherheitslage ist. Nach dem letzten Mord haben sie sich per Handy nachgefragt, ob wir okay sind. Ähnlich ist es mit den palästinensischen Sicherheitsleuten. Einer hatte eine Bibel vor sich und hat gemeint: «Mein Herz brennt. Hier drin stehen so viele gute Sachen über Jericho!»

Wir sehen, wie Gott hier am Werk ist und wie die Menschen mehr über den Glauben erfahren wollen. Auch mit der Polizei haben wir es gut. Wir haben auch der Frau eines Polizisten geholfen. Der Mann verdient wenig, und die beiden haben viele Kinder. Wir stossen auf ganz viele Leute, die mehr über das Christentum wissen wollen, auch Mitglieder in der Regierung. Ich staune nur noch.

Glauben Sie an einen christlichen Aufbruch unter den Palästinensern – der vielleicht sogar von Jericho ausgeht?
Ja, Jericho ist das Tor zum verheissenen Land. Es steht in der Bibel, dass Gott das Tal Achor, in dem Jericho liegt, zu einem Tor der Hoffnung macht [Hosea 2, Vers 17]. Manche kommen schon an die Türe und bitten um Bibeln, um Neue Testamente und Traktate. Einer hat mich gefragt, ob er auch so ein Heft haben könne, wie wir es mit dem Reis weitergeben. Das Interesse an Gottes Wort ist sehr gross. Wir haben schon mehrere tausend Schriften verteilt.

Wie werden Sie von der Regierung behandelt?
Als wir neu da waren, sollten wir uns mit jemand aus Arafats Regierung treffen, der Christ ist. Wir erhielten einen offiziellen Brief von ihm. Wegen Zwischenfällen mit der Hamas wurde der Termin aber zwei oder dreimal verschoben. Ich denke, dass dies von Gott war. Mir ist wohler, wenn ich mit der Politik nicht viel zu tun habe.

Obwohl eine christliche Schrift im Reispäckchen liegt, hör ich manchmal die Frage: Warum helfen denn Christen den Moslems und schenken ihnen Sachen? Oder noch häufiger: Warum helfen die Christen den Juden und nicht auch den Palästinensern? Ich sage dann: Bringt die Christen nicht um; die kommen, um zu helfen. Wir geben euch Säcke mit Reis. Wir beten für euch und wollen erfahren, wie es euch geht. Aus diesem Grund sind wir hier. Gebt uns eine Chance.

Lesen Sie morgen Teil 3: «Manchmal fauchen die Scheichs noch»

Webseite: www.livingbreadchurch.com

Datum: 06.01.2005
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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