Adut Adam

«Ich war 15 Jahre lang eine Sklavin»

Als Fünfjährige wurde Adut Adam verschleppt. Ihre Kinder- und Teenagerjahre verbrachte die junge Südsudanesin als Sklavin. Von ihrem Halter hat sie sechs Kinder. Mit fünf von ihnen gelangte sie in die Freiheit.

Ihre Kinder strahlen um die Wette. Zu fünft stehen sie vor ihrer Hütte, das älteste hält eines der kleineren Geschwister. Mittendrin steht Adut Adam. Auch sie lächelt. Noch nicht sehr lange, aber sie hat es zurückgewonnen. In den Jahren davor habe sie nie gelacht. Kein einziges Mal. Adut war Sklavin.

Bereits im Vorschulalter wurde sie gekidnappt und weggebracht. Und mit ihr das halbe Dorf*. Die Sklavenjäger brachen mitten in ihre glückliche Kindheit hinein. «Ich war die jüngste von fünf Schwestern. Mein Vater hatte eine kleine Hütte und eine kleine Viehherde. Unser Leben war sehr schön. Meine Schwestern gingen bereits in die Schule, ich selbst noch nicht, weil ich noch zu klein war.»

Verschleppt und verkauft

1988 – Adut war damals fünf Jahre alt – überfielen arabische Regierungsmilizen auch ihr Dorf. Der moslemische Norden unterdrückt damit den christlichen und animistischen Süden. «Sie kamen mit vielen Pferden und überfielen uns. Auch ich wurde gepackt. Das gesamte Dorf wurde zerstört», erinnert sich Adut Adam noch knapp. Näheres über den Hergang weiss sie nicht mehr. Ausser natürlich, dass sie zusammen mit anderen Kindern verschleppt wurde.

Sie wurde an ihren künftigen Besitzer im Nordsudan verkauft. «Ich musste den ganzen Tag arbeiten: pflanzen, jäten und im Haushalt arbeiten und so weiter. Immer wieder wurde ich geschlagen.» Wie oft, weiss sie nicht mehr. «Je älter ich wurde, desto mehr Probleme machte er mir. In der Mittagshitze hatte ich im Viehgehege zu arbeiten, und wenn ich abends heimkam, litten meine Kinder, weil sie Durst hatten. Ich hatte sieben Tage in der Woche zu arbeiten. Ich hatte keinen freien Tag. Jeden Tag und bis in die Nacht hinein musste ich schuften.»

Vergewaltigt

Adut hoffte, dass «mich eine Menschenrechtsbewegung befreien würde. Mein Meister sagte aber, dass er mich niemals gehen lassen würde.» Von ihrem Halter kriegte sie sechs Kinder. «Fünf sind hier bei mir. Eines eroberte er sich bei meiner Befreiung zurück.» Adut ist heute 21jährig; von ihrem Sklavenhalter hat sie sechs Kinder. Man rechne ...

Liebte sie diese Kinder, weil es ihre eigenen waren,oder lehnte sie sie ab, weil es seine waren? Adut: «Ich liebe sie, weil es meine eigenen sind.»

Während Jahren habe sie kein Lächeln auf ihrem Gesicht gehabt. «Denn ich wurde grausam behandelt.» 15 Jahre lang musste sie Tag für Tag arbeiten, beginnend als Fünfjährige. Und sie hatte Kinder von einem Mann, den sie nicht wollte. «Heute habe ich mein Lachen wiedergefunden. Aber ich habe Ärger. Ich habe Angst um meine Kinder, weil wir kein Essen haben. Aber wir sind glücklich, weil wir frei sind. Ich kann zum Beispiel alleine frisches Wasser holen.»

Kein Ausweg?

Gott sei ihre Hoffnung gewesen: «Ich erinnerte mich immer an ihn, denn er hat mich geschaffen. Er war es, der mich zurückbringen könnte. Ich betete immer in meinem Herzen, und nun ist es wahr geworden: Ich bin hier.» Obschon sie ihr Besitzer zu einer Moslemin machen wollte. Er setzte sie unter Druck und schlug sie. Flüchten wollte sie trotzdem nicht: «Denn meine Kinder wären zurückgeblieben. Und ich wollte sie nicht alleine bei ihm lassen. Das wäre nicht gut gewesen. Darum blieb ich bei den Kindern. Ich wollte sie nicht ihm überlassen. Ich betete, dass mich Gott eines Tages von meinem Mann befreit und ich zurück in den Süden kann.»

Traum: Die Kinder ernähren

Eines Tages – im Januar 2004 – kam dann aber ein Komitee und suchte nach entführten Kindern. «Dabei fanden sie auch meine Kinder und mich.» Sie wusste fast nur von einem Leben als Sklavin, da sie mit fünf entführt wurde. «Ich konnte nicht mit Kindern spielen, nichts. Jetzt bin ich ein Mensch geworden. Vorher war ich das nicht.

