Thomas Härrys dritter Streich

«Entscheidend ist die Persönlichkeit»

Mit seinem Buch «Von der Kunst, sich selbst zu führen» vermittelte der Schweizer Autor und TDS-Dozent Thomas Härry Impulse zur Selbstführung. Diese wurden dankbar angenommen, wie die hohen Verkaufszahlen und die vielen Anfragen für Referate in Kirchen belegen. Nun widmet er sein neues Buch der «Kunst des reifen Handelns». Livenet unterhielt sich mit Härry über seine Leadership-Buchreihe.

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Thomas Härry
Livenet: Was war überhaupt der Auslöser, dass Sie anfingen, über Leadership zu schreiben?
Thomas Härry:
Es war nichts anderes als pure Überlebensstrategie, dass ich mich mit diesen Themen tiefer beschäftigt habe. Die Herausforderungen im Pfarramt zum Beispiel waren so breit, dass ich Wege suchen musste, wie ich sinnvoll damit umgehen kann. Was meine Bemühungen dann noch befeuert hat, war ein Zitat von Peter Drucker, einem der Pioniere der modernen Managementlehre. Er sagte: «Nur wenige Führungskräfte sehen ein, dass sie letztlich nur eine einzige Person führen können und auch müssen. Diese Person sind sie selbst.»

War es von Anfang geplant, eine mehrteilige Reihe zu schreiben?
Nein, da war kein Konzept dahinter, als ich mit dem Buch zur Selbstführung anfing. Auch wenn die Bücher jetzt wie eine schöne Trilogie daherkommen, hat es sich doch Schritt für Schritt so entwickelt. Es war immer eine konkrete Situation mit aktuellen Fragen, die den Anstoss gab, in diese Richtung weiterzuschreiben. Bei den ersten beiden Büchern konnte ich vieles aus meinen Referaten als Dozent am TDS Aarau einfliessen lassen. Überraschend war für mich das riesige Echo nach Veröffentlichung des Buches «Von der Kunst, sich selbst zu führen». Es schien, dass ich damit vielen Menschen in verantwortungsvollen Positionen helfen konnte. Das Buch zur Führung anderer war dann eine logische Fortsetzung davon.

Und was ist der Hintergrund des neuen Sachbuchs über «Die Kunst des reifen Handelns»?
Bei diesem Buch war alles ein bisschen anders. Hier konnte ich auch nichts aus meinen Referaten am TDS übernehmen. Ich merkte durch die Auseinandersetzung mit dem ersten Buch über die Selbstführung, dass eigentlich vor der Selbstführung noch etwas anderes kommen müsste. Irgendwie fehlte da noch etwas, das eine Voraussetzung für gute Selbstführung ist: eine reife Persönlichkeit. Darum geht es in diesem neuen Buch über die «Kunst des reifen Handelns». Nur eine reife Persönlichkeit ist in der Lage, sich selbst auch gut zu führen. Genaugenommen müsste dieses Buch am Anfang meiner Trilogie stehen.

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Buchcover «Die Kunst des reifen Handelns»
Was heisst es für Sie, eine reife Persönlichkeit zu sein?
Lassen Sie mich damit anfangen, was es sicher nicht heisst. Eine Persönlichkeit sein heisst nicht, keine Macken zu haben, keine Grenzen, Unvollkommenheiten oder Einseitigkeiten. Persönlichkeiten sind keine glatt polierten Wesen, sondern ganz normale Menschen mit ganz normalen Stärken und Schwächen. Was sie ausmacht, ist nicht, dass sie perfekt sind und alles im Griff haben. An einer Stelle aber schauen sie gut hin und stellen sich dem Ruf zur Veränderung: dort, wo sich problematische Wesenszüge und Verhaltensweisen zeigen. Lange Schatten. Muster, mit denen sie anderen, sich selbst und ihren Aufgaben schaden.

Warum ist Persönlichkeit so entscheidend?
Gutes Handeln als Eltern, Freunde, Arbeitskollegen und Führungskräfte ist nach meiner Einschätzung von drei wesentlichen Faktoren abhängig: von den Umständen, den Kompetenzen einer Person und ihrer Persönlichkeit. Manchmal sind die Umstände alles andere als optimal. Solange aber die anderen beiden Faktoren positiv sind, ist dennoch Grossartiges möglich. Am Ende bin ich überzeugt, dass die Persönlichkeit mehr zählt als die Kompetenz.

Haben Sie ein Beispiel dafür, damit man sich etwas mehr darunter vorstellen kann?
Ich schreibe in meinem Buch von einem Schulleiter, der neu zu einer gut aufgestellten Schule kam. Die Lehrteams arbeiteten optimal zusammen, viele waren schon seit Jahrzehnten dort. Er selbst konnte ausgezeichnete Zeugnisse vorweisen. Auffallend war nur, dass er nie länger als zwei Jahre an einer Stelle gearbeitet hatte. Aber davon abgesehen sah alles bestens aus. Ein Jahr später herrschte Krisenstimmung. Der neue Schulleiter säte durch sein Verhalten Misstrauen unter den Lehrpersonen. Er fühlte sich rasch angegriffen, schrieb beleidigte und beleidigende E-Mails. Traf willkürliche Entscheidungen. Nach vergeblichen Interventionsversuchen traten vier von sechs Personen aus der örtlichen Schulbehörde zurück. Schliesslich verloren einige Lehrkräfte die Geduld und kündigten ebenfalls. Erst als Eltern aktiv wurden, entliess der Kreisschulrat den Schulleiter, und es kehrte langsam Ruhe ein.

Was ist denn Ihre Definition einer reifen Persönlichkeit?
Meine Definition, wie sie auf Seite 19 in meinem Buch zu finden ist, lautet: «Eine 'Persönlichkeit' ist ein innerlich gefestigter, gesund entwickelter und reifer Mensch, der sich verantwortungsvoll dem Leben und seinen Aufgaben stellt. Er ist fähig, die Beziehung zu Gott, zur Welt zu sich selbst und anderen Menschen auf förderliche Weise zu gestalten. Er leistet seinen Beitrag in Familie, Beruf, Gesellschaft und dem Reich Gottes.»

Zur Person

Thomas Härry, Jahrgang 1965, wohnt mit seiner Frau und drei Töchtern im schweizerischen Aarau. Nach mehrjähriger Tätigkeit als leitender Pastor einer evangelischen Kirche arbeitet er heute als Autor, als Dozent für Neues Testament und Gemeindearbeit am Theologisch-Diakonischen Seminar Aarau und als freier Referent.

Zum Buch:
«Die Kunst des reifen Handelns»

Mehr zum Buch

Zum Thema:
Männerforum in Aarau: Thomas Härry: «Wir sind fast wie Gott»
«Sterne leuchten nachts»: Auch in schlechten Zeiten an Gott festhalten

Freiheit und Selbstmanagement: Andere und sich selbst zur Freiheit führen

Datum: 05.02.2018
Autor: Florian Wüthrich
Quelle: Livenet

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