Eine «Märtyrerkirche»

IS-Terrormiliz wütete unter koptischen Christen

In der Petruskirche neben der koptischen Patriarchenkathedrale zum Evangelisten Markus in Kairo standen am Sonntag vor allem Frauen und Kinder zum Empfang des Abendmahls bereit, als in ihrer Mitte eine Bombe explodierte. Die neuesten Angaben sprechen von 27 Toten und 65 Schwerverletzten.

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Anschlag auf koptische Kirche in Kairo

Nach ersten Zeugenaussagen wurde die Bombe von der Ramses-Strasse her durchs Kirchenfenster geworfen. Laut den Angaben des Türhüters Nabil Habib stürmte ein junger Mann in die Kirche. Bevor er ihn anhalten konnte, erfolgte die Explosion. Die ägyptischen Behörden bestätigten inzwischen, die Überreste eines Selbstmordattentäter, des  22-jährigen Mahmud Mustafa, gefunden zu haben.

Islamisten ein Dorn im Auge

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Peterskirche in Kairo vor dem Anschlag
Die 1968 unter der christenfreundlichen Herrschaft von Präsident Nasser errichtete koptische Kathedrale überragt alle umliegenden Moscheen: einmalig in der islamischen Welt, wo Kirchen – wenn überhaupt erlaubt – sich unscheinbar unter die Minarette ducken müssen. Dieser Markus-Dom ist radikalen Muslimen ein Dorn im Auge. Aber selbst unter Muslim-Brüder-Präsident Muhammad Mursi gab es nur drohende Demonstrationen vor der Kathedrale und ihrer Seitenkirche «Butrosia». Dort befindet sich auch die Familiengruft der koptischen Politikerfamilie Butros (Peter) Ghali. Ihr letzter Spross war der UN-Generalsekretär von 1992 bis 1996, Butros Butros Ghali, der nach seinem Tod im Februar 2016 hier beigesetzt wurde, obwohl er der koptisch-evangelischen Kirche angehörte.

Eine Märtyrerkirche

Kopten-Patriarch Tawadros II., der sonst dort die Sonntagspredigt hält, entging dem Anschlag: Er war gerade bei der Orthodoxen Kirche von Griechenland zu Besuch. Sofort flog er von Athen zurück und leitete am Montag die Trauerfeierlichkeiten in der nahen Athanasius-Kirche von Nasser-City. In seiner Grabrede betonte er, es habe sich um die schlimmste christenfeindliche Bluttat in Ägypten seit Menschengedenken gehandelt. Nicht einmal beim Aufstand der Muslim-Brüder im Winter 1951/52 und dann wieder 2012/13 während ihrer Herrschaft am Nil im Gefolge des Arabischen Frühlings habe es einen so gemeinen und folgenschweren Anschlag gegeben. Der Patriarch erklärte nicht nur die Toten der Butrosia zu Märtyrern, wie er das schon 2015 bei den in Libyen vom «Islamischen Staat» (IS) ermordeten Kopten getan hatte, sondern gab der ganzen koptischen Glaubensgemeinschaft fortan den Namen «Märtyrerkirche».

Ein Werk des IS – eine Herausforderung für den Staatschef

Ägyptens Präsident Abdelfattah al-Sisi sprach sofort sein Beileid aus und bekundete Abscheu. Persönlich führte er nach der kirchlichen Abdankung die Beisetzung der Opfer mit allen militärischen Ehren an. Doch liegt auf der Hand, dass er den neuen IS-Terror am Nil noch längst nicht so im Griff hat, wie ihm das mit den Stadt-Guerillas der Muslim-Brüder nach ihrem Sturz im Sommer 2013 gelungen war. In den letzten zwei Jahren blieb es eher ruhig. Der Schein war jedoch trügerisch. Ausserhalb der großen Städte Kairo oder Alexandria ging der Islamistenterror vor allem in Oberägypten weiter: Unter neuer Führung und Radikalisierung durch den Islamischen Staat (IS), mit dem neuen Namen «Hazm» (arabisch Niederlage, d.h. für die Christen).

Das Warnsignal der Ermordung von zwei entführten koptischen Priestern am Sinai durch den IS im letzten Herbst wurde zu wenig beachtet. Jetzt hat der Hazm-IS auch im Herzen der ägyptischen Hauptstadt und der koptischen Kirche zugeschlagen.

Zum Thema:
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Datum: 13.12.2016
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet

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