Erdbeben auf Haiti

«Ich habe es überlebt»

Mein Name ist Jean Renald Benoit. Ich habe das Erdbeben auf Haiti überlebt. Ich habe erlebt, wie sich auf einen Schlag alles ändern kann. Ich habe eine zweite Chance zu Leben bekommen.

Es war ein Tag wie jeder andere. Meine Familie und ich trafen uns morgens zum Beten und Bibellesen, und dann ging jeder seiner Arbeit nach. Wie konnten wir ahnen, dass die Worte aus der Bibel in Lukas, Kapitel 23, Verse 33-43 an diesem Tag eine ganz neue Bedeutung für uns bekommen würden. Wir lasen, dass genau da, wo alles hoffnungslos erscheint, Gottes Kraft umso sichtbar werden kann.


Ein Beben zerstört das Land

Gegen vier Uhr machte ich mich auf zu einem Autohaus. Ich war gerade dabei, mit dem Verkäufer einen Preis für einen Gebrauchtwagen auszuhandeln, als plötzlich alles zu wackeln anfing. Ich verstand erst gar nicht, was los war, bis mir bewusst wurde: das muss ein Erdbeben sein. Innerhalb von Sekunden wurde es so stark, dass es fast unmöglich war, sich vorwärts zu bewegen. Der Boden rüttelte nach links, nach rechts, nach oben und unten. Der Ausgang war um die vier Meter entfernt, aber trotz aller Kraft, die ich aufwandte, nur schwer zu erreichen.

Als ich endlich draussen war, wurde mir klar, dass ich auch hier keine Sicherheit hatte. Alles bewegte sich, die Häuser waren wie Schaukeln, der Boden unter meinen Füssen gab mir keinen Halt, ich hatte nichts mehr unter Kontrolle. Ich schrie innerlich zu Gott um Hilfe und wusste, dass ich mit meiner Kraft hier nichts mehr ausrichten konnte.


Ein Lichtblick mitten im Elend

Als das Beben schwächer wurde, versuchte ich so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Doch die Strassen waren voller Schutt. Überall tote Menschen, Zerstörung, Chaos. Ich war fassungslos: Warum lässt Gott das zu? Das kann doch nicht einfach passieren? Aber ich wusste auch: Gott hat Kontrolle über alles, wenn er so etwas zulässt, dann muss es doch einen Sinn haben! Und wer bin ich, dass ich am Leben geblieben bin? Was für eine grosse Gnade, Gott hat mir nochmals das Leben geschenkt! Und gleichzeitig machte sich eine Angst in mir breit, was wohl mit meiner Familie ist. Ich wusste, Gott sorgt für uns, aber ich wollte so schnell wie möglich heim und wissen was los ist.

Und wieder erlebte ich ein grosses Wunder: meine Frau, unsere drei kleinen Kinder, mein jüngerer Bruder - alle waren am Leben! Mein Bruder war früher von der Uni gekommen, seine Lerngruppe war ausgefallen. Das hatte ihm das Leben gerettet, denn von der Universität ist nichts mehr übrig und fast alle Professoren und viele Mitstudenten sind ums Leben gekommen. Meine Frau hatte unter Einsatz ihres Lebens in letzter Sekunde unser Baby aus dem Haus gerettet. Regale, Bücher, Trümmer türmten sich wenige Sekunden über der Spieldecke unseres kleinen Sohnes...

Wenn man das Leben neu überdenkt

Menschen denken immer, sie haben selbst alles unter Kontrolle. Aber wenn man mal so etwas erlebt hat, verschieben sich die Prioritäten. Auf was kann man sich wirklich verlassen, wenn alles zusammenbricht? Da nützen einem alle Reichtümer der Welt nichts mehr. Kraft, Klugheit, Schönheit, Macht, alles wird hinfällig. Die Menschen auf Haiti sind nachdenklich geworden. Wer überlebt hat, fragt sich, was wirklich im Leben zählt. Viele möchten ihr Leben verändern. Neu anfangen, bewusst leben.

Ich weiss nicht, warum Gott so etwas Schreckliches zugelassen hat. Aber ich weiss, er liebt die Menschen auf Haiti und er kann auch Leid in etwas Gutes verwandeln. In all dem Chaos habe ich ganz neu spüren dürfen, dass ich mich auf Gott verlassen kann. Er hat uns als Familie Kraft gegeben und Halt. Egal wo wir sind, wir sind unter seinem Schutz, geborgen in seiner Hand. Das bedeutet nicht, dass uns nie etwas passieren kann. Aber es heisst, dass Gott immer da ist, egal was passiert. Durch seine Kraft können wir klar sehen in all unserer Schwachheit. Ich wünsche mir für mein Land, dass die Menschen rauskommen aus ihrem Elend. Damit meine ich nicht, dass alle reich werden, sondern dass die Menschen die Wahrheit erkennen, innerlich zur Ruhe kommen können, und tief in sich spüren: Gott ist da.

Jean Renald Benoit ist verheiratet mit Martina Benoit. Gemeinsam haben sie drei Kinder, Jonathan (5 Jahre), Anna (4 Jahre) und Raphael (6 Monate) und arbeiten als Missionare der Kinderevangelisationsbewegung auf Haiti.


Autor: Miriam Hinrichs
Quelle: Jesus.ch

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