Tausende von Sklaven frei

«Um diese Zeit kommen manchmal die Bomber!»

Jetzt lässt das sudanesische Regime freiwillig Tausende von Sklaven frei. Dies nachdem CSI während Jahren Sklaven freikaufte und durch die Dokumentation deren Existenz überhaupt erst aufdeckte. Frieden ist freilich keiner eingekehrt.

Wir begleiteten das Hilfswerk bei einem Trip in dieses Ostafrikanische Land. Lesen Sie heute Tag 3 aus dem Reisetagebuch – «Um diese Zeit kommen manchmal die Bomber!»

Eigentlich könnte ich hier im Südsudan leben, ohne dass ich im Geringsten auffallen würde! Zwei Indizien sprechen eindeutig dafür: Dem ersten begegne ich am frühen Morgen. Es handelt sich um den medizinischen Assistenten von Dr. Luka. Dieser Assistent trägt den Vornamen «Daniel». Der zweite Hinweis liefert mir William, mein Übersetzer für Interviews in den Sprachen Dinka und Arabisch. Auch eines von Williams sechs Kindern heisst «Daniel». Meine Anwesenheit würde hier also wohl glatt nicht bemerkt. Dagegen spräche einzig das zu vernachlässigende Detail, dass ich im Umkreis von Dutzenden von Kilometern der einzige Weisse wäre.

1 Arzt für 100 Patienten

Am Morgen fotografieren Cindy und ich in der Klinik. Rund 30 Menschen sitzen im Wartezimmer. Hektik scheinen sie nicht zu kennen. Keiner schaut alle paar Sekunden genervt auf die Uhr (okay, kaum einer trägt eine Uhr). Der Doktor kommt eben, sobald er kommt, und man kommt dran, wenn man eben dran ist.

Das Wartezimmer ist eine Zone auf dem weitläufigen Klinikareal – unter freiem Himmel. Ein paar streunende Ziegen fressen Laub von einem Busch, bis sie von einem Patienten verscheucht werden.

Verschiedene Hütten sowie ein zweigeschossiger Bau stehen auf diesem Areal. Eine dieser Lehmhütten mit Strohdach ist Dr. Lukas' Sprechzimmer. Er ist der einzige Doktor im Umkreis von 25 Kilometern, manche sind bis zu sechs Stunden unterwegs, um zu ihm zu gelangen (Lesen sie auch: Meine Klinik begann unter einem Baum und Ein Arzt im Bombenhagel . Strom und fliessendes Wasser gibt es in dieser Gegend und somit auch in der Klinik nicht.

Den Milizen entgegen

John Eibner, Gunnar Wiebalck und Cindy reisen gegen Mittag ab, um die freigewordenen 500 Sklaven zu empfangen. Diese werden von dubiosen regierungsnahen Milizen von Meiram (Nordsudan) nach Warawar (Südsudan) eskortiert. John schliesst Attacken nicht aus, denn CSI ist seitens des brutalen Regimes von Khartum etwa so beliebt, wie der Papst während dem moslemischen Fastenmonat Ramadan in Mekka.

Die Reise erfolgt mit einem ausgedienten Militärlastwagen, der kurz nach dem Ende der Sintflut gebaut worden sein muss: Auf der Pritsche fehlt ein Brett, die spröden Pneus haben Kerben wie Gletscherspalten, der Motor ächzt und stöhnt, die Bremsen funktionieren nicht mehr (man nimmt einfach den Gang raus, der Bremsweg dieser alten Mühle ist zwar etwas gar lang, der erfahrene «Pilot» bringt das Gefährt aber mehr oder weniger punktgenau zum Stehen. Fahrzeuge gibt es in dieser Gegend ohnehin fast keine), und mit äusserster Effizienz ersetzen die Abgasschwaden den Mückenspray.

Die drei werden von Pastoren, SPLA*-Kämpfern (erst auf mein Bitten stemmt einer grinsend die Kalaschnikow – ist doch gleich viel freundlicher) und anderen Einheimischen begleitet.

«Um diese Zeit kamen die Antonows»

Ich bleibe alleine bei Dr. Luka zurück, damit ich für das geplante Buch mit ortsansässigen Personen sprechen kann, die bis vor kurzem versklavt waren. Dies nimmt mehrere Tage in Anspruch.

