Gottes Wort begreifen ist ein Prozess

Gewisse Bibeltexte nicht auf Anhieb zu verstehen, ist eine ganz normale Erfahrung. Jeder Leser und jede Leserin der Heiligen Schrift begibt sich auf einen Weg des Lernens, auf dem man erst nach und nach zu verstehen beginnt, was einem da begegnet.

Manches in der Bibel ist tatsächlich schwierig zu verstehen. Das müssen selbst erfahrene und biblisch-theologisch gebildete Leserinnen und Leser eingestehen. Gewisse Aussagen von Jesus oder einige seiner Gleichnisse sind undurchsichtig, zumindest mehrdeutig. Manche Anweisungen, welche die Apostel in ihren Briefen an die damaligen Christinnen und Christen geben, kommen uns vor wie aus einer anderen Welt. Wie man diese in unseren Lebensalltag übertragen soll, scheint uns schleierhaft. Ganz zu schweigen von prophetischen Schriften oder vom letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, die in herrlichen, aber auch furchterregenden Bildern von kommenden Ereignissen berichten. Da bleibt uns vieles verschlossen und geheimnisvoll. Noch stärkere Distanz spüren wir manchmal, wenn wir im Alten Testament lesen. Was haben die Kriegsgeschichten des Volkes Israel mit uns zu tun. Hat nicht Jesus Gewaltlosigkeit gepredigt? Ist das wirklich derselbe Gott?

Alte und dennoch aktuelle Texte

Gründe für dieses uns Fremde gibt es viele: Zunächst ist es die zeitliche Distanz. Die Geschehnisse, von welchen die Bibel berichtet, liegen 2000 Jahre, ja 4000 und mehr Jahre zurück. Dann gibt es die geographische beziehungsweise kulturelle Distanz zu überwinden: Die Bibel wurde im Orient geschrieben. Aus westlicher Sicht des dritten Jahrtausends nach Christus begegnen uns in diesen Texten andere Lebensweisen und ein anderes Denken. Kein Wunder also, dass wir vor manchen Handlungen und Aussagen ratlos sitzen, wenn wir sie heute in der Bibel zum ersten Mal lesen. Und man darf sich ruhig fragen: Lohnt es sich wirklich, sich da hinein zu vertiefen? Ja, tausend Mal, wird jeder erfahrene Bibelleser bezeugen. Denn der Mensch ist noch der gleiche. Die Grundfragen des Lebens sind noch immer dieselben. Die „Betriebsanleitung“ Gottes für sein Geschöpf, den Menschen, bleibt auch in der Zeit von Autos, Flugzeugen und Computern aktuell. Nur braucht es etwas Zeit und Hingabe von uns Lesenden und auch die Hilfe des Heiligen Geistes, um die Texte zu verstehen – nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen.

Was aber tun, wenn wir stellenweise nichts mit dem Bibeltext anfangen können? Vielleicht helfen Ihnen diese drei Ideen weiter:

1. Lassen Sie sich nicht beirren und lesen Sie einfach weiter. Lesen Sie so lange weiter, bis wieder eine Stelle kommt, mit der Sie etwas anfangen können. Wenn wir davon ausgehen, dass die Texte der Bibel von Genesis 1 bis Offenbarung 22 irgendwie zusammenhängen, werden Sie mit zunehmender Kenntnis der Bibel immer mehr hinter deren Bedeutung kommen. Wenn wir weiter davon ausgehen, dass Sie durchschnittlich täglich ein Kapitel lesen, sind Sie in etwas mehr als drei Jahren durch die ganze Bibel gelangt. Ich will damit sagen: Bei jedem weiteren Mal, bei dem Sie einen Text lesen, werden Sie ihn mit anderen Augen sehen und mehr davon verstehen. Auch nach mehreren Jahrzehnten, in denen ich die 66 Bücher durchwandert habe – zugegeben, nicht alle gleich oft und gleich intensiv –, verstehe ich manches nicht. Aber ich habe immer wieder so viel an Neuem entdeckt. Es ist eine fantastische Erfahrung: Man kann einen Text der Bibel dutzende Male lesen und er kann einem immer wieder etwas Neues sagen. Und das hängt nicht nur von meiner Tagesform ab, sondern auch von meiner Lebenssitutation, in die Gott durch sein Wort hineinsprechen will.

