«Über Himmel und Hölle darf nicht gesprochen werden»
Gegenwärtig wählt Indien seine neue
Regierung, in der zweiten Mai-Hälfte sollen die Stimmen ausgezählt werden. Die
Christen wünschen sich eine Wende auf dem Subkontinent: Unter der amtierenden
hindu-nationalistischen BJP – sie verfügt seit 2014 über die absolute Mehrheit
– werden Christen hart unterdrückt.
Indiens Premierminister Narendra Modi
Am
Ende der gegenwärtig laufenden Wahlen werden die Sitze an die Regierung
vergeben, welche an der Macht sein wird, wenn Indien bevölkerungsmässig China
überholt und zum einwohnerreichsten Staat der Welt wird: Gegenwärtig kommt
Indien auf 1,339 Milliarden Einwohner, China auf 1,386 Milliarden.
«Die
inoffizielle Bevölkerungszahl könnte noch höher sein. Es ist gut möglich, dass
wir bereits an China vorbeigezogen sind», sagte der indische Menschenrechtler
und Journalist Vishal bei seinem Besuch beim international tätigen Hilfswerk
«HMK Hilfe für Mensch und Kirche» in Thun (BE).
«Rund
80 Prozent der Einwohner sind Hindus», bilanzierte Vishal. Das sind rund 1,07
Milliarden Menschen in Indien, dazu kommen noch etliche Millionen in
anderen Ländern. «Das heisst, dass fast jeder siebte Mensch auf dieser
Erde Hindu ist.»
Drittgrösste muslimische Nation
Im
Hinduismus gibt es 330 Millionen Götter, von denen jedoch keine
lebensverändernde Hilfe zu erwarten ist. «Man geht davon aus, dass wenn jemand
leidet, dies so vorherbestimmt ist. Es handelt sich um das Karma – also eine
Konsequenz aus dem vorangegangenen Leben», erklärt Vishal die Lehrmeinung. Bei
schlechtem Verhalten könne man im nächsten Leben als Esel, Fliege oder Moskito
zur Welt kommen.
Daraus
ergibt sich auch das Kasten-System, dem man innerhalb des Hinduismus nicht
entrinnen kann. Einen Ausweg sehen viele im Christentum. «70 Prozent der
indischen Christen entstammen aus der Dalit-Gemeinschaft, den 'Unberührbaren'.»
14,2
Prozent der Inder sind Muslime, was etwas mehr als 190 Millionen Menschen
entspricht. Nach Indonesien mit rund 227 Millionen Muslimen und Pakistan mit
rund 203 Millionen zählt Indien damit die drittgrösste muslimische Bevölkerung
weltweit.
Indisch sein heisst Hindu sein
Slumkinder in Indien erhalten Schulbildung und damit eine Zukunftsperspektive.
Die
christliche Bevölkerung zählt zwar «nur» 2,3 Prozent Christen, was in diesem
riesigen Staat dennoch knapp 31 Millionen Menschen ergibt. «Die indische
Christenheit geht auf den Apostel Thomas zurück.» Dieser erreichte Indien ungefähr
im Jahr 52 nach Christus. Zudem wurde Indien von Portugiesen, Franzosen und
später den Briten kolonialisiert. «Trotzdem wird der normale Hindu sagen, dass
es eine westliche Religion ist, die eine westliche Kultur beinhaltet, die zu
liberal ist.»
«Die
Zahl jener, die so denkt, wächst», beobachtet Vishal. Dies wegen den
Hindu-Nationalisten der «Bharatiya Janata Party» (BJP), die 2014 die Wahl
gewonnen hat. Mit 51,9 Prozent der Sitze im indischen Parlament verfügt sie
über die absolute Mehrheit. Sie ist zudem der politische Flügel der Rashtriya
Swayamsevak Sangh (RSS), einer rechtsgerichteten, nationalistisch
hinduistischen und paramilitärischen Organisation. «Dies beinhaltet die Denkweise,
dass Indien den Hindu gehört.»
Hass von höchster Stelle
Innerhalb von
drei Jahren nach dem Wahlsieg der BJP wurden 2000 Angriffe auf Christen und Muslime
registriert. Es wurden neue Gesetze verabschiedet, um die Hinduisierung zu
stärken, sowie Ghar-Wapsi-Zeremonien durchgeführt. Bei diesen «Festen» kehren
jeweils zahlreiche Christen, oft unter Druck, zum Hinduismus zurück. Auch NGOs
sind zur Zielscheibe der Regierung geworden. Rund 15'000 haben in den letzten
Jahren ihre Zulassung verloren.
Der
Regierungschef von Uttar Pradesh (dieser Bundesstaat zählt 200 Millionen
Einwohner), der ebenfalls zur BJP gehört, sagte, «dass Christen soziale Arbeit
machen, um Hindus zu konvertieren. Diese Aussage wurden in allen grossen
Zeitungen wiedergegeben. Weiter wurde behauptet, dass dies bereits Mahatma
Ghandi gesagt habe. Das ist eine Fake-News. Nun kann man sich aber vorstellen, wie
Christen angegriffen werden, wenn solcher Hass von Regierungsebene gesät wird.»
Hoffnung nicht aufgeben
Durch Nähprojekte können Frauen aus armen Verhältnissen ein Einkommen generieren.
«Über Himmel und
Hölle darf nicht geredet werden, weil man sonst Angst in der Person schaffen
und sie sich dem Christentum zuwenden könnte.» Inzwischen verfügen neun
der 29 Bundesstaaten über Anti-Konvertierungsgesetze, die die Abkehr
vom Hinduismus unter Strafe stellen.
Dennoch sieht
Vishal Hoffnung: Die Verfassung schreibe weiterhin Glaubensfreiheit vor und
inzwischen ist ein Hilfstelefon eingerichtet worden: «In den letzten zwei, drei Jahren
riefen Tausende an, viele Angriffe konnten dadurch verhindert werden.» Ausserdem finden
immer wieder Menschen in Indien zum christlichen Glauben.
Die
HMK unterstützt mehrere Projekte auf dem indischen Subkontinent. Dazu
gehören die Sozialarbeit unter Kastenlosen und Frauen, Wiedereingliederung von
Menschen mit Behinderungen, Schulbildung für Kinder in Slums, Unterstützung von
Gemeindegründern, Schulungen in Rechtsfragen, Aufbau der Rechtshilfe in
mehreren Bundesstaaten und Rechtshilfe für Christen und Gemeinden anlässlich
schwerer Verfolgung.