Ich gebe den Kindern Milch, versuche zu pflanzen und so weiter. Hier habe ich keinen Druck mehr.» Aduts Traum für die Zukunft: «Mein grösster Wunsch ist, die Kinder ernähren zu können.»

Sie wolle hier* etwas anpflanzen, kenne aber den Boden noch zu wenig. «Wie man ein Gebäude baut, weiss ich nicht. Man hat mir hier aber eine Hütte gebaut.» Von ihrer Familie wisse niemand etwas. Aber ihr Leben sei nun gut. Ihre Gedanken: «Wenn es Gottes Wille ist, können meine Kinder in die Schule gehen, und ich kann frei sein und meine Kinder ernähren.»
Aufgezeichnet von Daniel Gerber

* = Aus Sicherheitsgründen wird auf Ortsangaben verzichtet.

Kein Einzelschicksal

Adut Adam ist kein Einzelschicksal. Zur Zeit sind über 200'000 Südsudanesen im Norden versklavt*. Durch Freikäufe der internationalen Hilfsorganisation CSI («Christian Solidarity International») konnten 84'000 zurückkehren. Die Dokumentationsarbeit von CSI bewirkte einen internationalen Druck auf das sudanesische Regime, so dass dieses mittlerweile von sich aus mehrere Zehntausende freiliess. Die Regierung in Khartum bestreitet einerseits diese Versklavungen, führt sie aber andererseits weiter. Denn der moslemische Norden will den christlichen und animistischen Süden zwangsislamisieren, nicht zuletzt wegen der dortigen Erdölvorkommen.

Der Süden war einst die Kornkammer des Landes und ernährte den Norden mit. Die Überfalle der Sklavenhändler finden aber in der Saat- und Erntezeit statt. Dabei werden die Dörfer niedergebrannt und die Kinder und Frauen als Sklaven mitgenommen und viele Männer umgebracht. Auf diese Weise ist dort längst eine künstliche Hungersnot entstanden. Die UNO spricht von einer «ethnischen Säuberung», und nach Angaben von Caritas sind zur Zeit 800'000 Südsudanesen auf der Flucht.

In einer Serie berichten wir nun über die Geschehnisse im Sudan.

* = Die Zahl basiert auf Angaben der acht Zivilverwalter der Bezirke Aweil East, Aweil West, Aweil North, Aweil South, Twic, Abyei, Gogrial und Mayom.

Lesen sie auch die Serie dazu:
2. Teil Meine Klinik begann unter einem Baum
3. Teil Ein Arzt im Bombenhagel
4. Teil Noch keine Skorpione
5. Teil Die Milizen geben auf
6. Teil Gefangen, verkauft, unterdrückt
7. Teil Um diese Zeit kommen manchmal die Bomber
8. Teil Hühner schreien zwischen den echten "Music Stars
9. Teil So wurde aus der Kornkammer ein Armenhaus
10. Teil Vier Kinder vom angetrauten Vergewaltiger
11. Teil Eine entvölkerte Schweiz, mitten im Sudan
12. Teil Die Sternstunde
13. Teil Der älteste Sohn der Familie vergewaltigte mich
14. Teil Nicht ohne meine Kinder
15. Teil Schweizer Hilfswerk macht Weltpolitik
16. Teil So wurde die UNO zum Regime-Komplizen
17. Teil Wir haben die Hand Khartums geführt
18. Teil Die USA und das gigantische Missverständnis
19. Teil Wir machen uns zu Komplizen
20. Teil Wie viele sterben noch in Darfur?
21. Teil Nothilfe Sudan
22. Teil Gegen die Hungerkatastrophe im Sudan ankämpfen
23. Teil Weihnachten im Hungergebiet
24. Teil Diesesmal kein Tränengas zu Weihnachten
25. Teil "Wir werden eure Männer und Söhne töten" - wie lange schaut die Welt den Gräueln in Darfur zu?

Webseite: www.csi-int.org

Datum: 26.05.2004
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

Glaubensfragen & Lebenshilfe

Diese Artikel könnten Sie interessieren

Im Iran
Viele Christen versammeln sich jeden Abend im Iran, um gemeinsam Gottesdienst zu feiern und das Abendmahl zu nehmen. Im Vergleich zu einmal pro Monat...
Isaak und Abimelech
Evan Thomas hat über 40 Jahre der Versöhnung zwischen lokalen Nachfolgern Jesu im israelisch-palästinensischen Konflikt gewidmet. Er stellt das...
Neuausrichtung
Vreni Müllhaupt ist in einer Bauernfamilie gross geworden. Dass sie einmal Strassenkinder der peruanischen Hauptstadt Lima aufsuchen würde, hatte sie...
In Mikronesien
Ein Missionsflugdienst leistet humanitäre Hilfe im Inselgebiet Mikronesien. Er nimmt aber auch Passagiere an Bord und breitet das Evangelium aus.

Anzeige