Gjilan – «Mordor» ist farbenfroh geworden

Im Kosovo steht noch längst nicht alles zum Besten. Aber aus den Ruinen des vernichtenden, serbischen Feldzuges sind Städte entstanden, mit einer jungen, bunten und freundlichen Generation. Und auch eine christliche Gemeinde ist am Entstehen.

Der heftige Spätsommerregen kommt überraschend und treibt die bunte Passantenschar in die vielen Strassenkaffees. «Vor zehn Jahren wurde hier geschossen», sagt ein älterer Kosovare, der spontan zu einem einheimischen Peja-Bier geladen hat. Er blickt auf die zweispurige Strasse, die in einen Kreisverkehr mündet. Der Krieg war übel, und er wütete auch hier in Gjilan. Der Waffengang der Serben gegen die Kosovaren wurde von manchen Reportern mit dem finsteren Mordor verglichen, welches J.R.R. Tolkien in seinem Epos «Herr der Ringe» zeichnete.

Die Schreckgespenster der Vergangenheit sind auf der Strasse nicht mehr zu sehen. Viele junge Menschen drängen sich durch die Strassen der 100‘000er Stadt im Südosten des Kosovo. Die Mädchen sparen nicht mit greller Schminke, dafür umso mehr beim Stoff und auch die Männer scheinen dem Modekatalog eine Nummer voraus zu sein. Laute Musik dringt aus den zahlreichen Kneipen, Händler versuchen mit mässigem Erfolg geröstete Maiskolben ans hippe Volk zu bringen. Wenig erinnert daran, dass das Land islamisch ist. Etwa der Mann mit Bart, der vor der Moschee zum Eintreten lädt - hier und in den meisten anderen Städten wird der Stoff nicht als Schleier genäht, sondern als Mini und Top.

Leiter auf der Leiter

Die Sonne im Rücken, steht Geni Begu auf einer Leiter und arbeitet am Rohbau eines privaten Kindergartens. Früher leitete er die evangelische Allianz Albaniens. Dann begann er nochmals «von vorne». Im Kosovo ist der Albaner Gemeindebauer. «Hier eröffnen wir einen privaten Kindergarten, für 34 Kinder», schildert Begu nach einer Führung durch das zweistöckige Gebäude. Es ist der erste private Kindergarten, daneben existieren zwei staatliche. «Unsere Schule ist nicht religiös, das Programm auch nicht, das würde nicht gehen.»

Seit mehr als einem Jahr finden im Gemeindelokal, das ein paar Strassen entfernt liegt, regelmässig Jugendtreffen statt. Vor zehn Jahren lebten in der Stadt keine Christen, schildert Geni Begu; inzwischen rechnet er mit sechzig Gläubigen.

«Sie denken, dass Christen sie töten wollen!»

Nur wenige haben zum Glauben an Jesus gefunden in Gjilan. Trotzdem sagt Geni, er sei ermutigt. «Wir haben hier nun eine starke Präsenz und die Menschen können biblische Christen kennenlernen.» Man müsse sensibel sein. Nicht wegen dem Islam, der ist traditionell und wird kaum ausgelebt. Dennoch brauchen die Menschen Zeit. «Sie müssen sehen können, dass wir eine gute Nachricht bringen.» Der Aufbau von Beziehungen sei wichtig. «Immer wieder werden wir gefragt, was ist bei euch anders, kannst du uns sagen, was du glaubst? Warum bist du anders, warum fluchst du nicht, warum lügst du nicht? Warum betrügst du nicht? Gemeindebau ist hier nicht etwas, das man von 8 bis 17 Uhr tut.»

Manche sehen das Christentum als Feind, denn im Krieg war es eine christliche Nation, die den Kosovo überfiel. «Deshalb ist es wichtig, dass sie uns kennenlernen, durch Nähe und Liebe. Sie staunen, denn sie denken, dass Christen sie töten wollen; sie erlebten das durch die Serben. Darum ist das Freundschaftsevangelium wichtig.»

Sex und Rock'n‘Roll - man kann fast über alles reden

Manchmal geht Geni mit seiner und anderen Familien in Stadt und singt Lieder im Park. «Das sieht aus wie ein Familienfest, bei dem auch gesungen wird. So kommen wir mit Leuten ins Gespräch.» Oder vor ein paar Wochen war eine Hip-Hop-Crew aus London da.

Der Kosovo zeigt sich als materialistisches, globalisiertes Land. Auch wenn im noch jungen Staat vieles nicht so ist, wie sich viele wünschen. Die Arbeitslosigkeit ist gross, die Löhne gering, der Nachschub durch Freunde und Verwandte im Exil essentiell.

