Leben und Glauben

Auf Umwegen zum Retter

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Ernst und Cony Knupp (Bild: Mirjam Fisch-Köhler)
Ernst Knupp leidet an einem lebensbedrohlichen Hirntumor. Seine Suche nach Heilung führt ihn und seine Frau Cony nach Brasilien. Ausgerechnet bei einem Geistheiler erhalten sie einen Hinweis, der ihr Leben völlig verändern wird.

Es war am 4. Januar 2009. «Was ist nur mit Ernst los?» Cony Knupp sorgt sich um ihren Mann. Sie steht in der Küche und beobachtet, wie er im Wohnzimmer auf dem Sofa liegt. Einen Arm hat er über den Kopf ausgestreckt, der ganze Körper zuckt. Ansprechbar ist er nicht. Die Ambulanz fährt Ernst Knupp ins Kantonsspital St. Gallen. Dann die Diagnose: Hirntumor. Ohne Behandlung gibt man ihm noch eine Lebenserwartung von drei bis fünf Jahren. Ernst ist 43 Jahre alt, die beiden Kinder 6 und 9. Beim operativen Eingriff kann der grössere Teil des Tumors entfernt werden.

Wieder zu Hause in Andwil SG zeigt er Verhaltensweisen, die seine Frau Cony nicht einordnen kann. Ernst entwickelt eine enorme Energie. Mitten in der Nacht weckt er seine Frau, weil er «eine tolle Idee hat» und will mit ihr darauf anstossen. «Ernst, es ist 4 Uhr morgens! Ich stosse auf gar nichts an mit dir!» Cony muss ihn zurückweisen. Also geht er allein in die Küche und lässt den Champagnerkorken knallen. Conys introvertierter Mann redet plötzlich wie ein Wasserfall, lädt Leute zum Essen ein, kauft sich laufend schöne Dinge! Medikamente haben bei Ernst Knupp eine Manie ausgelöst. Eine Herausforderung für sein Umfeld. Erst nach sechs Wochen beruhigt er sich. Knupp ist Verwaltungsdirektor des Kinderspitals St. Gallen und ein Workaholic. Nun hat ihn die Erkrankung ausgebremst.

Der Tumor wächst erneut

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Ernst Knupp
Im April 2009 nimmt er seine Arbeit etappenweise wieder auf. 2011 zeigt sich in einer Kontrolluntersuchung, was sich niemand wünscht: Der Tumor wächst wieder. Eine weitere Operation steht an. Doch nun will er Alternativen prüfen. 2011 reist Ernst Knupp für eine Behandlung nach München. Aber ausgerechnet an diesem Tag ist die erforderliche Substanz für die spezielle Operationsmethode nicht verfügbar! Unverrichteter Dinge fährt er zurück nach St. Gallen. Cony ist froh darüber. Sie hat den Eindruck bekommen, dass ihr Mann den geplanten Eingriff nicht überlebt hätte.

Auf der Rückreise mit der Bahn erreicht Ernst Knupp die SMS einer Freundin. Sie macht ihn auf João de Deus (Johannes von Gott) aufmerksam. Dieser behandle Menschen allein mit spiritueller Kraft. Schon viele seien durch ihn gesund geworden. Zu Hause spricht Ernst mit seiner Frau darüber. Dass die Behandlung kostenlos angeboten wird, zerstreut ihre Zweifel. Sie wagen den Versuch. Vielleicht wird eine Operation damit überflüssig?

Und Cony? Sie leidet seit ihrer Kindheit unter Schlafstörungen. Der Tod ihrer Mutter, schwierige Erbschaftsfragen und die Krankheit von Ernst haben eine Erschöpfungsdepression ausgelöst. Sie sehnt sich nach Seelenfrieden. Vielleicht kann der Heiler auch ihr helfen? Als bei Ernst die Hirntumor-Diagnose zum zweiten Mal bestätigt wird, befindet sich Cony in einer Klinik für Psychosomatik, Psychiatrie und Psychotherapie. Sie brauchen beide Heilung.

