Flüchtlingskrise

Junge Flüchtlinge in die Familie aufnehmen?

Zusammen mit seiner Familie pflegt Marc Jost, Generalsekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA), Kontakte mit Flüchtlingen. Im Interview spricht er über die Idee, minderjährige Asylsuchende in Familien zu betreuen.

Zoom
Flüchtlinge in Jordanien
Die Krise rund um die Mittelmeerflüchtlinge bewegt. Marc Jost hatte Gelegenheit, im Libanon Flüchtlingslager zu besuchen und kam tief berührt zurück.

Livenet: Marc Jost, die aktuelle Flüchtlingssituation scheint dramatisch, und sie fordert auch die Christen heraus. Wo können sie sich einbringen?
Marc Jost: Neben der Fürbitte für die Flüchtlinge können Christen im persönlichen Gebet Gott fragen, wo in Bezug auf diese grosse Krise ihre Zeit, ihr Platz und ihre Verantwortung liegt. Das kann sehr unterschiedlich sein. Nicht jeder hat genügend Platz zuhause, um Obdach zu bieten, aber Beziehungen am Wohnort zu Fremden pflegen kann jeder. Als Schweizerische Evangelische Allianz möchten wir vor allem jenen Menschen ein Coaching anbieten, die Flüchtlinge oder andere Migranten persönlich im Alltag begleiten und unterstützen. Daran arbeiten wir mit Partnern.

Die Idee, jugendliche Flüchtlinge, die ohne Eltern angekommen sind, in Familien zu integrieren, hat Sie angesprochen. Welche Möglichkeiten gibt es für engagierte christliche Familien?
Mich hat dies angesprochen, weil ich vermute, dass der Familienkontext für viele unbegleitete Jugendliche das bessere Umfeld sein kann, als ein Heim, wo sie ihre Zeit in grossen Gruppen verbringen. Die Aufnahme von Kindern und Jugendlichen in Pflegefamilien ist jedoch bereits innerhalb unserer eigenen Kultur eine Herausforderung. Deshalb darf die zusätzliche Anforderung an die Aufnahme eines fremden Jugendlichen nicht unterschätzt werden.

Wer kann sie erfüllen? Was braucht es dazu?
Voraussetzung ist, dass Eltern die Anforderungen als Pflegeeltern grundsätzlich erfüllen. Zudem helfen interkulturelle Erfahrungen, sei es im Ausland oder unter Migranten in der Schweiz. Man muss ein Verständnis dafür haben, was Kulturunterschiede im Alltag daheim und in der Schule an Missverständnissen und Herausforderungen mit sich bringen können. Auch die Freude an anderen Kulturen ist wichtig.

Wie können zum Beispiel Sprachprobleme gelöst werden, wenn ein Flüchtling zum Beispiel nur Arabisch oder eine afrikanische Sprache spricht?
Jeder Kanton und auch die Gemeinden bieten hier mit ihren Integrationsmassnahmen in Schule und Alltag Unterstützung. Ein Schlüssel ist, dass das Kind oder der Jugendliche möglichst rasch eine Amtsspache in der Schweiz versteht. Ideal ist natürlich, wenn eine Familie bereits Kenntnisse der fremden Sprache hat.

Zoom
Marc Jost

Welche andern Möglichkeiten gibt es für Einzelpersonen, Familien oder Gemeinden, sich an der Betreuung oder Integration von Flüchtlingen zu beteiligen?
In meiner Kirche sind viele Mitglieder an Deutschkursen und weiteren Integrationsmassnahmen beteiligt. Aber bereits die Nachbarsfamilie aus dem Irak oder aus Somalia zum Kaffee oder zum Essen einzuladen, ist hilfreich und kann ein Türöffner für weitere gemeinsame Unternehmungen sein. Und umgekehrt: Unsere eigenen Kinder werden zum Beispiel hin und wieder von einer Flüchtlingsfamilie betreut und lernen dabei erst noch Arabisch.

Wie sollen Interessierte vorgehen? Wo erhalten Sie mehr Informationen?
Oft hat es bereits im Freundeskreis Menschen mit Erfahrung. Oder dann findet man Hilfe bei der Integrationsabteilung der politischen Gemeinde und beim Kanton, bei einer Hilfsorganisation oder natürlich in der Kirche.

Von wem werden sie innerhalb der SEA unterstützt?
Innerhalb der Evangelischen Allianz gibt es mehrere Hilfs- und Missionswerke, die grosse Erfahrung haben und Interessierte beraten und unterstützen. Ich verweise da gerne auf unsere SEA-Arbeitsgemeinschaften für Mission, Interkulturelles und Religionsfreiheit. Insbesondere auch unsere Beratungsstelle für Integrations- und Religionsfragen (BIR).

