Ein Anschlag auf der
Nationalstrasse A4 im Nordosten Nigerias macht auf die komplexe Lage angesichts
des anhaltenden Terrors gegen Christen in Nigeria aufmerksam. Darin gibt es
auch Hoffnungszeichen. Ein Hintergrundbericht von Heinz Gstrein.
Schreckensbilder am letzten Mai-Wochenende auf der
Nationalstrasse Nigerias: Ausgebrannte Lastwagen und verkohlte Leichen – das ist alles, was von
einer LkW-Kolonne unter Militärschutz übrig blieb. Seiner vermeintlichen
Sicherheit hatten sich auch viele Zivilisten anvertraut, besonders
alleinreisende Frauen mit Kindern. Ziel ihrer Reise war das Distriktszentrum
Damboa.
Auch moderate Muslime im Visier
Im Juli 2014 hatte die Islamistenmiliz Boko Haram dieses Damboa als erste nigerianische Stadt überrannt und niedergebrannt. Viele der damals
250'000 Einwohner retteten sich durch eilige Flucht.
Doch 2016 überfielen
islamistische Selbstmordattentäter die Hauptmoschee von Damboa und töteten
Glaubensbrüder beim Gebet: Militante Dschihadisten kämpfen nicht nur gegen
Andergläubige. Sie nehmen auch «laxe» Muslime aufs Korn, die ihre
radikalen Ziele nicht unterstützen. So ist die Dreiländerecke Nigerias mit
Niger, Tschad und Kamerun zu einem Dauerschlachtfeld geworden. Dafür
verantwortlich sind nicht nur Boko Haram, sondern auch der nach seinen
Niederlagen im Irak und Syrien in Afrika vordringende Islamische Staat (IS).
Terror dehnt sich nach Süden aus
Der nigerianische Bundesstaat Borno hält weiterhin den
Terrorrekord. Doch dehnt sich die meist gegen Christen gerichtete
Gewaltbereitschaft vieler Muslime inzwischen südwestwärts nach Zentralnigeria
aus. Dort richtet sie sich gezielt gegen reformatorische und vor allem
evangelikale Kirchen. Diese rücken durch ihren beispiellosen Aufschwung ins
Visier der Politmuslime. Ihnen ist es zu verdanken, dass der Glaube an Jesus
die Hälfte der 190 Millionen Menschen des Landes umfasst und bald vor dem Islam
mit seinen bisher 50% liegen dürfte.
Bevorzugte Entführungsopfer
Das versuchen die Dschihadisten durch Ermordung oder
Entführung einflussreicher christlicher Prediger zu bremsen, wie zuletzt einem
Pfarrer der Evangelischen Kirche Westafrikas (Ecwa) samt seiner Tochter. Oder auch von
14 profilierten Gemeindemitgliedern im Bundesstaat Kaduna.
Auch der katholische Bischof von Kano in Nigeria, John
Namaza Niyiring, ist besorgt über die schwierige Sicherheitslage in seinem
Heimatland. Er betonte am Dienstag, dass «jeder Angst hat». Grund
dafür seien die anhaltenden Überfälle und Entführungen.
Eingeschränkte Reisefreiheit
Nach Einschätzung des Bischofs sorgen Angst und Unsicherheit
dafür, dass Menschen in Teilen des Landes nicht mehr reisen würden. Auf
Angehörigen laste zudem ein grosser Druck, Lösegeld zu beschaffen, wenn jemand
aus der Familie entführt worden sei.
Betroffen sind aktuell vor allem die Bundesstaaten Kaduna,
Katsina und Zamfara, aber auch Teile des Südens. «Jeden Tag gibt es
Vorfälle und Menschen kommen ums Leben. Das passiert, wenn das geforderte
Lösegeld nicht gezahlt wird. Dann ist alles möglich», sagte der Bischof.
Hinter den Entführungen stecken oft Banden, die Lösegelder erpressen. Zu den
Opfern gehören immer wieder Priester und Pastoren.
Teure Sicherheitsmassnahmen
Die Kirche hat in den vergangenen Jahren in umfassende
Sicherheitsmassnahmen investiert, wie Bischof Niyiring schilderte. Vor der Kathedrale
in Kano stünden rund um die Uhr Polizisten, die von der Kirche bezahlt würden.
Viele Gotteshäuser sind mittlerweile auch von dicken Mauern umgeben. «Auch
unsere Schulen und Internate werden rund um die Uhr überwacht», so der
Bischof.
Dort wird der von islamistischer Seite vorgeschobene
Glaubensunterschied noch durch soziale Gegensätze geschürt: Seit 1792 die
ersten Baptistenmissionare ins Land kamen, machten sie die von ihnen
Neubekehrten in befestigten Dörfern sesshaft. So wurden sie fast exklusiv zu
Acker- und Gartenbauern, während die Muslime – die zum Teil erst nach den
christlichen Glaubensboten aus der Sahelzone nach Süden vorstiessen – das
Weideland ringsum in Besitz nahmen. Immer häufiger wiederkehrende Dürre und mit
ihr das Gespenst des Hungers führen immer öfter zu Zusammenstössen um fast
jeden Meter Land. Dieser Kampf ums Brot wird aber meist unter den Zeichen von
Halbmond und Kreuz ausgetragen.
Versöhnungsarbeit aus der Schweiz
Die Zahl der insgesamt von ihrem Boden vertriebenen
christlichen Bauernfamilien wird inzwischen auf über zweieinhalb Millionen
Menschen geschätzt. Ihnen zunächst einmal das materielle Überleben zu
ermöglichen, ist eines der Ziele, das sich Mission 21 in Nigeria gesetzt hat.
Oft sind die von islamischen Terrormilizen aus ihren angestammten Wohnsitzen
vertriebenen Christen wieder in vom Islam dominierten Gegenden gestrandet. Dort
sind ihnen die traditionellen Muslime zwar nicht feindselig gesinnt, doch
misstrauisch und wenig hilfsbereit. Mission 21 ist daher gezielt bemüht, mit ihrer Friedensarbeit dieses Misstrauen abzubauen und Christen und Muslime
gutnachbarlich zusammenzuführen, bevor letztere mit dem Gift des politischen
Islamismus infiziert werden.