Wie viele sterben noch in Darfur?

Tausende von Vertriebenen sterben jeden Monat in Darfur und im Tschad - und die Diplomaten erweisen sich einmal mehr unfähig, einem Völkermord zu wehren.

Der UN-Sicherheitsrat hat letzte Woche die sudanesische Regierung in einer zahmen Resolution aufgefordert, der Gewalt in Darfur ein Ende zu setzen. Gegen direkte Sanktionsdrohungen hatten sich China und Pakistan, die sudanesisches Öl importieren, und Russland gewandt. Auch Ägypten enthielt sich der Stimme.

Prompt behauptete ein Beamte in Khartum, die Resolution erschwere seiner Regierung das Vorgehen gegen die Janjawid-Mördermilizen. Die Resolution sende ihnen ein falsches Signal. Letzte Woche wurden Friedensverhandlungen in Nigeria abgebrochen. Sudan hat letztes Jahr für eine Milliarde Dollar Öl exportiert.

Frauen vergewaltigt

Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass jeden Monat 6'000 bis 10'000 Vertriebene im Sudan sterben, unter ihnen viele kleine Kinder. Die Sterberate ist in Westdarfur noch höher als im Norden der Krisenregion. Laut WHO-Generaldirektor Lee Jong-wook brauchen die Menschen in Darfur dringend mehr Hilfe.

Gestorben wird wegen leicht verhütbarer Krankheiten, etwa starkem Durchfall. Gutes Trinkwasser würde in vielen Fällen Abhilfe schaffen. Viele der 129 Lager wurden in der Regenzeit überschwemmt.

Daneben sterben Hunderte wegen Verletzungen, oft nach Überfällen und gewalttätigen Auseinandersetzungen. Ständig werden Mädchen und Frauen vergewaltigt und sexuell missbraucht, wenn sie die Lager verlassen, um Holz zu sammeln. Viele wollen sich aus Scham dann nicht in Behandlung begeben.

Weitere Massenflucht im September

Das Dorf Mornei in Westdarfur hat statt 5'000 Einwohnern nund 70'000 - das führt zu Konflikten. Die WHO schätzt, dass 1,2 Millionen Vertreibene sich in den Weiten Darfurs aufhalten - und weitere 200'000 jenseits der Grenze im Tschad.

Wegen Kämpfen zwischen der Armee und Rebellen in Süddarfur strömten Anfang September etwa 30'000 Menschen ins Lager von Gereida, 100 km südlich von Nyala. Manche ritten auf einem Esel, andere kamen zu Fuss. "Zwei Kinder ertranken, als sie ein Wadi zu durchqueren versuchten. Die Ankommenden hatten nichts", schilderte eine Oxfam-Mitarbeiterin die Lage.

Garang: 30'000 Soldaten zur Entwaffnung der Milizen nötig

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat die UNO aufgefordert, den internationalen Druck stark zu erhöhen und ein umfassendes Waffenembargo zu verhängen. John Garang, Führer der südsudanesischen Befreiungsbewegung, hat bei einem Besuch in den USA eine neutrale Sicherheitstruppe von 30'000 Mann für Darfur gefordert. Nur so könne das Morden gestoppt werden.

Garang schweben je 10'000 Mann aus seiner Befreiungsarmee, aus der sudanesischen Armee und aus Ländern der Afrikanischen Union vor, die unter neutralem Kommando und international finanziert die Janjawid-Milizen entwaffnen sollen. Der Mehrheitsführer im US-Senats, Bill Frist, hat dem Vorschlag zugestimmt.

Powell: Die Massaker sind Völkermord

US-Aussenminister Colin Powell hatte am 9. September die Massaker in der sudanesischen Region Darfur als Völkermord bezeichnet, für den die Regierung Sudans und die Janjawid Verantwortung tragen. Die Janjawid und Truppen Khartums hätten im grossen Stil Gewalttaten verübt, darunter Mord, Vergewaltigung und andere Übergriffe, Dörfer zerstört und die Lebensgrundlage der Bewohner vernichtet, sagte Powell.

Wegen Darfur hat sich auch der endgültige Abschluss des Friedensabkommens für den Südsudan verzögert; die Gespräche sollen im Oktober in Kenia fortgeführt werden. Laut Garang wird eine Regierung der nationalen Einheit (mit Beteiligung der Südsudanesen) die Krise in Darfur eher lösen können.

