Grund zum Feiern

Hühner schreien zwischen den echten «Music Stars»

500 Sklaven wurden vom Regime freigelassen und das war ein Grund zum Feiern. Eine Delegation von CSI kümmert sich jetzt um das weitere Vorgehen, während ich bei Dr. Luka drei ehemalige Sklavinnen interviewe.

Tag vier im Reisetagebuch: Würde man hier in Mabil mit dem Schreien der Hähne und Hühner aufstehen, dauerte die Nachtruhe nur wenige Minuten. Die halbwilden Hühner haben keine Hemmungen zu schreien wie am Spiess. Selbst auf die Gefahr hin, dass sie früher als geplant dort landen. Mit äusserster Präzision beginnen irgendwelche Hunde exakt in jenem Sekundenbruchteil zu heulen, in dem man ansonsten eingeschlafen wäre. Wobei Hundsein hier kein Zuckerlecken ist: die Tiere sind wild, scheu und keine Haustiere. Dr. Luka grinst und wundert sich, dass man den Hunden in Europa Futter kauft. Er wirft einem der Vierbeiner einen Knochen hin. Der Hund erschrickt und springt ein paar Sätze zur Seite, ehe er sich dem Leckerbissen vorsichtig nähert.

Sklaven im UNO-Staat

Am Morgen führe ich drei Interviews mit Adut Adam , Ahuk Tong und Helena Adelino. William erweist sich dabei als guter und einfühlsamer Übersetzer. Alle drei Frauen kamen vor wenigen Monaten frei, waren davor über zehn Jahre versklavt, und alle haben sie vier und mehr Kinder von ihren Sklavenhaltern. Es sind aufwühlende Lebensgeschichten. Eine von den dreien wird in Buchform erscheinen.* Ihr Beispiel macht die schrecklichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit deutlich, die tagtäglich im UNO-Mitgliedsstaat Sudan geschehen. Die Wahl ist schwierig, sie fällt zuletzt auf Helena.

Mit 13 vergewaltigt

Helena war sechsjährig, als die moslemischen Sklavenjäger ihr Dorf niederbrannten und die Kinder verschleppten. Die ersten sieben Jahre verbrachte sie bei Ibrahim und dessen Familie. Sieben Tage pro Woche hatte sie zu arbeiten. Wenn man mit dem Kind nicht zufrieden war, setzte es Prügel. Und auch den moslemischen Glauben wollte ihr der Araber einhämmern. Die Jahre vergingen. Helena hatte zwei Lichtblicke: den Glauben an Gott und die jüngeren Kinder der Familie. Der älteste Sohn hiess Mohammed. Er war kein Lichtblick. Mehrfach vergewaltigte er Helena, als sie 13 war. Später wurde sie Sklavin in einer anderen Familie. Mehr dazu später in dieser Serie.

Fluchtverzicht wegen den Kindern

Alle drei dieser Frauen verzichteten – im Falle von Helena vorerst – auf eine Flucht. Bei allen aus dem gleichen Grund. Adut Adam stellvertretend: «Ich liebe meine Kinder. Ich wollte sie nicht zurücklassen.» Diese drei jungen Frauen blieben lieber in den Händen ihres tyrannischen «Besitzers», nur damit sie ihm nicht die Kinder überlassen müssten. Sie selber waren als Kinder verschleppt worden. Man hatte ihnen diese Jahre geraubt. Hier in der Schweiz geht man in diesem Alter zur Schule, hat Zukunftsträume, schreibt SMS, geht ins Kino, kriegt die erste Verabredung. Währenddem leben in der gleichen Zeitzone rund 200'000 Menschen in der Sklaverei. Während Sie diese Zeilen hier lesen.

Die wahren «Music Stars»

Hier in Mabil ist das Thema Sklaverei bestens bekannt. Die Jäger waren vor nicht einmal zehn Jahren selbst hier und raubten, vergewaltigten, mordeten. Sie hinterliessen die Visitenkarte des Teufels. Doch die Kinderstimmen sind zurück. Beim Einnachten singen sie Lieder, oft bis Mitternacht und begleitet von einfachen Rhythmus-Instrumenten und gesanglich eher weniger versierten Hühnern und Hunden.

Zum Abendessen gibt es Huhn und Brot sowie diesen unbeschreiblich guten Bohnenbrei und eine köstliche Erdnuss-Suppe, in die man das Brot taucht. So ein Mahl unter dem südsudanesischen Nachthimmel, einem Milliarden-Stern-Hotel mit Kinder-Hühner-Hunde-Surround-Soundtrack – wenn das schon nicht der Sinn des Lebens ist, dann kommt es dieser Sache zumindest sehr nahe.

Bei den 500 ermatteten, aber glücklichen Ex-Sklaven wurde gefeiert. CSI hatte auf dem Markt gleich ein komplettes Rind gekauft. Die Freigekommen haben sich daraus ein Festmahl bereitet.

Zum Dessert ein Abschuss?

Der Gedanke, mit ein paar wenigen Schüssen aus einer Kalaschnikow einen Antonow-Bomber vom Himmel zu holen, lockt meine Phantasie weiter. Ich sehe mich schon stolz bei CNN das Gewehr präsentieren, ähnlich jenem irakischen Bauern, der zu Beginn des Irakkriegs mit einer Mistgabel posierte und einen jener schlagkräftigen amerikanischen Kampfhubschrauber mit einer unglaublich lächerlichen Armierung abgeschossen haben wollte.

Steht in der Bibel neben dem Satz «Liebet eure Feinde» nicht jene kleine Randbemerkung «aber sintemal, schiesst ihre Antonows mit Kalaschnikows vom Himmel»? Zu meinem Kampfesglück fehlen vier Details: 1. eine geladene Kalaschnikow. 2. ein Antonow-Bomber. 3. die Reichweite der Munition. 4. die Durchschlagskraft der Kalaschnikow-Munition. – wobei ... bei diesen alten Antonows

* Das Buch wird beim Brunnen-Verlag in Basel erscheinen


Lesen sie auch die Serie dazu:
1. Teil Ich war 15 Jahre lang eine Sklavin
2. Teil Meine Klinik begann unter einem Baum
3. Teil Ein Arzt im Bombenhagel
4. Teil Noch keine Skorpione
5. Teil Die Milizen geben auf
6. Teil Gefangen, verkauft, unterdrückt
7. Teil Um diese Zeit kommen manchmal die Bomber
9. Teil So wurde aus der Kornkammer ein Armenhaus
10. Teil Vier Kinder vom angetrauten Vergewaltiger
11. Teil Eine entvölkerte Schweiz, mitten im Sudan
12. Teil Die Sternstunde
13. Teil Der älteste Sohn der Familie vergewaltigte mich
14. Teil Nicht ohne meine Kinder
15. Teil Schweizer Hilfswerk macht Weltpolitik
16. Teil So wurde die UNO zum Regime-Komplizen
17. Teil Wir haben die Hand Khartums geführt
18. Teil Die USA und das gigantische Missverständnis
19. Teil Wir machen uns zu Komplizen
20. Teil Wie viele sterben noch in Darfur?
21. Teil Nothilfe Sudan
22. Teil Gegen die Hungerkatastrophe im Sudan ankämpfen
23. Teil Weihnachten im Hungergebiet
24. Teil Diesesmal kein Tränengas zu Weihnachten
25. Teil "Wir werden eure Männer und Söhne töten" - wie lange schaut die Welt den Gräueln in Darfur zu?

Webseite: www.csi-int.org

Datum: 04.06.2004
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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