Reise nach Brasilien 

Kurzfristig schliessen sie sich einer Reisegruppe unter der Leitung eines Arztes an. Zwei Wochen später reisen sie nach Abadiania zur «Casa de Dom Inacio». Sie begegnen João und seinem Team und lassen sich auf die Behandlungsmethoden des Geistheilers ein. Der Glaube gehört in Brasilien wie selbstverständlich dazu, wird aber vermischt mit ungewöhnlichen Praktiken, die den Heilungsprozess angeblich fördern sollen. Es ist eine Mixtur aus Volksfrömmigkeit und Spiritismus.

Während einer Mittagspause sitzt Ernst auf einer Bank im Park des spirituellen Zentrums. Da vernimmt er eine innere Stimme: «Bist du bereit, mir zu folgen? Schenk deine Liebe einer ganzen Stadt. Dann ist Heilung möglich.» Was soll das bedeuten? In seinem Kopf jagen sich die Gedanken. Plötzlich sieht er das Logo der Stadtmission St. Gallen vor sich. Für ihn wird klar, dass der nächste Schritt auf dem Weg der Heilung ein Besuch in der Stami, einer grossen St. Galler Freikirche, sein wird. Nach vierzehn Tagen reisen Ernst und Cony Knupp zurück in die Schweiz. Vor dem Abflug besuchen sie noch den Templo da paz in Brasilia, einen Treffpunkt für Pilger. «In der Mitte des Labyrinths im Tempel spürte ich eine überströmende Wärme, eine erfüllende Liebe wie noch nie zuvor», erzählt Ernst.

«Sie redeten immer von Jesus …»

Am ersten Sonntag nach der Rückkehr besucht Ernst die Stami, «die Kirche, die bewegt», so nennt sie sich. Einzelne Stami-Leute kennt er von früher. «Die redeten immer von Jesus», erinnert er sich. Er habe gar nicht verstanden, weshalb. In Brasilien hat er mitbekommen, dass Gott zum alltäglichen Leben gehören kann. Aber was war mit diesem Jesus? Er wendet sich an Gust Ledergerber, Pastor für Evangelisation und Seelsorge in der Stami. Ernst erzählt: «Er nahm sich Zeit für meine Fragen, hörte sich meine doch etwas eigenwillige Geschichte an und nahm mich von Beginn weg ernst.»

Zuerst besucht Ernst die Gottesdienste allein; Cony ist nicht interessiert. Doch dann entscheidet er sich für ein Leben im Glauben an Jesus Christus. Intensiv liest er in der Bibel und beginnt, in der Kirche mitzuarbeiten. Ernst Knupp weiss: «Gust musste mich anderen Personen gegenüber oft verteidigen – meine Vorgeschichte mit dem Heiler in Brasilien ist doch sehr ungewöhnlich.» Aber Pastor Ledergerber ist überzeugt, dass Gott Menschen auch auf ungewöhnlichen Wegen führen kann: «Wer sind wir, darüber zu urteilen?»

«Ich bin sehr kritisch. Die Institution Kirche, wie ich sie kannte, überzeugte mich nicht», sagt Cony Knupp. Ihre Ehe ist unter Druck geraten. Sie kann Ernsts Begeisterung für Jesus nicht teilen. «Unsere Leben drifteten auseinander und doch war mir klar, dass Gott keine Trennung will», erinnert sie sich. «Also versuchte ich, die Faszination meines Mannes für Jesus zu verstehen.» Sie geht mit in die Stami und die Gottesdienste sprechen sie an. Langsam öffnet sich Cony für den Glauben. Im Oktober 2014 lernt sie eine Künstlerin und Seelsorgerin kennen. Sie beantwortet Conys Fragen und begleitet sie. Bücher der Autorin Sarah Young geben ihr viele Impulse, und im Frühling 2016 entscheidet sie sich, ihr Leben Jesus Christus anzuvertrauen.

Die zweite Operation

Ernst Knupp ist überzeugt, wieder gesund zu sein. Doch das Kontroll-MRI zeigt, dass der Tumor wieder wächst. Diesmal wird ihm eine noch kürzere Lebenserwartung prophezeit. Dies alles hat sich kurz vor seiner Taufe abgespielt. Ernst hält an Jesus fest. Er lässt sich noch einmal operieren. Und obwohl Cony darauf hingewiesen hat, dass sich Ernsts Verhalten nach der letzten OP stark veränderte, wird er nach Hause entlassen. Die medikamentbedingte manische Phase tritt erneut ein. Diesmal gipfelt sie in einem fürsorgerischen Freiheitsentzug und einer dreiwöchigen stationären psychiatrischen Behandlung.

