Elfenbeinküste

Versöhnung nach der Gewalt?

Der mit der Verhaftung von Laurent Gbagbo entschiedene Machtkampf hat die Elfenbeinküste destabilisiert. Viele zehntausend Menschen sind geflüchtet; weiterhin kommt es zu Plünderungen. Die Kirchen, die den Notleidenden helfen wollen, sind überfordert.

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Präsident Ouattara
Am Dienstagabend, 12. April 2011,  suchten erneut über 1000 Personen Schutz auf dem Gelände der evangelischen Kirche von Duékoué. Laut Michel Loh, dem Leiter des evangelischen Kirchenbundes UEESO, fehlt es an allem – man habe nicht die Mittel, um Nahrung und Medikamente für die Notleidenden zu kaufen. Sie waren zuvor in den Dschungel geflüchtet, um Kämpfern und gewalttätigen Banden zu entgehen. In der Stadt im Westen der Elfenbeinküste wurden vor Wochen nach unbestätigten Angaben Hunderte Zivilisten massakriert.

Überforderte Helfer

Michel Loh kämpfte sich am Dienstag über zahlreiche Strassensperren mit Wegzoll-Erpressern ins Nachbarland Ghana durch, um Geld für die Nothilfe zu beschaffen. In der Metropole Abidjan kam es zu zahlreichen Plünderungen; Leichen lagen in den Strassen. Auf dem Gelände der evangelischen Kirche im Stadtteil Cocody unweit der Residenz von Gbagbo hatten über hundert Personen Zuflucht gesucht. Die Kinder seien von den nächtlichen Schiessereien traumatisiert. «Sie weinen, erbrechen oder haben Durchfall», berichtete Loh am 1. April. Bewaffnete hätten sich aufs Gelände geflüchtet.

Am Abgrund

Der Machtkampf zwischen dem alten Präsidenten Laurent Gbagbo und dem neu gewählten Präsidenten Alassane Ouattara hatte das Land an den Rand des Abgrunds getrieben. Gbagbo wurde am Montag, 11. April, von Soldaten nach monatelangem Seilziehen verhaftet. Wie sein Sprecher behauptete, nahmen französische Elitesoldaten ihn fest; dies wurde in Paris dementiert. Seit Sonntag hatten auch Hubschrauber der Vereinten Nationen (UN) Angriffe gegen Gbagbos Truppen geflogen, nachdem diese ihrerseits Offensiven gegen das UN-Hauptquartier und das Hotel gestartet hatten, in denen Ouattaras provisorische Verwaltung sitzt. Die Generäle, die Gbagbo unterstützten, sollen sich Ouattara unterstellt haben. Sie forderten Milizionäre und Zivilisten auf, ihre Waffen abzugeben.

Kein Wasser, kein Strom

Jeder Tag des Bürgerkrieges steigerte das Chaos in der Elfenbeinküste. Seit Wochen haben Tausende Bürger ohne Strom und Wasser in ihren Wohnungen ausharren müssen. In vielen Gegenden des Landes brachen mühsam überdeckte ethnische Spannungen auf. Die Frustrationen unter Gbagbos Soldaten bergen ein hohes Gewaltpotenzial. «Auf kurze Sicht wird es ziemlich schmutzig werden», sagte Hanna Koess von der Beratungsfirma Control Risks der Zeitung «Die Welt»: «Gbagbos Anhänger sind noch immer schwer bewaffnet und hochgradig frustriert. Die Sicherheitssituation in Abidjan wird wahrscheinlich unberechenbar bleiben.» Am Dienstag versuchten viele Bewohner in sicherere Teile der Stadt umzuziehen.
Gbagbo hatte bei den Wahlen im vergangenen Herbst 46 Prozent der Stimmen auf sich vereinen können. Bis zuletzt bezichtigte er seinen Gegner Ouattara der Manipulation – seine Anhänger glaubten ihm.

