Laut Klischee ist das Alte Testament von einem
kriegerischen Gott geprägt. «Stimmt nicht», würde der Prophet Elisa antworten,
«ich habe ihn schon so oft augenzwinkernd und liebevoll erlebt.» Wie in einem
Bericht, in dem es um Gottes Perspektive geht.
Dieser Text steht im2. Könige, Kapitel 6, Vers 8-23. Es lohnt
sich, ihn einmal im Zusammenhang zu lesen – und er gehört tatsächlich zu den
viel zu selten erwähnten und doch augenöffnenden Abschnitten des Alten
Testaments.
Schlafzimmergespräche
In der Vorgeschichte erklärt der Schreiber des Buchs,
dass es mal wieder Krieg gab zwischen Israel und dem grossen Nachbarn Aram. Das
war offensichtlich kein permanenter Kampf, sondern eher eine Taktik der
Nadelstiche: hier ein Angriff, dort ein Überfall. Und der König von Aram hätte
alle Trümpfe in seiner Hand gehabt, wenn es auf israelischer Seite nicht den
Propheten Elisa gegeben hätte. Dem verriet Gott nämlich, wo die nächsten aramäischen
Überfälle stattfinden sollten, Elisa sagte es seinem König weiter und der liess
seine Leute einen anderen Weg nehmen. «Dies geschah nicht bloss einmal oder
zweimal», hält die Bibel fest.
Klar: Wer bei 40 Grad im Schatten vergeblich auf
jemanden wartet, den er überfallen kann, der ärgert sich darüber. So landete
der Fall schliesslich beim König von Aram. Der verhörte seine Offiziere: «Einer
von euch muss die undichte Stelle sein. Gebt es zu!» Doch alle schüttelten den
Kopf, nur einer erklärte: «Nicht wir informieren den israelischen König,
sondern der Prophet Elisa. Der verrät ihm sogar, was Sie in Ihrem Schlafzimmer
reden.» Vorher war der König unruhig, jetzt wurde er richtig wütend. Wer will
schon, dass sein Feind erfährt, was man im Schlafzimmer sagt und tut?
Folgerichtig erhielten die Soldaten den Auftrag: «Ergreift Elisa!»
Geöffnete Augen
Nun blendet der Erzähler um, nach Dotan, einem kleinen
Städtchen in Israel. Dort befindet sich Elisa gerade. Als sein Diener morgens
den Rollladen hochzieht und aus dem Fenster schaut, sieht er, dass die ganze
Stadt von feindlichen Truppen umzingelt ist. Schnell rennt er zu seinem Chef
und verkündet ihm die schreckliche Nachricht. In seinem «oh weh!» schwingt dabei
alles mit, was in solch einer Situation für Gefühle entstehen: Frust, Angst,
Enttäuschung (immerhin sind sie ja in Gottes Auftrag unterwegs!), Verzweiflung
und sogar Wut auf Gott. Doch Elisa bleibt erstaunlich ruhig. «Fürchte dich
nicht! Denn die, welche bei uns sind, sind zahlreicher als die, welche bei
ihnen sind», erklärt er seinem Angestellten.
Der geht zurück zum Fenster,
schaut auf Elisa und sich und zählt: «1, 2», dann schaut er noch einmal hinaus
und überschlägt: «200, 250, vielleicht 300 – wo sind wir mehr?» Elisa lächelt
und betet: «HERR, öffne ihm doch die Augen, damit er sieht!» Auf einen Schlag
entdeckt der Diener Massen von feurigen Wesen in Streitwagen, die er nicht
näher beschreibt. Sie lagern zwischen ihnen und den Feinden – und es sind mehr.
Viel mehr. Offensichtlich zieht Gott hier für einen Moment den Vorhang zur
unsichtbaren Welt zur Seite und lässt Elisas Diener hineinschauen: Gott ist da,
er ist auf seiner Seite, und er wird ihn nicht alleinlassen. Nun klingt
«Fürchte dich nicht» realistisch für ihn.
Star Wars im Alten Testament
Im ersten Star-Wars-Film gibt es eine Szene, die der
nun folgenden stark ähnelt. Beim Hineinfahren in eine Stadt wird Obi-Wan Kenobi
gefragt, was das für Droiden in seinem Gleiter sind. «Das sind nicht die
Droiden, die ihr sucht», erklärt er den Sturmtruppen und diese wiederholen wie
in Trance: «Das sind nicht die Droiden, die wir suchen» und lassen sie
passieren.
In Dotan geht Elisa den Feinden entgegen und erklärt ihnen: «Das ist
nicht der Weg noch die Stadt; folgt mir nach, so will ich euch zu dem Mann
führen, den ihr sucht!» Dann läuft er fast zwanzig Kilometer weit und sie
folgen ihm brav bis mitten in die Hauptstadt Samaria, wo sie ihrerseits
eingekesselt werden. Wiederum betet Elisa, dass Gott Augen öffnet – diesmal die
der Feinde –, und sie stellen entsetzt fest, dass sie gefangen sind.
Ein friedliches Ende
Als der israelische König darauf drängt, seine Gegner
nun zu töten, widerspricht Elisa. Er macht ihm klar, dass sich das nicht gehört
und lässt ihnen etwas zu essen und zu trinken vorsetzen. Anschliessend gehen
die Soldaten unversehrt wieder nach Hause. Das Einzige, was sie eingebüsst haben,
ist ihr Stolz. Die Geschichte endet mit dem Hinweis: «Von da an kamen die
Streifscharen der Aramäer nicht mehr in das Land Israel.»
Gott, gib mir offene Augen
So seltsam oder auch ungewohnt diese Bibelgeschichte
klingt, enthält sie doch einiges, was auch für uns heute relevant ist: nicht
zuletzt den Perspektivenwechsel, den Gott uns anbietet, wenn wir mit seinen Augen
sehen. Wir sehen Menschen, die uns stören, dabei verhalten sie sich auffällig,
weil sie nach Liebe suchen. Wir ärgern uns über andere und deuten ihr Verhalten
als absichtliche Bosheit, dabei waren sie nur genauso vergesslich, wie wir
selbst es manchmal sind. Wir denken, dass in der Gemeindearbeit alles von uns
abhängt, dabei macht Gott deutlich, dass er selbst sich darum kümmert. Und
schliesslich betrachten wir viele Projekte und Arbeiten als gescheitert, zu
denen Gott sagt: Was hast du denn? Ich bin dadurch zu meinem Ziel gekommen. Es
wird etwas geschehen, wenn wir beten: «Herr, öffne mir doch die Augen, damit ich
sehe!»