August-Putsch

Ägypten wird zum Staat der Muslim-Brüder

In Ägypten ergreift Muslim-Bruder-Präsident Mursi angesichts des anhaltenden Widerstands noch radikalerer islamischer Gruppen am Sinai die Flucht nach vorn. Mit dem Vorwand eines Versagens der Politgeneräle bei der Bekämpfung der «Salafisten-Banden» machte sich Mursi diesen August-Putsch leicht.

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Militär und Präsident kämpfen gegen die Salafisten.
Am Sonntag entfernte Präsident Mursi seine bisherigen militärischen Mitregenten mit Marschall Tantauwi an der Spitze aus der Regierung und hob alle politischen Vorrechte auf, die sich die Streitkräfte seit dem Sturz von Präsident Mubarak 2011 zugeschanzt hatten.

Gesinnungsfreund als Stellvertreter

In der Folge ernannte er den Gesinnungsfreund Mahmud Mekki zu seinem Stellvertreter, obwohl er vor seiner Wahl im Juni einen Christen und eine Ägypterin als Vizepräsidenten versprochen hatte. Mit personellen Veränderungen bei den Geheimdiensten rundet der nun allmächtige Präsident die Alleinherrschaft der Muslim-Bruderschaft ab.

Nach dem Hinauswurf der Militärs bleiben die ultraradikalen Muslime als einzige Machtrivalen der Muslim-Brüder übrig. Diese so genannten Salafisten sind eine Art islamische Anarchisten im Unterschied zum straff konzipierten Idealstaat der Bruderschaft. Diese lässt wenigstens demokratische Beschlüsse dort zu, wo sie nicht den Satzungen des Korans widersprechen.

Nur Salafisten als Bedrohung

Für den Salafismus hingegen ist jede Demokratie atheistisch und jede staatliche Ordnung ein Greuel. Wahre Muslime müssen in kleinen Gemeinschaften auf dem Land leben. Die modernen Grosstädte sind zu vernichten. In dieser auch ökologisch angehauchten Form entwickelte sich ein salafistischer Untergrund schon im Ägypten der 1970er Jahre mit der Bewegung «Sühne und Weltflucht» –  auf Arabisch «Takfir wa Hidschra».

Diese Organisation ist jetzt wieder für den Kleinkrieg am Sinai verantwortlich. Bei den Parlamentswahlen vom letzten Winter hatten ihre Sympathisanten immerhin fast ein Drittel der Stimmen erhalten. Ein Übergreifen des Aufstands aus der Wüste in die überbevölkerten und sozial labilen Ballungsräume des Niltales liegt daher nahe.

«Glückliches Volk»

Dort zeichnen die Medien hingegen das Bild eines unter dem neuen Führer Mursi schlechthin glücklichen Volkes. Unmittelbar vor seiner vollständigen Machtergreifung hat Mursi alle Leitstellen bei der Presse und den elektronischen Medien mit seinen Vertrauensleuten besetzt. So übernahm der erklärte Christenfeind Abdel Nasser Salama die Chefredaktion der führenden Zeitung Al-Ahram (Die Pyramiden), der Gegner jeder Religionsfreiheit Gamal Abdel-Rahim leitet fortan die Gumhuria (Republik).

Vor diesem beunruhigenden Hintergrund beginnt diese Woche bei den christlichen Kopten das Auswahlverfahren ihres neuen Patriarchen aus 17 Kandidaten.

Mehr Artikel von Heinz Gstrein:
Keine Christen in der neuen Regierung Ägyptens
Flucht vor der Revolution – Regime im Endkampf?
Nach der Präsidenten- die Patriarchenwahl
Saat des Arabischen Frühlings geht in Libyen auf

Datum: 13.08.2012
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet

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