Leben realistischer betrachten

Die grosse Fälschung der Sicht auf die Welt

«Menschen neigen dazu, uns ihre eigene Welt vorzugaukeln. Vorlieben und Persönlichkeit bestimmen dieses Weltbild. Das ist nicht nur realitätsfern, sondern lenkt von existenziellen Themen wie Tod oder Gott ab.»

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Psychiater und Theologe Manfred Lütz
Das die These vom Psychiater und Theologen Manfred Lütz, die er in seinem neuen Buch «Bluff! Die Fälschung der Welt» vertritt. Ein grosser Schwindel gehe um in dieser Welt. Alle Menschen fallen ihm anheim, seien sie reich oder arm, skeptisch oder naiv. Er hält die Menschen davon ab, sie selbst zu sein.

Diese düstere Diagnose stellt Manfred Lütz, Leiter des Kölner Alexianer-Krankenhauses, der mit mehreren Verkaufsschlagern wie «Gott. Eine kleine Geschichte des Grössten» bekannt geworden ist. Wie jeder gute Arzt diagnostiziert er jedoch nicht nur, sondern schlägt auch eine Therapie vor, einen Ausweg aus dem «Bluff», der zum «eigentlichen Leben» und zur «eigentlich wirklichen Welt» führt und allen getäuschten Menschen offen steht.

Unter seinesgleichen

Krank an dem Gehabe der Menschen sei, die jeweilige Weltsicht als die einzig wahre gelten zu lassen, erklärt Lütz. Grundsätzlich habe jeder Mensch seine Lieblingsmeinung, eigene Vorlieben und Themen, über die er am liebsten spricht – während jemand anderes dies völlig langweilig finden könne. Menschen bewegten sich in den Milieus, in denen sie sich wohl fühlen.

Gott ausgeblendet

Dieses Arrangement mit der eigenen Lebenswelt werde dann problematisch, wenn Menschen andere Meinungen gar nicht mehr wahrnähmen oder unbequeme Grundfragen der Existenz ausblendeten. Diese Fragen blieben «gut versteckt hinter dem lärmenden Maskenzug einer aus ganz vielen Welten zusammengesetzten künstlichen Welt, die sich machtvoll vordrängt und in der der Tod, der wirkliche Tod, nicht vorkommt, die Liebe nicht und auch das Gute, das Böse oder Gott.»

Hinzu komme, dass Teile der Gesellschaft – etwa die Naturwissenschaft – ebenfalls der Welt ihre einseitige Sicht der Dinge aufdrücken wolle. Als Beispiel führt Lütz den englischen Evolutionsbiologen Richard Dawkins an. Wissenschaftler wie er «behaupten einfach lauthals, diese wissenschaftliche Welt sei alles, was es gibt». Aus diesem Grund lehne Dawkins alle anderen Welterklärungen, etwa die der Bibel, grundsätzlich ab.

Selbstkritik

Dieser «wissenschaftliche Fundamentalismus» widerspreche jedoch sogar dem Selbstverständnis der Naturwissenschaften, nur einen Aspekt der Welt zu erfassen. Und nur als solche habe sie ihr Recht. «Wer die Wissenschaft als kritisches Dauerprojekt respektiert, wird ihr gerecht. Wer an die Wissenschaft glaubt, gründet bloss eine weitere Sekte mit einer kitschig gefälschten Welt für naive Gläubige.»

Alles ist relativ

Wie die Wissenschaft drängten sich auch andere Gesellschaftsbereiche wie die Wirtschaft oder der Medien dem Menschen auf. Lütz führt viele Beispiele an, um einen einfachen Grundgedanken zu belegen: die Dinge dieser Welt erscheinen dann in einem falschen Licht, wenn sie sich verabsolutieren oder verabsolutiert werden. Dadurch verwische die Tatsache, dass sie nur vorläufigen Charakter hätten.

Eine andere Sicht

Wie sieht der Ausweg aus? Die Menschen, mahnt Lütz, müssten sich wieder bewusst machen, dass sie sterben werden. Zwar sei der Tod ständig in den Medien präsent, etwa bei Action-Filmen, doch im Grunde lenke dies den Menschen davon ab, wie real der Tod wirklich sei. Aber durch den «sicheren Tod (…), der uns allen unentrinnbar bevorsteht, erscheinen das Leben und die Welt in einem ganz anderen, in einem merkwürdig plastischen, realen Licht».

Dass alles in dieser Welt vorläufig ist und daher relativiert werden muss, sei ein kluger und richtiger Gedanke. Ob das Bewusstsein für die Sterblichkeit tatsächlich dazu führt, auf diesen Gedanken zu kommen, sei dahingestellt. Zumal Lütz die Endgültigkeit des Todes dann doch in Frage stellt. Als Beleg führt er die «ursprüngliche Erfahrung der Menschheit» an, dass mit dem Tod «in Wirklichkeit nicht alles aus ist».

Aus christlicher Sicht ist mit dem Tod tatsächlich nicht alles aus. Christen begründen das aber nicht mit einer vagen menschlichen Erfahrung, sondern mit dem, was Jesus getan hat. Er hat den Tod überwunden. Dieses Heilshandeln Gottes eröffnet die Perspektive auf die Ewigkeit, die im Buch leider nur vage angedeutet ist. Abgesehen von dieser theologischen Unschärfe hat Lütz ein lesenswertes und aufklärerisches Buch geschrieben.

Bücher zum Thema:
Bluff! Die grosse Fälschung der Welt – Manfred Lütz

Weitere Bücher von Manfred Lütz:
Der blockierte Riese. Psycho-Analyse der katholischen Kirche
Lebenslust. Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult.
Das Leben kann so leicht sein. Lustvoll geniessen statt zwanghaft gesund
Gott. Eine kleine Geschichte des Grössten.
Irre! Wir behandeln die Falschen – unser Problem sind die Normalen: eine heitere Seelenkunde.

Datum: 10.10.2012
Quelle: Livenet.ch / Pro Medienmagazin

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