Kein Säen - keine Ernte

Die Vertriebenen haben sich zuvor als Selbstversorger über die Runden gebracht, indem sie in der (jetzt zu Ende gehenden) Regenzeit Hirse und manchmal, um ein bisschen Geld zu verdienen, Erdnüsse anpflanzten. "Diese Million Vertriebenen haben nun aber absolut keine Möglichkeit mehr, irgendwo ein Feld zu bepflanzen - wie sollten sie auch, wenn sie auf der Flucht sind? Damit werden sie nicht nur für den Moment von Nahrungshilfe abhängig sein, sondern bis es ihnen wieder möglich wird, selbst ein Feld zu bestellen und zu ernten - also mindestens für ein gutes Jahr", schreibt der Schweizer Arzt Laurenz Gossweiler, der wegen der schlechten Erreichbarkeit im Tschad und der anhaltenden Überfälle im Sudan den Tod von vielen zehntausend Menschen in den nächsten Monaten befürchtet.

Familie Gossweiler lebte 1999-2002 in Adré, einer Grenzstadt in der Mitte der 600 km langen tschadisch-sudanesischen Grenze, einen Spaziergang von der Grenze entfernt. Das Spital, in dem der Arzt wirkte, wird zur Zeit von ‚Médecins sans frontières' Belgien und Frankreich betreut. Gossweiler weist auf die Störung des Ökosystems der Region durch die Flüchtlingsströme hin (forcierte Wasserbohrungen an den Sammelpunkten und in den Lagern, riesiger Holzbedarf).

Wenn die Wüste vordringt…

"Tatsache ist ohnehin, dass die Versteppung, das Fortschreiten der Wüste nach Süden immer mehr zunimmt. Hilft dies vielleicht den Drahtziehern im Sudan, ihr Ziel bald zu erreichen: dass das ganze Land von der ursprünglichen Bevölkerung ‚geleert' wird? So dass man nun auch den Druckversuchen von aussen entsprechen kann, weil ‚das Heu ohnehin schon geführt ist'?"

Zudem müssen nun "in gewissen Regionen des Tschad plötzlich doppelt soviele Leute den Boden unter sich teilen wie früher. Dies ist bei der extensiven Nutzung des Landes nicht so einfach. Zwar gehören die Leute im Tschad oft auch dem gleichen Stamm an wie die Flüchtlinge aus dem Sudan und sind deshalb nicht von vornherein feindlich eingestellt, helfen sicher auch mit der ihnen eigenen Gastfreundschaft, aber längerfristig gibt es dennoch Konflikte, ganz einfach wegen der beschränkten Ressourcen."

Spannungen zwischen Einheimischen und Vertriebenen

Und wenn die Flüchtlinge in den Lagern verhältnismässig gut medizinisch versorgt werden, mit Impfprogrammen etwa? "Dies mangelt oft bei der alteingesessenen Bevölkerung, die sich benachteiligt fühlen könnte." Wegen der westlichen Helfer sind in Abéché, der grossen Stadt im Westen des Tschad, die Marktpreise und die Mieten innert Wochen auf das Mehrfache gestiegen. Die Einheimischen leiden.

Gossweilers beten - und wissen manchmal gar nicht wie, angesichts des Horrors. "Wir können die Not immer nur wieder dem Herrn bringen und ihn bitten, sich zu erbarmen über all die Notleidenden, Hungernden, Verstossenen, Zerbrochenen..."

Helfen in Darfur: www.tearfund.ch/nothilfe/n_frameset.htm

Bilder: Copyright Frank Wolf, verwendet mit Erlaubnis

Lesen sie auch die Serie dazu:
1. Teil Ich war 15 Jahre lang eine Sklavin
2. Teil Meine Klinik begann unter einem Baum
3. Teil Ein Arzt im Bombenhagel
4. Teil Noch keine Skorpione
5. Teil Die Milizen geben auf
6. Teil Gefangen, verkauft, unterdrückt
7. Teil Um diese Zeit kommen manchmal die Bomber
8. Teil Hühner schreien zwischen den echten "Music Stars"
9. Teil So wurde aus der Kornkammer ein Armenhaus
10. Teil Vier Kinder vom angetrauten Vergewaltiger
11. Teil Eine entvölkerte Schweiz, mitten im Sudan
12. Teil Die Sternstunde
13. Teil Der älteste Sohn der Familie vergewaltigte mich
14. Teil Nicht ohne meine Kinder
15. Teil Schweizer Hilfswerk macht Weltpolitik
16. Teil So wurde die UNO zum Regime-Komplizen
17. Teil Wir haben die Hand Khartums geführt
18. Teil Die USA und das gigantische Missverständnis
19. Teil Wir machen uns zu Komplizen
21. Teil Nothilfe Sudan
22. Teil Gegen die Hungerkatastrophe im Sudan ankämpfen
23. Teil Weihnachten im Hungergebiet
24. Teil Diesesmal kein Tränengas zu Weihnachten
25. Teil "Wir werden eure Männer und Söhne töten" - wie lange schaut die Welt den Gräueln in Darfur zu?

Datum: 21.09.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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