Zum 1. August

Die Schweiz: Ein christliches Land?

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Gottes Reich ist nicht mit Nationen und Grenzen verbunden, sondern mit Menschen, in denen Christus lebt und wirkt.

Die Frage, ob es überhaupt eine christliche Schweiz geben kann, muss man mit Ja und Nein beantworten.

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Max Schläpfer

Nein, deshalb, weil das Reich Gottes, das Jesus gepredigt hat, nicht von dieser Welt ist. Sein Reich ist nicht an Nationen und Grenzen gebunden, sondern an Menschen, in denen Christus lebt und wirkt. Deshalb kann keine Partei die Aufgabe übernehmen, die Jesus seiner Gemeinde aufgetragen hat: ihn in der Gesellschaft zu repräsentieren. Ausserdem lässt sich das Evangelium auch nicht per Gesetz verordnen, dafür bietet die Geschichte genügend Anschauungsmaterial.

Ja, aber auf der anderen Seite, weil sich das Reich Gottes dann umso mehr ausbreitet, je mehr Christen ihren Glauben und die Liebe zu Gott und zu den Menschen hier in der Schweiz authentisch leben und Werte vertreten, welche die Erhaltung des Menschen, die Erhaltung der Welt und das Zusammenleben der Gesellschaft in Freiheit, Sicherheit, Gerechtigkeit und Frieden ermöglichen.

Ralph Altwegg ist beizupflichten, wenn er schreibt: «Zur Zeit der Apostel galt eine klare Trennung zwischen dem geistlichen Bereich der Gemeinde und dem weltlichen Bereich des Staates. Es gab keine Idee eines christlichen Staates. Die Christen waren in erster Linie auf ihren Auftrag zu Mission und Gemeindebau und somit auf das bereits gegenwärtige und das kommende Reich Christi ausgerichtet. Dennoch sind Christen gemäss der Bibel Bürger sowohl des Staates als auch der Gemeinde Gottes. Diesem Staat haben sie sich unterzuordnen und loyal zu sein.»

Christliche Politik

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Christliche Politik ist eine Politik der Menschenliebe und der Menschlichkeit. Darum sollen politisch aktive Christen nicht spezifische Interessenvertreter sein, sondern die ganze Zivilgesellschaft vor Augen haben, Christen und Nicht-Christen. Aber sie sollen von einem festen biblischen Standpunkt aus politisieren und sich nicht scheuen, gegebenenfalls gegen Zeitströmungen zu schwimmen. In Sachfragen können Christen auch unterschiedliche Standpunkte einnehmen, ohne dass sie sich deswegen persönlich bekämpfen müssen.

Christliche Politiker sind nicht bessere Politiker, weil sie christliche Werte vertreten. Sie sind es nur dann, wenn sie realpolitisch über bessere Sachkenntnis verfügen, die Zusammenhänge besser erfassen, geschickter sind als ihre Kollegen und deshalb bessere Entscheide zum Wohl der Gesellschaft fällen. Das VFG-Positionspapier hält dazu fest: «Politik hat sich um das Gemeinwohl aller Bürger zu kümmern. Das staatliche Handeln orientiert sich am Massstab menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens, nicht an Glaubenssätzen, sondern an den allen zugänglichen Argumenten der Vernunft. Deshalb gibt es keine christliche Politik, sondern nur Christen, die aktiv und passiv Politik in einer 'noch nicht erlösten Welt' betreiben. Sie tun dies in aller Bescheidenheit und im Bewusstsein, dass Gott seinen Willen in der Geschichte der Staaten letztendlich auch ohne sie durchsetzt.»

Es ist anzumerken, dass Staatsverdrossenheit keine christliche Tugend ist. Es gilt auch für Christen, die Spannungen in einem säkular-laizistischen Staat auszuhalten. Damit wird der äussere Rahmen zur Verkündigung des Evangeliums geschaffen, für den die Bibel zum Beten aufruft (1. Timotheus, Kapitel 2, Verse 1-2). Deshalb sollen Christen sich unbedingt aktiv in die Gesellschaft einbringen und als verantwortungsbewusste Schweizer Bürger ihre politischen Rechte aktiv wahrnehmen. Die christliche Gemeinde an sich hat im Neuen Testament nie eine politische Aufgabe übernommen. Trotzdem sollen Gemeindeglieder, die sich in politische Aufgaben berufen wissen, diese Aufgabe tun können. Das Alte Testament zeigt uns, dass Gott auch Menschen in die Politik rief (z.B. Mose, Josef, Nehemia, Esther) und im Neuen Testament wurde der Kämmerer aus Äthiopien nicht angewiesen, sein politisches Amt aufzugeben.

