Der Theologe und Therapeut Beat Tanner äussert sich zur Frage, welche Rolle Sexualität bei der Versöhnung eines Paars nach Streit spielen kann.
Zum Nachdenken brachte mich ein Artikel von Gordula Kehlenbach «Zur Versöhnung ins Bett. Wie Sex und Streit zusammenpassen». In diesem Artikel wird darüber nachgedacht, ob es für ein Ehepaar auch die Möglichkeit gibt, die Versöhnung im Bett durch den Geschlechtsverkehr zu suchen. Die Autorin, sie ist nach eigenen Angaben Sexualtherapeutin, beantwortet zwar am Schluss die Frage weder mit «Ja» noch «Nein» und überlässt es damit den Paaren, selber entscheiden zu können. Die Begründung für diese Antwort: Einerseits stellt Sex nach ihrer Aussage die Nähe zwischen den Partnern her. Unter anderem erwähnt sie auch das Bindungshormon «Oxytocin», welches beim Körperkontakt oder beim Geschlechtsverkehr ausgeschüttet wird.
Das ist die Reaktion des menschlichen Körpers auf eine emotionale Beziehung zwischen zwei Menschen. Ein Wunder der Schöpfung Gottes, das uns auch die Stelle im 1. Buch Mose der Bibel, Kapitel 2, erhellt: «Sie sollen ein Fleisch sein». Doch sollten gemäss der Therapeutin unbedingt auch die Gefühle beider Partner über dieses Vorhaben stimmen, um die Versöhnung im Bett vollziehen zu können. Wenn die Gefühle nicht stimmen, rät sie von diesem Vorgehen ab.
«Ein Fleisch sein»
Mit «ein Fleisch sein» meint die Bibel aber nicht den Geschlechtsverkehr, sondern dies bedeutet, dass die Ehepartner einen Bund miteinander geschlossen haben. Durch das gegenseitige Eheversprechen sind sie miteinander einen Bund eingegangen, und damit sind sie «ein Fleisch» geworden. Der Bund der Ehe wird nicht, wie so oft angenommen, durch die sexuelle Vereinigung besiegelt. Mit anderen Worten: Ein Paar hat eine emotionale Beziehung zueinander, die es nun durch ein Versprechen öffentlich bestätigt hat. Sie wurden durch den nun geschlossen Bund, dem Eheversprechen, «ein Fleisch». Eine Reaktion des menschlichen Körpers auf diesen «Bund», der mit einem Versprechen geschlossen wurde, ist die Ausschüttung von Oxytocin im Gehirn.
Was ist denn so bedauerlich an diesem Artikel? Die Autorin verknüpft doch nur die biblische Aussage, dass es wichtig ist, einen Weg zur Versöhnung zu finden und die Erkenntnisse der empirischen Forschung. Lasst mich euch in einen zentralen Gedankengang mitnehmen: Der erste ist die Rolle und die Aufgabe des Hormons Oxytocin und der zweite die Bedeutung der Sexualität innerhalb der ehelichen Gemeinschaft. Der dritte Aspekt ist der Verlust der Gnade in unserer Ehe, wenn wir emotionale Nähe durch eine Hormonausschüttung herstellen und die verbale Versöhnung und Vergebung mit einer Handlung durch hormonelles Glücksgefühl ersetzen. Das Glücksgefühl wird in diesem Fall durch eine Methode, und nicht durch ein Bekennen und Versöhnen hergestellt: «Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit. Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus» (Epheser 4, 31- 32).
Das «Bindungshormon» Oxytocin
Das Hormon Oxytocin hat schon einige Fachartikel gefüllt. Auch an der Uni Zürich ist man mit Eifer daran, dieses Bindungshormon noch besser zu erforschen. Denn es soll Menschen friedliebender und auch sozial kompetenter machen. Auch soll dieses Hormon die sozialen Stressreaktionen dämpfen und den Partnern helfen, einander treu zu bleiben. Das Hormon kann in diesen Fällen dazu benutzt werden, die Menschen zu manipulieren.
Es ist unumstritten, dass die Beziehung durch das Hormon Oxytocin gestärkt wird. Jürgen Bauer beschreibt in seinem Buch «Das Gedächtnis des Körpers. Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern», dass das Gen für die Produktion von Oxytocin immer dann aktiv wird, wenn Menschen stark emotional besetzte Bindungen eingehen. Forschungen ergaben, dass man durch Abgabe von Oxytocin Menschen emotional an andere Menschen binden kann. So könnte man sich wirklich fragen, warum dass man diesen Effekt des Oxytocins nicht etwa auch im Bett nutzen sollte, um die Beziehung nach einem Konflikt hormonell wieder herstellen zu können.
Dass solche Vorhaben nicht ganz unproblematisch sind, liegt auf der Hand. Manipuliert auf diese Weise nicht jemand seinen Ehepartner, wenn er oder sie das Oxytocin durch den Geschlechtsakt im Körper des Ehepartners ausschütten lässt, um damit eine emotionale Bindung zu erreichen?
Eine Bindung manipulieren?
Neben der bereits erwähnten Gefahr der Manipulation gibt es noch einen weiteren Grund, der dagegen spricht: Es ist nicht der Zweck des Oxytocins, Bindungen und Beziehungen zu manipulieren. Joachim Bauer schreibt richtig, dass dieses Hormon dann ausgeschüttet wird, wenn eine stark emotionale Beziehung vorhanden ist, und nicht, um eine emotionale Beziehung herzustellen. Hier wird also ein Weg gewählt, der dem entgegengesetzt ist, wie es von Gott her gedacht ist, um zwei Menschen eben auch körperlich an ihrer Beziehung teilhaben zu lassen. Ist es nicht ein Geschenk Gottes, dass die Geborgenheit in einer Beziehung, zwischen Ehepartnern oder zwischen Eltern und Kindern Auswirkungen auf das emotionale Empfinden des Körpers hat? Dieses Hormon steuert die Beziehung unserer Seele zum Körper. Machen wir die Erfahrung einer wertschätzenden, liebevollen und vertrauensvollen Beziehung, ist das nicht nur eine Erfahrung unserer Seele: Auch unser Körper wird Teil dieser Erfahrung, die sich im emotionalen Wohlbefinden unseres Körpers ausdrückt. Die Seele soll somit das Verhalten und die Emotionen unseres Körpers bestimmen. Dies darf nicht umgekehrt geschehen, indem der Körper über unseren emotionalen Zustand bestimmt. Denn Beziehungen werden vom Herzen aus gesteuert. Dies ist der Weg, wie es Gott vorgesehen hat.