Türkei: Nach dem Referendum

«Christen sind bedeutungslos geworden – ausser als Feindbild»

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan konnte am Sonntag beim Verfassungsreferendum einen knappen Sieg für sich beanspruchen. Für die christliche Minderheit im Land gibt Max Klingberg von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), eine düstere Prognose.

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Kirche des Klosters Mor Gabriel
Beim Referendum stimmten 51 Prozent der Türken für die Verfassungsreform. Erdogan wird künftig unter anderem die Justiz stärker kontrollieren können. Nach den Wahlen, die für November 2019 geplant sind, wird er sowohl Staats- als auch Regierungschef. Nach seinem Sieg kündigte Erdogan an, die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei auf die Tagesordnung zu setzen.

Max Klingberg ist seit 2000 Mitarbeiter der Int. Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) mit den Schwerpunkten Ägypten und Iran sowie islamisches Recht, Frauenrechte und Religionsfreiheit. pro hat ihn nach seiner Einschätzung nach dem Sieg Erdogans befragt.

Was bedeutet das Referendum für die Pressefreiheit im Land?
Max Klingberg
: Was die Pressefreiheit angeht, war die Türkei auch vor dem Referendum de facto völlig gleichgeschaltet. Es gibt noch Reste einer freien Presse in Form von einzelnen mutigen Journalisten, die sich für die Pressefreiheit einsetzen, aber die Masse der Medien ist entweder geschlossen oder so unter Druck, etwa durch Verhaftungen oder Erpressungen, dass sie nicht mehr unabhängig berichten können. Nach dem Referendum wird es vermutlich nicht schlechter werden, denn Pressefreiheit existiert ohnehin nicht mehr.

Und was bedeutet das Referendum für die christlichen Minderheiten?
Die Prognose der IGFM fällt düster aus. Die Minderheit an Christen ist marginalisiert. Sie wird in vielen Bereichen hochgradig diskriminiert. Die Versprechungen, die Erdogan gemacht hatte, sind alle enttäuscht worden. Hätte er den Wunsch gehabt, den Minderheiten entgegenzukommen, hätte er das jederzeit tun können, denn er hat ja im Parlament eine stattliche Mehrheit. Er hat es aber nicht gewollt. Warum sollte er jetzt auf die Minderheiten zugehen, wo er auf niemanden mehr Rücksicht nehmen muss und de facto Alleinherrscher ist? Letztendlich wird es den anderen Minderheiten noch schlechter ergehen als den Christen. Denn die Christen sind längst in die Bedeutungslosigkeit abgedrängt worden. Wer noch nicht bedeutungslos ist, das sind die Kurden.

Was hatte Erdogan denn versprochen?
Im Südosten der Türkei gibt es das Kloster Mor Gabriel, das unter heftigem politischen Druck steht. Dem Kloster soll weiteres Land weggenommen werden. Das Kloster darf noch immer keinen Unterricht in der Sprache Jesu, Aramäisch, erteilen. Die Ausbildungsstätten für Priester sind weiterhin geschlossen. Da ist in den vergangenen Jahren nichts passiert. Erdogan hatte Erleichterungen für die Kirchen versprochen, auch das ist nicht geschehen.

Wissen Sie von Stellungnahmen kirchlicher Vertreter in der Türkei nach dem Referendum?
Ich kenne noch keine Stellungnahmen, aber ich kann mir gut vorstellen, dass viele Kirchenvertreter den Ball flach halten möchten. Sie haben genug Probleme. Der stärkste Fürsprecher für die christlichen Minderheiten war in der Vergangenheit die HDP, die Demokratische Partei der Völker. Das war auch die einzige Partei, die Christen zu Bürgermeistern gemacht hat und die Christen in verantwortliche Positionen bringen konnte. Die erste christliche Bürgermeisterin überhaupt gehört der HDP an. Aber die Partei ist durch rechtliche Willkür im Grunde ausgeschaltet. Die Parteispitze sitzt im Gefängnis, und die Partei steht unter dem Druck der von Erdogan kontrollierten Justiz. Erdogan hat sich die Machtfülle, die er vor dem Referendum de facto bereits hatte, im Nachhinein noch legalisieren lassen.

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Datum: 19.04.2017
Quelle: Christliches Medienmagazin pro | www.pro-medienmagazin.de

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