Tagung in Zürich

Seelsorge und Beratung sollen sich vernetzen

Rund 130 Personen aus den Bereichen Seelsorge, Beratung, Psychologie, Psychotherapie und Psychiatrie trafen sich am 18. September in Zürich zu einer Tagung, welche die bessere Vernetzung der in diesem Bereich tätigen evangelischen Christinnen und Christen zum Ziel hatte.

Eine alltägliche Situation: Fred Lauffer* bekommt von seinem Psychiater ein Medikament gegen Depressionen verschrieben. Fred erzählt seinem Seelsorger davon; dieser rät ihm, den Arzt zu wechseln.

Ratsuchende können je nach Umständen Helfern begegnen, die ihnen ganz unterschiedliche Ratschläge erteilen. Dies verwirrt sie. Umgekehrt arbeiten Ratgeber, Psychologinnen, Ärzte und Seelsorgerinnen oft isoliert und bemühen sich wenig um interdisziplinäre Arbeit.

Willkommener Austausch

Pfarrer Karl Flückiger, Präsident der Association of Christian Councellors (ACC), ergriff zusammen mit ACC-Geschäftsführer Philipp Probst und dem Präsidenten des Vereins Christlicher Fachleute im Rehabilitations- und Drogenbereich (VCRD), Hans Rudolf Pfeifer, deshalb die Initiative.

Die drei luden fünf evangelische Organisationen mit unterschiedlichem Hintergrund und damit Berater und Fachleute von verschiedenen Fachrichtungen, zu einer Tagung ein. Ein Hauptreferat, Workshops, Kurzbeiträge und nicht zuletzt eine spielerische Gruppenübung bildeten den Rahmen der Tagung in der Helferei beim Zürcher Grossmünster.

Ein Netzwerk loser Beziehungen

Allein schon die Tatsache, dass sich die 130 Fachleute und Laien aus den Bereichen Medizin, Pflege, Therapie und Beratung begegneten, hatte eine vernetzende Funktion. In Worskhops und Pausengesprächen wurde rege ausgetauscht, fehlende Links wurden ausgemacht und konkrete Kontakte geknüpft. Karl Flückiger meinte dazu: „Unser Ziel ist, einander besser zu begegnen, als wir es bereits tun.“

Überraschenderweise lebe ein Netzwerk nicht von „starken Beziehungen“ wie nahen Freundschaften und intensiver Gemeinschaft. Netzwerke seien dann lebendig, wenn sie aus „schwachen Beziehungen“ bestünden, die spontan und locker organisiert seien. Diese offenere Struktur ermögliche einen Erfahrungszuwachs, indem man mit verschiedenen Leuten ins Gespräch komme und sie näher kennen lerne.

Psychologie und Seelsorge zusammenführen

Der Psychiater Samuel Pfeifer, Chefarzt der Klinik Sonnenhalde in Riehen, beleuchtete die moderne Diskrepanz zwischen Seelsorge und Psychologie. Er sprach sich für eine Integration von Psychiatrie, Psychologie, Psychotherapie und Seelsorge aus. Pfeifer: „Seelsorge darf nicht im Alleingang geschehen: Supervision, Intervision, Konsultation mit Ärzten und andern erfahrenen Seelsorgern sind unabdingbar für eine verantwortungsbewusste Seelsorge.“

Der Referent wünscht sich eine vermehrte gegenseitige Wertschätzung zwischen Seelsorge und Therapie, denn die Praxis zeige: „Zusammenarbeit ist möglich und dient dem Wohl unserer Patienten, ohne deren geistliches Leben zu beeinträchtigen.“

Verschiedene Seelsorge-Ausbildungen

In der evangelischen Welt ist die Integration von Psychologie und Seelsorge noch relativ jung. Doch seit den 70er Jahren haben sich viele Seelsorger und Laien mit psychologischen Konzepten vertraut gemacht und Ausbildungen zum Beispiel in den Instituten von Reinhold Ruthe, Michael Dieterich oder Ignis gemacht. Dies habe zur Kritik bei Vertretern einer „biblischen“ Seelsorge geführt.

Seelsorge ohne pharisäisches Urteilen

Diese vernachlässigten jedoch oft die seelischen Bedürfnisse der Menschen und unterwürfen sie den Forderungen nach einer geistlichen Lebensgestaltung, sagte Pfeifer. Und mahnte: „Biblische Seelsorger dürfen nicht zu Schriftgelehrten und Pharisäern degenerieren, die zwar jede Stelle zum Thema Sünde kennen, aber Gefühle der Barmherzigkeit mit den Schwachen bereits als ‚humanistisch’ und ‚ausserbiblisch’ deklarieren.“

Säkulare Berater entdecken Spiritualität

Laut Pfeifer hat heute auch die säkulare Psychologie die Notwendigkeit der Integration von Spiritualität in ihre Arbeit erkannt und festgestellt, dass der spirituelle Aspekt wichtig werde. Pfeifer erwähnte unter anderen das Buch des Zürcher Psychiaters Daniel Hell über die Spiritualität der Wüstenväter.

Für die Seelsorge folgt daraus laut Pfeifer: „Seelsorglich Tätige kennen ihre Grenzen und arbeiten mit Fachpersonen und Fachinstitutionen zusammen. Sie kennen die ethischen Richtlinien der Beratung und achten das Beichtgeheimnis. Sie sind sich ihrer Verantwortung bewusst und bedrängen Ratsuchende nicht mit einseitigen spirituellen Deutungen. Spirituelle Deutungen wie Sünde, Ungehorsam oder Dämoneneinwirkung allein machen noch keine biblische Seelsorge und keine christliche Gegenkultur aus.“ Seelsorgerinnen und Seelsorger sollten sich daher in speziellen Fachbereichen ausbilden lassen und auch Supervision in Anspruch nehmen.

Die Fachtagung wurde gemeinsam veranstaltet vom Fachkreis Psychologie der Vereinigten Bibelgruppen (VBG), dem Verein Christlicher Fachleute im Rehabilitations- und Drogenbereich (VCRD), den Christen im Dienst am Kranken (CDK), der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz (AGEAS) und der Association of Christian Councellors (ACC).

*Name geändert

Livenet dokumentiert in den nächsten Tagen den Vortrag von Dr. Samuel Pfeifer.

Websites:
www.acc-ch.ch
www.bibelgruppen.ch/home.html
www.ageas.ch
www.vcrd.ch

Datum: 23.09.2004
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet.ch

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