Kommentar

Der Streit um die «Missionale Theologie»

Wenn jemand den Glauben im Alltag weitergibt, lebt er «missional». Einige christliche Leiter sehen in diesem Lebensstil eine zukunftsweisende Strategie, andere sind skeptisch. SEA-Generalsekretär Marc Jost hat über diese Spannung nachgedacht.

Zoom
Marc Jost, Generalsekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz
Es war etwa im Jahr 1999, als ich zum ersten Mal von der «Lausanner Bewegung» hörte. Ich war damals Theologie-Student. Mein Dozent war begeistert von dieser Bewegung und ihren Dokumenten. Bald einmal konnte ich seine Leidenschaft teilen. Die «Lausanner Bewegung» und deren Erklärung aus dem Jahr 1974 sei eine evangelische Gegenbewegung zum damaligen Kurs der ökumenischen Bewegung gewesen, erklärte unser Kirchengeschichtsdozent. Während die ökumenische Bewegung sich auf soziale und ökologische Anliegen konzentriert und in solchen Veränderungen das Heil der Welt gesehen habe, hätten die Vertreter der Evangelikalen in Lausanne auf die Gefahr der Einseitigkeit hingewiesen und die Botschaft von Jesus Christus als Retter und Erlöser des Einzelnen betont. 40 Jahre später wähnt man sich in demselben Streit, wenn man verschiedene (deutschsprachige) Theologen hört und liest.

Vertreter der «Missionalen Theologie» betonen in ihren Beiträgen zum Wesen Gottes und seiner Kirche das Reich Gottes als ganzheitliches Geschehen. Sie zielen mit ihrer Theologie auf eine Veränderung (Transformation) des Menschen und der Gesellschaft und haben damit eine ähnliche Welle der Kritik wie damals in Lausanne ausgelöst. Zu Recht? Ich meine: nein.

Alte Rezepte helfen nicht weiter

Kurz nach den 68er-Jahren erlebten Marxismus, Befreiungstheologie und «Social Gospel» einen regelrechten Hype. Da war es naheliegend und äusserst notwendig, dass sich eine evangelische Bewegung diesem Trend entgegen setzte und eindringlich darauf hinwies, dass es neben der irdischen auch eine geistliche Notlage des Menschen gebe, der Gott durch seine Menschwerdung in Jesus begegnet sei. Heute dieselbe Diagnose zu stellen und die Medizin von damals zu verabreichen, mutet jedoch seltsam an.

Genau dies geschieht zurzeit im deutschsprachigen Raum. So publizierten unter Federführung des Missiologen Peter Beyerhaus einige namhafte Theologen vor kurzem den «Tübinger Aufruf» unter dem Titel «Weltevangelisierung oder Weltveränderung?» Sie kritisieren in diesem Dokument die «Missionale Theologie» mit ihrer Ausrichtung auf die Gesellschaftsveränderung als illusorisches Ziel und fürchten ein liberales Déjà-vu aus den 70er-Jahren. Ganz gemäss dem Titel dieser Streitschrift wird hier etwas auseinander dividiert, das untrennbar verbunden ist: Wort und Tat, Evangelium und Diakonie, Proklamation und Transformation.

Entwicklung zu einem integrierten Christsein

Schade. Die neueren «Lausanner Papiere» zeigen nämlich eine Entwicklung hin zu einem verstärkten Miteinander von Evangelisation und Diakonie; ein Prozess, der ziemlich genau vor 40 Jahren begonnen hat und heute endlich zu einem Ziel kommen könnte. 1974 wurde von der «Lausanner Bewegung» noch formuliert: «Bei der Sendung der Gemeinde zum hingebungsvollen Dienst steht Evangelisation an erster Stelle.» Und auch in Manila – einer Folgekonferenz im Jahre 1989 – wurde noch festgehalten: «Die Evangelisation ist vorrangig, weil es uns im Sinn des Evangeliums in erster Linie darum geht, dass alle Menschen Gelegenheit erhalten, Jesus Christus als Herrn und Retter anzunehmen.» Es ist wohl nicht zufällig, dass 2010 in der Konferenz von Kapstadt gerade der Südamerikaner René Padilla im Verpflichtungstext zitiert wird: «Integrale Mission ist die Verkündigung und praktische Umsetzung des Evangeliums. Dies bedeutet nicht einfach, dass Evangelisation und soziales Engagement parallel erfolgen sollten. Vielmehr hat unsere Verkündigung bei integraler Mission soziale Konsequenzen, weil wir Menschen zu Liebe und Umkehr in allen Lebensbereichen aufrufen.»

Vielleicht wäre «Integrale Mission» ein hilfreicherer Begriff als das Reizwort «missional». Schon 1975 schrieb der deutsche Theologe Klaus Bockmühl in seiner Sozialethik dazu: «In gewisser Hinsicht beabsichtigt das Adjektiv 'integral' nur eine Korrektur gegenüber einem einseitigen Verständnis von Mission, das entweder die vertikale oder die horizontale Dimension überbetont.» Ob es wohl ein frommer Wunsch bleibt, dass zum 40-Jahr-Jubiläum von «Lausanne» dieser Streit endlich beigelegt werden kann?

Zum Thema:
Marc Jost zum Bettag: Gott im Voraus begegnen
Marc Jost: «Ich bin gerne Christ!»

Datum: 24.02.2014
Autor: Marc Jost
Quelle: Magazin INSIST

Glaubensfragen & Lebenshilfe

Diese Artikel könnten Sie interessieren

Allianzgebetswoche 2023
Christen sind zur Freude aufgerufen – doch wie geht das konkret im Alltag? Darum geht es in der diesjährigen Allianzgebetswoche vom 8. bis 15. Januar...
Glaube oder positives Denken?
Gott reagiert auf unseren Glauben. Doch wie können wir zu einem grösseren Glauben gelangen? Viele Christen fühlen sich schuldig, zu wenig zu glauben...
Mehr als persönliche Führung
«Gott spricht auch noch heute.» Das ist vielen Gläubigen wichtig. Einige erfahren sein Reden übernatürlich durch Träume oder Visionen. Die meisten...
«Ohne Glauben kaum zu erklären»
«Mit Zuversicht und Gottvertrauen setzte sich der Theologe Dietrich Bonhoeffer gegen die Barbarei des Dritten Reiches zur Wehr.» Markus Somm erklärt...

Anzeige

RATGEBER

Zielbewusst und entspannt Gute Vorsätze für 2023
Die ruhigere Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr scheint dazu einzuladen, dass man sich überlegt...