Im Kinderspital ist umstrukturiert worden. Ernst erkennt, dass er nicht mehr gleich leistungsfähig ist wie vor der Erkrankung. Daher reduziert er seine Führungsverantwortung markant. Er behält die Geschäftsführung der Pensionskasse und übernimmt die Fachverantwortung für das Risikomanagement.

Eine ganz neue Ausrichtung

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Cony Knupp
«Bist du bereit, mir zu folgen? Schenk deine Liebe einer ganzen Stadt.» Die in Brasilien vernommene Stimme klingt in Ernst nach. Und tatsächlich – in der Stami ergeben sich zunehmend Gelegenheiten, sich in diesem Sinne zu engagieren. Ernst Knupp übernimmt die bauliche Projektleitung beim Aufbau eines Quartiertreffs, wirkt mit bei Life-on-Stage in St. Gallen und beim 150-Jahre-Jubiläum der Stami. Parallel dazu hat Cony im Jahr 2012 einen Kornspeicher gekauft und im Dorfzentrum von Andwil aufbauen lassen. Dort betreibt sie den «Schwatzspycher», ein Café, Deko- und Geschenklädeli mit einem herrlichen Garten zum Verweilen. Besucher sollen von diesem besonderen Fleckchen Erde berührt werden. Immer wieder entwickeln sich dabei tiefe Gespräche. Zudem dient das schöne Lokal dem örtlichen Standesamt als Trauzimmer.

Gebetstreffen im Schwatzspycher

2016 hat Ernst Knupp eine lokale Gebetsgruppe initiiert, die regelmässig für ihre Familien, ihr Dorf und die Umgebung betet. Cony ist auch mit dabei, und ihr Spycher wird dann zum Gebetslokal. Zudem begleitet Ernst schwer kranke und sterbende Menschen im Rahmen des Hospiz-Dienstes St. Gallen und er gehört zum Organisationskomitee der «Weihnachtsreise St. Gallen», einer in der Adventszeit in der Altstadt aufgeführten Weihnachtsgeschichte. So schenkt er seine Liebe auf verschiedene Weise der Stadt und erzählt dabei gerne von seinen Glaubenserfahrungen. «Ich wünsche jedem, dass er Jesus kennenlernt!», strahlt der heute 55-Jährige.

Die Zukunft ist offen

Per 1. Mai 2020 hat er seine Stelle beim Kinderspital gekündigt und eine GmbH gegründet. So führt er das Mandat der Geschäftsleitung der Pensionskasse weiter und übernimmt zusätzlich weitere Aufträge seines ehemaligen Arbeitgebers im Umfang von 20 Prozent. Er will sich aber auch für den Bau des Reiches Gottes einsetzen. Ein Traum des Ehepaars Knupp ist es, ein gemeinschaftliches Leben mit anderen Menschen in einem nicht mehr benutzten Kloster zu etablieren. «Vielleicht nach der Pensionierung», meint Cony (58) und lacht. «Ja, wir haben noch viele Ideen!»

Ernst ergänzt: «Die Erfahrungen, die wir jetzt dank Jesus machen, sind wunderbar.» Sie können sich ein Dasein ohne diesen persönlichen Glauben gar nicht mehr vorstellen. Ihr Leben hat sich vollkommen verändert. Nein, der Tumor ist nicht ganz verschwunden, verhält sich aber stabil. Und Cony schläft nun mehrheitlich gut. Was beide erlebt haben, ist eine Heilung im Innersten. «Mein Leben ist reich erfüllt und in Gottes Hand, ich habe keine Angst», sagt Ernst. Und Cony weiss, dass Jesus jederzeit für jedes Anliegen erreichbar ist. Jetzt sind die beiden gespannt, wohin Gott sie noch führen wird.

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin IDEA Schweiz.

Zum Thema:
Gott persönlich kennenlernen
Hirntumor verschwunden: «Das ist ein Wunder Gottes»
Bettina Wagner: Geschieden, alleinerziehend, aber nicht im Stich gelassen
Mit viel Geduld und Gebet: Wie eine zerstörte Ehe erneut aufblühte

Datum: 10.04.2021
Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: IDEA Schweiz

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