Glaubenszweifel
und Authentizität sind Paul Bruderer wichtig. Im Livenet-Talk spricht der
Pastor, Pionier und Portalbetreiber unter anderem über politisches Engagement,
gesunden Umgang mit Fragen und Machtmissbrauch.
Livenet-Talk vom 1. Februar 2022: Paul Bruderer und Florian Wüthrich im Gespräch (Bild: Screenshot Livenet)
Seit 20 Jahren ist Paul Bruderer Pastor in der
Chrischona Frauenfeld. Träge geworden ist er aber nicht, sondern blieb in
seinem Herzen stets ein Pionier und offen, Neues zu probieren. Livenet-Chefredaktor Florian Wüthrich und das Videoteam besuchten Paul Bruderer in Frauenfeld.
Daniel Option
Ein neues Projekt von Paul ist die Daniel Option (Livenet berichtete).
Im Blog werden Beiträge zu verschiedenen relevanten Themen veröffentlicht.
Darunter sind auch heikle Punkte wie die Organspende, Abtreibung oder
Homosexualität. Die Beiträge werden oft über die sozialen Meiden geteilt und
viele Leser reagieren positiv darauf.
Wie politisch sollen wir sein?
«Als Christen müssen wir uns politisch äussern»,
ist Paul überzeugt. «Wilberforce, der sich in England sehr stark für die
Abschaffung der Sklaverei eingesetzt hat, würde sich im Grab umdrehen, wenn wir
dies abstreiten.» Das Problem sei, dass Christen sich in politischen Fragen
oftmals uneinig sind. «In unserer Gemeinde handhaben wir es so, dass wir uns in
denjenigen Themen engagieren, wo sich die evangelikale Welt einig ist.»
In den
meisten politischen Fragen bestehe die Freiheit, unterschiedlicher Meinung zu sein.
Bei Themen wie der Abtreibung sollten sich Christen aber eine machen und aktiv
sein. «Wir sollten gerade deshalb aktiv sein, weil uns die betroffenen Menschen
ein Anliegen sind.» Paul versteht Christen, die sich politisch nicht äussern,
um Spaltungen zu vermeiden, ist aber überzeugt, dass ein politisches Engagement
bei manchen Themen wichtig ist.
Gemeinde von Jesus ist Hoffnung für
unsere Gesellschaft
Paul Bruderer im Livenet-Talk (Bild: Screenshot Livenet)
«Es ist einfach, politisch aktiv zu sein, wenn
wir mit dem Mainstream gehen», sagt Paul. «Meiner Beurteilung nach geht die
Entwicklung von einer jüdisch-christlichen Weltanschauung weg. Wir entwickeln uns
zu einem neuen Heidentum. Und da liegen wir Christen natürlich quer in der
Landschaft.» Der Pastor ist motiviert durch die ersten Christen. Diese haben die
damalige Kultur mit einem Sturm von Liebe und Hingabe erobert. «Deshalb habe
ich keine Angst, sondern weiss, dass wir in unserer Weltanschauung alle
Ressourcen haben, um eine attraktive Gegenkultur zu entwickeln.»
Paul glaubt,
dass viele Opfer der neuen Ideologien im Christentum Zuflucht finden werden.
Das gelinge aber nur, wenn wir integer sind und entsprechend unserer
Weltanschauung leben. «Auch die ersten Christen waren herausgefordert, ihre
Einstellung zu ändern und – in der Kraft des Geistes – entsprechend zu leben.» Das
funktioniere nicht einfach von selbst. «Bei uns entwickelt sich nicht alles
gut. Ich glaube aber, dass die Gemeinde von Jesus die Hoffnung für unsere
Gesellschaft ist.»
Praktische Herausforderungen der aktuellen Zeit
«Ich erlebe eine herausfordernde Zeit.» Paul
erwähnt Todesfälle und Jugendliche, die psychiatrisch behandelt werden müssen.
«Es ist eine psychisch belastende Zeit.» Paul ist aber überzeugt, dass Jesus
durch diese Zeit hindurchtragen wird.
Als Teenager durchlebte er eine grosse
Glaubenskrise. «Eine Überzeugung nach der anderen lösten sich bei mir auf, ohne
dass ich wusste warum.» Vergeblich versuchte er zu glauben. «Ich rief zu Gott,
bis ich depressiv wurde.» Das Buch «Die Bibel im Test» von Josh McDowell holte ihn in seinen Zweifeln
ab und weckte neuen Glauben. «Heute verstehe ich Menschen, die ihren Glauben in
Frage stellen und begleite sie gerne auf ihrem Weg.»
Postevangelikalismus
«Ich habe Verständnis, wenn Menschen ausbrechen,
weil gewisse Fragen in ihren Gemeinden nicht gestellt werden dürfen.» Wer sich
mit Fragen und Einwänden nicht ernstgenommen fühlt, sucht jemanden, der
Antworten liefert. «Ich bin aber nicht einverstanden mit Antworten, in welchen
die Grundsätze des historischen Christentums verlassen werden. Das ist für
Menschen auch nicht hilfreich.» In seiner Gemeinde führe Paul hin und wieder
Abende unter dem Motto «keine Frage ist tabu» durch. «Die wirklichen Fragen
kommen dann aber erst nach dem Anlass, bei Gesprächen unter vier Augen.»
Daniel Option gibt sich zuweilen sehr
kämpferisch, während andererseits Meinungen viel Raum gegeben wird. Hier
unterscheidet Paul: «Wenn Influencer mit ihrer Lehre den Glauben aufweichen,
habe ich eine starke Kritik. Für Christen, die mit ihren Fragen ringen, habe
ich jedoch viel Verständnis. Es ist sogar gesund, mit Zweifeln zu ringen.»
Halleluja-Kolumnen
Der Halleluja-Kolumnist Sam Urech wird neuen
Aufgaben nachgehen und bat Paul Bruderer, seine Nachfolge anzutreten. «Als Sam
mich anfragte, die Aufgabe zu übernehmen, merkte ich sofort: Ich kann dies
nicht jede Woche tun.» Deshalb stellten sie ein Team zusammen. In einer
dreimonatigen Testphase soll bestimmt werden, wie es mit der Halleluja-Kolumne
weitergeht. «Nächste Woche werde ich die erste Kolumne schreiben», sagt Paul
und hofft, dass es auf eine gute Weise weitergehen kann. Die Kolumnen auf
nau.ch sind eine gute Möglichkeit, um kirchendistanzierten Menschen Impulse zum
Glauben zu geben.
Über Machtmissbrauch von Leitern
«Ich kann nicht sagen, nie Macht missbraucht zu
haben und kann auch nicht sagen, in Zukunft nie Macht zu missbrauchen», sagt er zu dem Thema. Als
Paul in der Gemeinde Verantwortung übernahm, hat er ein paar Leute gebeten, ihn
zu konfrontieren, wenn sie sehen, dass er Macht missbraucht. «Ich will
Rechenschaft ablegen.»
Transparenz und Integrität sind ihm wichtig. In seiner
Gemeinde habe er sich schon mehrmals entschuldigen müssen. Was Transparenz und
Rechenschaftsbeziehungen betrifft, sei die neutestamentliche Gemeinde ein
Vorbild.