Trotz der Säkularisierung zeigt sich der Islam präsent. Im Alltag unbeachtet, tritt er dann in den Vordergrund, wenn ein anderer Glaube ins Spiel kommt. Geni Begu: «Man kann hier im Kosovo über alles reden, auch mit den älteren Menschen - alles geht, man kann über Sex reden, Rock'n'Roll, Hip Hop - alles. Aber wenn man über Jesus spricht, ist eine Blockade da, eine Mauer. Eine Mauer der Angst.»

Sehen und gesehen werden

In den letzten zweieinhalb Jahren hätten sich Lebensstil und Gesinnung stark verändert. «Wenn man in der Hochsaison kommt, ist man total schockiert. Die Art der Kleidung ist so extravagant. Man fragt sich, wie sich Moslems so anziehen können. Sie sind lange in den Pubs und brauchen viel Geld, auch für Kleider und Make-up. Der Schein ist hier sehr wichtig.» Mit schnittigen Autos, viele davon mit Kennzeichen aus der Schweiz und Deutschland, kurven junge Exil-Kosovaren in der Ferienzeit durch die Strassen der Dörfer und Städte in der Heimat. Sehen und gesehen werden. «Die Leute sind hier frei vom Islam sind - ausser wenn es um die Bibel geht, dann sind sie sehr streng.»

Es braucht einen langen Atem

Offiziell ist der Kosovo ein säkulares Land. Fakt ist, dass die evangelischen und die jüdischen Gläubigen anerkannt sind; obschon kaum Juden im Kosovo leben, wollte die Regierung ein politisches Zeichen setzen.

Manche Einheimischen überlegen zusehends, woher ihnen die Hilfe kommt. Verschiedene christliche Staaten anerkannten den südeuropäischen Staat, nachdem dieser am 17. Februar 2008 gegründet wurde. Islamische Nationen taten dies laut Begu nicht. Verschiedentlich sind neu gebaute, kleine Moscheen zu sehen. Mit Geld aus Saudi-Arabien. Der Schweizer Kosovo-Kenner Beat Forster schildert: «Die Christen bauen Schulen und Krankenhäuser. Die islamischen Staaten Moscheen.»

Noch brauche es im Kosovo viel Heilung, sagt Geni Begu. «Das Evangelium ist da zum Heilen und Wiederherstellen.» In einer Gegend kenne er in jeder Familie jemanden, der depressiv sei oder gepflegt werden müsse. «Man braucht einen langen Atem hier.»

Wie tief der Stachel sitzt, zeigt beispielsweise die Strecke zwischen Prizren und Decan. «Diese Häuser baute Milosevic für seine Beamten», schildert Beat Forster. In Reih und Glied steht eine lange Häuserkette, die Gebäude gleichen sich wie ein Ei dem anderen. «Alle höheren Positionen besetzte Milosevic mit Serben. Die Kosovaren hatten Schikane und hohe Abgaben zu ertragen.» Im Gegensatz etwa zu Slowenien und Kroatien war es den Kosovaren nicht möglich, sich vom ehemaligen Jugoslawien abzuspalten, als Slobodan Milosevic seinen Traum von Grossserbien immer mit offeneren Augen und Waffengängen auslebte.

Für die nächste Generation

Wertvoll ist daher, dass unter den im Kosovo engagierten Christen manche aus Albanien stammen, so wie Geni Begu. «Wir litten ebenfalls und sprechen die gleiche Sprache, je näher man an der Kultur ist, desto besser versteht man die Lage.»

Er selbst sei einer der ersten albanischen Christen, nachdem früher, unter dem Kommunismus bis 1990, jede Ausübung der Religion verboten war. Beat Forster arbeitete damals in Albanien als Missionar und half nahe der Grenze einer Vielzahl Flüchtlinge. Inzwischen sendet Albanien selbst Missionare aus.

Das wünschen sich Beat Forster, der sich auch in der Schweiz für Albaner und Kosovaren engagiert und Geni Begu auch für den Kosovo. Begu: «Es wird mehrere Dekaden gehen und es ist Gott, der die Kirche baut, es hängt von ihm ab. Mit einer anderen Einstellung wird man hier depressiv. Man kann hier sehr viele Probleme sehen. In Albanien ist in den 1990er zuerst auch wenig geschehen, und dann ist die Zahl stark gewachsen.»

Man baue auch für die nächste Generation, ohne selbst nachlässig zu werden. Es brauche Leidenschaft. Und die ist da. Bereits jetzt denkt Geni Begu einen Schritt weiter: «Strategisch liegt Gjilan wichtig, zwanzig Kilometer von der Grenze zu Serbien und Mazedonien entfernt. Auf beiden Seiten leben Albaner», auch sie will Begu mit der liebenden Botschaft des Jesus von Nazareth erreichen.

Links zum Thema:
www.frontiers.ch (unterstützt die Arbeit im Kosovo)
Beat Forster leitet das Albaner-Netzwerk in der Schweiz

Datum: 01.10.2009
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Jesus.ch

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