Die Lektüre der Heiligen Schrift ist für mich heute spannender denn je. Es gibt ja den bekannten Satz, der dem amerikanischen Schriftsteller Mark Twain („Die Abenteuer Tom Sawyers“ und „Abenteuer und Fahrten des Huckleberry Finn“ etc.) zugeschrieben wird: "Was mich an der Bibel stört, sind nicht die Teile, die ich nicht verstehe, sondern diejenigen, die ich kapiere." Anders gesagt: Sie werden fortlaufend mit dem genug zu tun haben, das Sie sehr wohl verstanden haben! Lassen Sie das andere vorderhand getrost weg. Die Zeit wird kommen, in der Sie auch den heute unverständlichen Passagen einen Sinn abgewinnen werden.

2. Suchen Sie Hilfe bei Gleichgesinnten. Es kann sein, dass Sie eine Textstelle, die Sie nicht verstehen, einfach nicht in Ruhe lässt. Dann fragen Sie jemanden, der mehr von der Bibel weiss. Diese Person zu finden, ist nicht immer ganz einfach. Am besten ist es, wenn Sie in einer christlichen Gemeinde aus- und eingehen, in der die Bibel als Wort Gottes gepredigt wird und in der die Menschen mit Freude die Bibel lesen. In diesem Fall kennen Sie sicher Leute, die Ihnen helfen können. Wenden Sie sich allenfalls an den Pfarrer, den Pastor oder an Mitarbeiterinnen der Gemeinde. In manchen Kirchen – und das sage ich mit grosser Traurigkeit – wird die Bibel nicht als von Gott inspiriertes Wort gesehen, sondern historisch-kritisch zerpflückt und als veraltetes Kulturgut abgetan, aus dem man in einigen Passagen noch etwas Weniges fürs Leben nehmen kann. Geraten Sie an solche Leute, wird Ihnen kaum geholfen.

Sehr hilfreich kann das gemeinsame Bibellesen sein. Viele Kirchen haben Bibelkreise oder Hauskreise, in denen eine kleine Gruppe von überzeugten Christinnen und Christen Texte aus der Heiligen Schrift miteinander lesen und darüber reden. Leiterinnen oder Leiter solcher Kleingruppen sind oft erfahrene Bibelleser, von denen Anfänger profitieren können. Suchen Sie sich einen solchen Kreis von Gleichgesinnten. Dies wird Ihnen nicht nur das Verständnis der Bibel erweitern sondern auch viel Freude und Farbe in die Woche bringen.

3. Besorgen Sie sich Hilfsmittel. Sind Sie eher eine autodidaktisch veranlagte Person, werden Sie durch gute Literatur vieles selber herausfinden. Da gibt es zunächst ganz einfache Hilfsmittel: Beispielsweise geben die Bibelgesellschaften oder der Bibellesebund Bibellesehilfen heraus. Nach einem Bibelleseplan werden zu den täglich vorgeschlagenen Bibelabschnitten Erklärungen geliefert. Das können Informationen zum kulturellen Hintergrund sein oder Verweise auf ähnliche Texte an einem andern Ort in der Bibel. Insbesondere will Ihnen die Bibellesehilfe eine Auslegung geben, was der Text für das praktische Christsein bedeuten könnte. (siehe weiterführende Links unten).

Weiter kann Ihnen ein Bibellexikon, ein Atlas mit historischen Karten oder gar eine CD-Rom mit Informationen, Bildern und geschichtlichen Hinweisen dienen. In einigen digitalisierten Hilfsmitteln zur Bibel werden sie in Videoanimationen zu den Orten der Bibel gebeamt, quasi wie in einer Zeitmaschine. Wussten Sie schon, dass von guten Theologen praktisch jede Bibelstelle ausführlich kommentiert wurde? So existieren für jedes Buch der Bibel oft dicke Kommentare, die Sie in einschlägigen Buchhandlungen erhalten oder in entsprechenden Bibliotheken ausleihen können. Vielleicht nicht jedermanns Sache, sich durch theologische Werke hindurch zu wälzen. Aber – die Möglichkeiten sind fast unermesslich (auch hier einige Tipps unten).

Weiterführende Links:
www.bibellesebund.ch
www.bibelgesellschaft.ch
www.brunnen-verlag.ch
www.bibelpanorama.ch
www.hausderbibel.ch
www.haenssler.de
www.asaph.ch

Weiterführende Artikel:
Hilfe, ich verstehe die Bibel nicht
Ratschläge für eine lustvolle Bibellektüre
Sechs Tipps zum Bibellesen
Die Heilige Schrift – und die vielen Bibelübersetzungen


Autor: Fritz Herrli
Quelle: Jesus.ch

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