Mit William, meinem Übersetzer, bespreche ich die Arbeiten der nächsten Tage. Später, es mag so gegen 19 Uhr sein, sitzen Dr. Luka und ich beim Tee zusammen. «Um diese Zeit kamen die Antonows», sagt der Doktor plötzlich. Alte russische Frachtflugzeuge, von den Regierungstruppen zu ineffizienten Bombern umgebaut. In den letzten paar Jahren seien sie immer wieder gekommen. Aber weil diese schwerfälligen Brummer schon von weitem zu hören sind, können sich die Bewohner jeweils in Sicherheit bringen. Und bei den weit verstreuten Hütten und der Ortsunkenntnis der Piloten – der Norden hat seit Jahrzehnten keinen Einblick mehr in den Süden – wird die Kriegsmunition aufs Geratewohl durch die Bombenschächte gelassen. Eine gewisse Gefahr stellen die Antonows trotzdem dar und so lässt Dr. Luka seine Familie in London wohnen. Man wisse nie, ob und wann die Bomber heuer zurückkommen.

Befreit

Gunnar meldet sich über das Satellitentelefon, die einzig mögliche Telefonverbindung. «Wir liegen inmitten von Hunderten von befreiten Sklaven», berichtet der Menschenrechtler. Mit sieben Trucks seien diese hergefahren worden. Die Menschen würden zwischen Lagerfeuern mitten im Sand liegen. Ohne Dach über dem Kopf. Nahezu ohne Trinkwasser und mit viel zuwenig Lebensmittel. Kleider hat jeder genau die, die er am Leibe trägt. Diese Menschen besitzen im Prinzip nichts. Ausser die Freiheit. «Halleluja» hätten diese Christen aus dem Süden bei der Ankunft gerufen. Jahrelang waren sie im moslemischen Norden versklavt gewesen. «Sie sind müde, aber glücklich», fasst Gunnar zusammen. «Aber sie haben sehr schwere Geschichten hinter sich.» Ein ehemaliger Sklavenhalter war dem Tross gefolgt. Denn darin befand sich seine ehemalige Untergebene, mit der er vier Kinder hatte, ähnlich wie Ahuk Tong, welche bereits ein paar Monate früher freigekommen ist (Vergleiche dazu die sechste Folge dieser Serie hier Gefangen, verkauft, unterdrückt ) Als diese beim Überqueren des arabischen Grenzflusses ihren Lkw verlassen musste, schnappte er aus dem Hinterhalt eines dieser Kinder und setzte ihm ein Messer an den Hals. Mit seinem eigenen Kind als Geisel gelang ihm die Flucht.

In meinen Gedanken schiesse ich mit nur sechs Schuss aus einer Kalaschnikow eine Antonow ab.

* = Sudan People Liberation Army (Sudanesische Volksbefreiungsarmee)

Lesen sie auch die Serie dazu:
1. Teil Ich war 15 Jahre lang eine Sklavin
2. Teil Meine Klinik begann unter einem Baum
3. Teil Ein Arzt im Bombenhagel
4. Teil Noch keine Skorpione
5. Teil Die Milizen geben auf
6. Teil Gefangen, verkauft, unterdrückt
8. Teil Hühner schreien zwischen den echten "Music Stars
9. Teil So wurde aus der Kornkammer ein Armenhaus
10. Teil Vier Kinder vom angetrauten Vergewaltiger
11. Teil Eine entvölkerte Schweiz, mitten im Sudan
12. Teil Die Sternstunde
13. Teil Der älteste Sohn der Familie vergewaltigte mich
14. Teil Nicht ohne meine Kinder
15. Teil Schweizer Hilfswerk macht Weltpolitik
16. Teil So wurde die UNO zum Regime-Komplizen
17. Teil Wir haben die Hand Khartums geführt
18. Teil Die USA und das gigantische Missverständnis
19. Teil Wir machen uns zu Komplizen
20. Teil Wie viele sterben noch in Darfur?
21. Teil Nothilfe Sudan
22. Teil Gegen die Hungerkatastrophe im Sudan ankämpfen
23. Teil Weihnachten im Hungergebiet
24. Teil Diesesmal kein Tränengas zu Weihnachten
25. Teil "Wir werden eure Männer und Söhne töten" - wie lange schaut die Welt den Gräueln in Darfur zu?

Webseite: www.csi-int.org

Datum: 03.06.2004
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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