Fatales Nationenverständnis

Nun wird die Vorstellung einer christlichen Schweiz manchmal vom zusätzlichen Gedanken begleitet, alle Völker und Nationen hätten eine Funktion, eine Berufung oder eine Aufgabe in der von Gott gelenkten Weltgeschichte. Dem muss aus neutestamentlicher Sicht widersprochen werden. Die Bibel anerkennt zwar die einzelnen Völker und Nationen und ihren dynamischen Prozess in der Geschichte, weist ihnen aber keine spezifische theologische Bedeutung zu. Einzig das Volk Israel wird in dieser Beziehung besonders hervorgehoben, weil es im Heilsplan Gottes eine spezielle Rolle spielt.

Die neutestamentliche Botschaft relativiert im Gegenteil die Bedeutung der Völker und Nationen ganz entscheidend, denn das neutestamentliche Gottesvolk kennt gerade diese Schranken nicht. Jede völkisch-nationale Berufungsdefinition ist den Gläubigen daher verwehrt, weil sie letztlich wieder neben der Identität in Christus theologische Identitäten schafft, welche die Tendenz haben, zur Ersatzreligion zu werden. Das heisst nicht, dass man als Schweizer nicht Stolz auf seine schweizerische Identität sein soll. Es handelt sich dabei aber um eine staatlich vermittelte Zugehörigkeit, die auf einer ganz anderen Stufe steht als unsere Identität in Christus. Zentrale biblische Texte machen klar, dass das neutestamentliche Gottesvolk alle diese völkisch-nationalen Identitäten hinter sich gelassen hat.

Nach neutestamentlicher Lehre gibt es keine direkte Segnung Gottes für ein Volk oder eine Nation. Vielmehr offenbart Gott seine Herrlichkeit durch die Gemeinde. Nach neutestamentlichem Verständnis werden die Menschen eines Volkes oder einer Nation in erster Linie dadurch gesegnet, dass die «sichtbare Gemeinde», ausgeprägt in konkreten Organisationen, das Evangelium von der Errettung predigt und in Taten der Nächstenliebe auslebt. Das Gebet um die freie und furchtlose Verkündigung des Evangeliums steht im Vordergrund.

Das Gebet für ein Volk oder eine Nation hat daher nicht in erster Linie zum Ziel, dass dieses Volk oder diese Nation in einem allgemeinen Sinn von Gott gesegnet wird. Vielmehr besteht diese konkrete Segnung darin, dass durch das Gebet «gute Rahmenbedingungen für die Verkündigung des Evangeliums» geschaffen werden können. Denn nicht ein irgendwie gearteter Segen, sondern das Zentrale biblische Texte  machen klar, dass das neutestamentliche Gottesvolk alle diese völkisch-nationalen Identitäten hinter sich gelassen hat. «Evangelium ist eine Kraft Gottes zur Rettung für jeden der glaubt».

Fazit

Die Geschichte – insbesondere die Geschichte des Nationalismus in Europa – zeigt, dass die Gemeinde Jesu noch nie gut gefahren ist, wenn sie die Identität in Christus mit völkisch-nationalen Identitäten vermischt hat. Nationale Identifikation ist zwar wertvoll (ich bin Schweizer), aber die Identität in Christus ist für einen Christen das Entscheidende (mein Bürgerrecht ist im Himmel). Die Ausrichtung auf die Dimension des Reiches Gottes ist grenzüberschreitend. Sie darf nicht an nationale Grenzen gebunden sein.

Eine Gesellschaft wird nur dann «christlich», wenn sich die Menschen Christus zuwenden. Das Evangelium kann nicht auf dem Gesetzesweg eingeführt werden und es lässt sich weder durch Politik noch durch Parteien transportieren! Hier ist jeder Christ und jede Christin gefordert, den Glauben im Alltag praktisch zu leben, zusammen mit dem Aufruf, für ihr Land und ihre Regierung zu beten. In diesem Sinne tragen alle Christen – unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Stellung – Verantwortung für ihr Land.   

Zum Thema:
Beten - vom Staat verordnet
Feiertag: 1. August
Freikirchen und Politik: Freikirchler im Nationalrat
Politik und Sozialdiakonie: Es gibt genügend Spielraum
Gottes unheimliche Macht?: «Der Spiegel» warnt vor Missbrauch der Religion 
Ein Stück Himmel?: «Wir praktizieren das Grundeinkommen erfolgreich»

Datum: 30.07.2016
Autor: Max Schläpfer
Quelle: idea Schweiz

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