Kastenlose in Indien

Menschenwürde für Dalits

Indische Christen kämpfen für die Gleichstellung und menschenwürdige Behandlung der Dalits, der Kastenlosen im Land. Das Oberste Gericht soll die staatliche Benachteiligung der Dalits aufheben, die der Hindu-Ordnung den Rücken kehren und Christen oder Muslime werden. Im Riesenland kommt es täglich zu Gewalttaten gegen Kastenlose - und manchmal zu bizarren Protestaktionen.

Dalits erhalten nach dem staatlichen Quotensystem, das eingerichtet wurde, um ihrer sozialen Misere abzuhelfen, einen bestimmten Prozentsatz von Studienplätzen und Beamtenstellen. Doch jene Dalits, die Christen oder Muslime werden, verlieren diesen Anspruch. Gegen diese Ungerechtigkeit kämpft ein Verbund von Organisationen an. Vor sechs Jahren wurde eine Klage beim Obersten Gericht eingereicht. Ob und wie es urteilen wird, ist weiterhin ungewiss.

Protest in Delhi

Um Druck zu machen, führten Vertreter von Dalit-Christen und -Muslimen am 21. Juli in der Hauptstadt New Delhi eine Protestveranstaltung durch, mit Unterstützung der Bischofskonferenz und des Nationalen Kirchenrats. Laut Berichten nahmen mehrere tausend Personen daran teil. Sam Paul vom Allindischen Christenrat AICC unterstrich die Forderung, die Verfassungsweisung von 1950 zu ändern, die Christen und Muslimen mit Dalit-Herkunft den Status der Dalits (und damit ihre Quotenberechtigung) abspricht. Die Bestimmung lautet, dass nur Hindus, Sikhs und Buddhisten auf die Liste der berechtigten Kasten (Scheduled Castes) kommen.

Laut Franklin Caesar, der den Protest organisierte, verletzt diese Bestimmung die verfassungsmässigen Rechte von Dalits - aufgrund von Religion dürfe nicht diskriminiert werden. Die Sprecher der beteiligten Organisationen unterstrichen, dass Christen und Muslime hier miteinander kämpfen. Sam Paul bewertete vor den Versammelten Gesetze positiv, welche die amtierende Regierung Singh zur Besserstellung der Landbevölkerung und der Frauen verabschiedet hat. Nun seien Dalit-Christen an der Reihe. Das Christentum wie der Islam sehen alle Menschen als Geschöpfe Gottes an.

Bürger wie Untermenschen behandelt

Vorfälle der letzten Wochen erhellen die dramatische Lage von Millionen Menschen, denen menschenwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen versagt werden, obwohl sie im modernen Indien grundsätzlich gleichberechtigte Staatsbürger sind und zwischendurch als Wähler umworben werden. Die Volkszählung 2001 ergab 167 Millionen Dalits. Regelmässig berichten Medien, dass Dalit-Mädchen vergewaltigt wurden, nicht selten von mehreren Männern. Der grösste Teil der Vorfälle wird jedoch nicht gemeldet.

Ehrenmord

Die Dalits stehen ausserhalb des Kastensystems der Hindus. Die Verachtung sitzt so tief, dass auch Angehörige der tiefsten Hindu-Kasten sich von ihnen abgrenzen und Ehen mit ihnen ablehnen. Sangeeta von der Hirtenkaste der Gujjar hatte sich in einen Dalitburschen aus ihrem Dorf in Uttar Pradesh (UP) verliebt. Die beiden zogen weg, heirateten und fanden in einer Satellitenstadt der Hauptstadt Delhi Arbeit. Als Sangeetas Familie davon Kenntnis bekam, überzeugte sie sie heimzukehren, angeblich um die Heirat im Dorf zu feiern. Als Sangeeta nichts ahnend eintraf, wurde sie von Vater und Bruder erdrosselt und auf einem Feld verbrannt. Auf eine Anzeige des Mannes hin forschte die Polizei nach und verhaftete die beiden und zwei weitere Personen.

«Die Kaste ist das grösste Problem dieses Landes. Die ungeheure Gewalt, welche Dalits von Tag zu Tag erleiden, trifft sie aus Kastengründen», schrieb Vidya Bhushan Rawat nach einem Gerichtsurteil. «Kinder werden brutal umgebracht - und wir schämen uns nicht einmal. Tatsächlich sind wir stolz, unsere Ehre zu ‚schützen‘, indem wir unsere Kinder, die zu lieben wagten, umbringen.» Der Menschenrechtler beklagt, dass der Kastenstolz die Menschen voneinander fernhält. Eine so zertrennte Gesellschaft könne aber keine demokratische Kultur aufbauen.

Durch Lehrer malträtiert

In Etawah (UP) haben fünf Dalit-Oberstufenschüler gegen die Misshandlung durch Lehrer protestiert. Sie seien, weil einer ein Handy auf sich trug, zu Boden geworfen und vom Schulleiter und vier Lehrern geschlagen worden. Die Schüler traten in den Hungerstreik, der Schulinspektor des Distrikts untersuchte den Vorfall. Der Schulleiter hatte ihn geleugnet.

Fäkalien-Protest

Kastenhindus suchen sich kultisch reinzuhalten; schmutzige Arbeiten sind den Dalits überlassen. Die Gruppe, die Fäkalien beseitigt, wird besonders verachtet. Seit 70 Jahren hatten Bhangi dies in der Stadt Savanur im Norden des Gliedstaats Karnataka getan. Sie hausten in primitiven Hütten auf städtischem Land. Kürzlich entschieden die Behörden, dort Geschäftsbauten zu erstellen. Als die Bhangi nicht wichen, stellte die Stadt ihnen das Wasser ab und liess Kehricht vor den Hütten ausleeren. Frauen der Gemeinschaft wurden beschimpft und bedroht. Zu den Einwänden der Bhangi stellte man sich taub. Am 20. Juli griffen sie zu einer extremen Form des Protests: Sie marschierten zur Amtsstelle und übergossen sich selbst mit Fäkalien. Auch dies brachte die Behörden nicht vom Entscheid ab, sie zu vertreiben. Ein Beamter behauptete, man habe den Bhangi verschiedentlich andere Wohnungen angeboten.

Ein Gericht im Gliedstaat Maharashtra hat Todesstrafen für den Mord an vier Dalits 2006 in 25jährige Haftstrafen umgewandelt. Sechs Männer waren 2008 zum Tod verurteilt worden, weil sie im entlegenen Dorf Khairlanji eine Mutter und drei Kinder im Zuge eines Landstreits getötet hatten. Zwei erhielten damals lebenslänglich, drei wurden freigesprochen. Der Mob hatte die Dalits aus ihrer Erdhütte gezerrt und geschlagen und die Mutter und Tochter vergewaltigt. Der Vater konnte entkommen; er sah den Untaten hilflos zu und strengte später mit Hilfe von Bürgerrechtlern ein Verfahren an.

Die Delegierten der Elften Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) in Stuttgart haben den LWB am Montag aufgefordert, die Befreiung und die Wiederherstellung der Menschenwürde von 250 Millionen unterdrückten und diskriminierten Dalits in Indien, Nepal und anderen Regionen Südostasiens zu einer Priorität in seiner Mission, seiner Arbeit und seinem Zeugnis vom Evangelium Jesu Christi zu machen. Damit wurde das Votum der letzten LWB-Vollversammlung im kanadischen Winnipeg 2003 bekräftigt.

Zum Thema:
http://www.indianchristians.in/

Quelle: Livenet / indianchristians.in

Datum: 26.07.2010
Autor: Peter Schmid

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