Überschatteter Neuanfang

Nach seinem Sieg rief Alassane Ouattara am Montag Abend zum Frieden und zur nationalen Versöhnung auf. Nun könne das Land neu beginnen, sagte er in einer Fernsehansprache. Die Landsleute forderte er auf, der Gewalt abzusagen. Eine Friedens- und Versöhnungskommission werde Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen untersuchen.

Alassane Dramane Ouattara wurde in der Elfenbeinküste geboren, wuchs aber im Nachbarland Burkina Faso auf (was seinen politischen Gegnern erleichterte, ihn von Ämtern fernzuhalten). Er machte nach dem Studium der Volkswirtschaft in den USA beim Internationalen Währungsfonds Karriere. 1988-90 amtierte er als Gouverneur der westafrikanischen Zentralbank; 1990-93 als Regierungschef der Elfenbeinküste. Ouattara ist verheiratet mit der Geschäftsfrau Dominique Nouvian, einer Französin aus Algerien. Bei ihrer Hochzeit in Neuilly-sur Seine war Nicolas Sarkozy zugegen…

Die französische Wirtschaftsministerin Christine Lagarde kündigte am Dienstag einen ausserordentliche Finanzhilfe für das geplagte Land an, das im frankophonen Westafrika eine Schlüsselstellung einnimmt. Die EU will das reiche und nun erneut verwüstete Land beim Wiederaufbau unterstützen. Der Support der früheren Kolonialmacht könnte Ouattara viele Sympathien kosten. Laut Beobachtern ist die 22-Millionen-Bevölkerung tief gespalten.

Religiöse Spannungen

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Jubel in Abidjan – bei den Anhängern Ouattaras
In der politischen Krise wurden auch die religiösen Unterschiede hochgespielt und für Machtgewinn ausgebeutet. Die Ivoirer im Norden sind grossenteils Muslime. Gbagbo stützte sich auf die christianisierte Bevölkerung im Süden und suchte eine nationale ivoirische Identität zu schmieden auf Kosten der Burkinabé, der zwei Millionen muslimischen Arbeiter aus dem nördlichen Nachbarland.

Die Kirchen im Land haben die zunehmende Feindseligkeit mit ihren religiösen und ethnischen Untertönen nicht zu verhindern vermocht. Die Christen bitten dringend um Gebet. «Die Elfenbeinküste hat eben eine sehr traurige Seite ihrer Geschichte durchgemacht», schreibt die französisch-schweizerische Mission Biblique, die den evangelischen Kirchenbund UEESSO im Land unterstützt. «Nun muss eine grosse Arbeit der Versöhnung und des Wiederaufbaus beginnen.»

Selbstkritik der Kirche

Im Vorfeld der Wahlen 2010 hatte die evangelische-theologische Fakultät Abidjan vor Spaltungen gewarnt und die Christen des Landes aufgerufen, sich nicht manipulieren zu lassen. «Es herrscht eine gewisse Tendenz zur Politisierung von gottesdienstlichen Aktivitäten der Kirchgemeinden, sei es unter dem Einfluss der Kirchenverantwortlichen oder unter dem von Politikern», schrieben die Theologen. «Als Folge davon beobachten wir viel Unordnung und Zerrissenheit in den Kirchgemeinden bis hinein in einzelne Familien.»

Der Aufruf war von Selbstkritik begleitet. Die Kirche habe es versäumt, die Gemeindeglieder sachlich auf die politischen Entscheidungen vorzubereiten. «Es scheint, als hätte die Kirche ihre geistliche Identität mit einer ausschliesslich ethnischen Identität vertauscht. Dadurch hat sie das erste Ziel ihrer Berufung verfehlt, nämlich Salz der Erde zu sein, Gottes Stimme gegenüber dem ivorischen Volk und Stimme des Volkes vor Gott zu sein.» Die Christen sollten die Politiker an ihre Verantwortung fürs Gemeinwohl erinnern. In der Politik müsse «in Worten und Taten ein Geist der Vergebung und nicht der Rache und Vergeltung» herrschen.

Zum Thema:
«Mission Biblique» mit aktuellen Gebets-Infos von der Elfenbeinküste 

Datum: 13.04.2011
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet / RFI / Die Welt

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