Können nichtchristliche Flüchtlinge auch in die Gemeinde eingeladen werden? Darf man ihnen den Glauben bezeugen? Oder ist das politisch unkorrekt?
Was heute politisch korrekt zu sein scheint, kann nicht unser Massstab sein. Vielmehr haben wir die Möglichkeit, im Rahmen der hier gewährten Glaubens- und Religionsfreiheit unseren Glauben zu leben, zu erklären und weiterzugeben. Die SEA hat als Hilfestellung einen Verhaltenskodex ( Verhaltenskodex für SEA-Migrationsbegleiter.pdf) verfasst, der insbesondere auf die verletzliche Situation eines Flüchtlings oder Migranten eingeht. Ich möchte meine fremden Freunde auch zum Gottesdienst einladen, aber auf keinen Fall meine Unterstützung und Hilfe davon abhängig machen, ob sie sich für meinen Glauben interessieren oder nicht.

SEA Online:
Die AGR erwirkt bei den Migrationsbehörden die Aufnahme von zwei Flüchtlingsfamilien

Brandanschlag in Flums: Ein Akt gegen die Religionsfreiheit

Die Hotline der AGiK für Fragen: AGiK Hotline

Zum Thema:
Aufruf der SEA: Das Schicksal der Bootsflüchtlinge drängt zum Handeln
Das Flüchtlingsdrama: Das europäische Dilemma und die Christen
Flüchtlingskatastrophe: Hunderte sterben im Mittelmeer – und was ist unsere Verantwortung?

Datum: 23.04.2015
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

Glaubensfragen & Lebenshilfe

Diese Artikel könnten Sie interessieren

Heilsarmee Zürich
Ukrainische Geflüchtete feiern Weihnachten dieses Jahr mit sehr gemischten Gefühlen. Traditionsgemäss jeweils am 6. und 7. Januar. Die Heilsarmee...
Agentur C
In einer gross aufgelegten Aktion wurden am vergangenen Mittwoch, 21. Dezember in neun Zeitungen der Schweiz Anzeigen geschaltet – um die Leser auf...
Nik Gugger
Der Titel ist Programm seines Buches. Der EVP-Nationalrat Nik Gugger hat ein biografisches Buch über seinen aussergewöhnlichen Weg vom indischen...
Über 1'000 Teilnehmende
Das Schicksal der Glaubensverfolgten darf uns nicht gleichgültig sein. Das bezeugten am 14. Dezember mehr als 1.000 Teilnehmende an der CSI-Mahnwache...

AKTUELLE NEWS

Benedikt XVI.
Benedikt XVI. war nach 500 Jahren der erste deutsche Papst. Mit ihm sass von 2005 bis 2013 ein Intellektueller und Theologe von Weltformat auf dem Stuhl Petri. Nun ist der Papa Emeritus im Alter von 95 Jahren gestorben.
Benedikt XVI.
Benedikt XVI. war nach 500 Jahren der erste deutsche Papst. Mit ihm sass von 2005 bis 2013 ein Intellektueller und Theologe von Weltformat auf dem Stuhl Petri. Nun ist der Papa Emeritus im Alter von 95 Jahren gestorben.
Leihmutterschaft
«Gebärmutter zu vermieten. Suche: Paar mit Kinderwunsch. Biete: Neun Monate Unterkunft für einen Embryo mit Vollpension. Miete gesamt 12000 CHF.» So könnte die Anzeige einer Leihmutterschaft, die in Europa noch verboten ist, aussehen.
Allianzgebetswoche 2023
Christen sind zur Freude aufgerufen – doch was bedeutet das? Darum geht es in der diesjährigen Allianzgebetswoche vom 8. bis 15. Januar 2023. Livenet veröffentlicht die täglichen Andachten, heute mit SEA-Generalsekretärin Viviane Krucker-Baud.
Auf Platz 2 hinter China
Jeder Vierte in Deutschland bezeichnet sich selbst als nicht-religiös oder atheistisch. Das geht aus einer Umfrage in acht Nationen hervor. Nur in China sind mehr Menschen nicht religiös.
Steigende Tendenz
Der jährliche Bericht über die religiösen Gemeinschaften Israels ergibt, dass die christliche Bevölkerung um zwei Prozent gewachsen ist. Somit macht ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung des Landes rund 1,9 Prozent aus.
Ganz ohne Angst
Locker und in jugendlicher Sprache erzählt Tabea Tacke in «Fearless – 24 mutige Vorbilder aus der Bibel» die Geschichten von zwölf Männern und zwölf Frauen aus dem Buch der Bücher.

Anzeige

Kommentar

Regula Lehmann: Empörung ist billig
Wir befinden uns inmitten der Fastenzeit vor Ostern. Livenet-Kolumnistin Regula Lehmann fastet...

Ratgeber

Zielbewusst und entspannt Gute Vorsätze für 2023
Die ruhigere Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr scheint dazu einzuladen, dass man sich überlegt...