Ehemals Drogensüchtiger: «Ohne euch würde es mich nicht mehr geben»
Der Verein «Floorball4all» will nicht, dass ein Kind ohne Perspektive und Vision aufwächst. Als Brücke beim Vermitteln von Hoffnung dienen Unihockeystöcke und -bälle. Dieses simple Konzept funktioniert, wie Benjamin Lüthi im Interview berichtet.
Benjamin Lüthi erklärt den Kindern, wie man Unihockey spielt.
Benjamin Lüthi, was genau tut «Floorball4all»? Benjamin Lüthi: Der Verein Unihockey für Strassenkinder – oder englisch «Floorball4all» – setzt sich in den Brennpunkten dieser Welt dafür ein, das Leben von Kindern und Jugendlichen durch den Sport tiefgreifend, ganzheitlich und nachhaltig zu verändern. Wir verstehen uns als unterstützenden Partner von Jugend- und Sozialarbeiten in aller Welt. Indem wir in den Einsatzländern Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter, Verantwortliche von Drogen-Rehas und Jugendgefängnissen, Lehrpersonen, Pastoren und andere Leitungspersonen für Unihockey begeistern und sie in Kursen zu Trainerinnen und Trainern ausbilden, liegt die Projektverantwortung von Beginn weg bei den Einheimischen. Wir liefern das Know-How im Bereich des Unihockeys und zeigen auf, wie dieser Sport genutzt werden kann, um die christlichen Werte transparent und verständlich weiterzugeben und vorzuleben.
Jährlich führen wir in fünf bis acht Ländern je zwei- bis dreiwöchige Teameinsätze durch. Pro Einsatzteam nehmen sechs bis zwölf Schweizer Volontäre teil. Diese kommen entweder aus der christlichen Szene oder aber auch aus der Unihockeyszene – ohne christlichen Hintergrund. Wir wollen den christlichen Glauben nicht predigen, sondern vorleben.
Die Kinder spielen mit viel Freude und Motivation.
Welche Veränderungen können durch diesen Sport bei Menschen und einer Gemeinschaft geschehen?
Der Sport ist meist der Türöffner und Brückenbauer, um Beziehungen zwischen einer Bezugsperson, meist dem Trainer, und den Kindern und Jugendlichen aufzubauen. Die Kinder wollen regelmässig das Training besuchen und lernen dabei, im Team Verantwortung zu übernehmen, mit Sieg und Niederlage umzugehen, sich an Regeln zu halten. Ist das Vertrauen mal vorhanden, öffnen sich oft ganze Familien und die Veränderung breitet sich auf verschiedene andere Lebensbereiche aus. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Tatsache, dass Unihockey im Gegensatz zum Fussball von Mädchen und Knaben gespielt werden kann. Weil dies von gemischten Schweizer Einsatzteams so vorgelebt wird, gehört das automatisch dazu und definiert damit kulturell geprägte Grundhaltungen und Rollenverständnisse völlig neu.
Was ist euer Herzensanliegen?
Die Idee von Unihockey für Strassenkinder ist vor elf Jahren auf den Strassen São Paulos in Brasilien entstanden. Und die Sehnsucht ist bis heute die gleiche geblieben: Wir sind der Meinung, dass kein Kind oder Jugendlicher auf dieser Welt ohne Perspektive für sein Leben aufwachsen sollte. Wir haben auf dem Herzen, diese Begeisterung für einen lebendigen Glauben nicht einfach so zu predigen und davon zu erzählen, sondern Nächstenliebe ganz praktisch zu leben. Weltweit gibt es viele Menschen, die glauben, man müsse die Leute in die Kirchen bringen. So wird eine christliche Religion gelebt. Wir sind aber der Meinung, dass wir Kirche ins wirkliche Leben, zu den Menschen bringen sollten, um wirkliche Veränderung zu bringen. Das tun wir, indem wir unsere Leidenschaften für den Glauben und den Sport miteinander verbinden und Freude weitergeben.
Ihr seid in 25 Ländern aktiv. Welches ist das 26.?
Die Anzahl Länder, in der wir aktiv sind, wechselt recht schnell … Bis ein Land auf unserer Liste der Einsatzländer erscheint, braucht es oft mehrere Jahre der Vorabklärungen. Sicherlich wird es mit Uganda bald konkret. Und auch in Moldawien sind wir in den Startlöchern.
Benjamin Lüthi, Leiter von «Floorball4all»
Gibt es Nationen, wo diese Sportart noch völlig unbekannt war und ihr beim Gründen des Landesverbandes mitgewirkt habt?
Es ist der Normalfall, dass man die Sportart Unihockey vor unseren ersten Trainerkursen noch überhaupt nicht kennt. Die Entwicklung der Sportart ist für uns ein angenehmer Nebenschauplatz und wir wollen auch dort eine hohe Qualität erzielen und kulturrelevant handeln. In Osteuropa oder punktuell auch in Afrika oder Südamerika beispielsweise sind schon verschiedentlich offizielle Landesverbände und Meisterschaften aus unseren Projekten heraus entstanden. Hier helfen wir gerne und vermitteln zwischen dem Internationalen Unihockeyverband und den lokalen Projekten.
Können Sie eine Geschichte schildern, wie das Leben von einem jungen Menschen durch den Einsatz völlig verändert worden ist?
Da ist zum Beispiel Vasyl (Name geändert) aus der Ukraine, der als Jugendlicher mit Drogen zu kämpfen hatte und keine Perspektive für sein Leben hatte. Er besuchte mit 17 Jahren erstmals ein Unihockeytraining in der benachbarten Stadt und war fasziniert darüber, wie man in diesem christlichen Team miteinander umging. Gerade vor wenigen Wochen durfte ich den heute 23-Jährigen persönlich kennenlernen. Mit weinenden Augen erzählte er mir seine Geschichte. «Ohne Unihockey würde es mich nicht mehr geben.»
Oder auch der ungarisch-stammige, rumänische Trainer, der plötzlich bei seinem ersten Kindertraining vor 30 Romakindern steht und nach eineinhalb Stunden zu Protokoll gibt, dass er sich nie hätte erträumen lassen, einmal ein Training mit dieser Gruppe von Leuten durchzuführen. Ein Jahr später trainiert er eine kulturell durchmischte Mannschaft verschiedener ethnischer Gruppen. Unihockey ist oft auch versöhnend, weil auf dem Spielfeld alle gleich funktionieren.
Was bewegt Sie bei Ihrer Arbeit besonders?
Nebst den oben beschriebenen Früchten, die immer wieder sichtbar werden und mich motivieren, weiter dieser Berufung zu folgen, sind es vor allem auch die vielen jungen Einsatzteilnehmer aus der Schweiz, die ihre Talente dafür einsetzen, für einzelne Leben einen Unterschied zu machen. Ich bin begeistert von diesen jungen Frauen und Männern, die einiges an Geld, Freizeit und Herzblut einsetzen, um auf dieser Welt etwas zu bewegen. Veränderung beginnt bei jedem Einzelnen.