Frankfurter Buchmesse: Auftauchen in der Flut der Buchstaben

Am Sonntag hat die Frankfurter Buchmesse ihre Tore geschlossen. Das Stelldichein der Büchermacher aus der halben Welt lockte eine Rekordzahl von 286.621 Menschen und damit 0,6 Prozent mehr als im Vorjahr in die Main-Metropole; das Gastland Indien trug das Seine dazu bei. – Ein Rundgang:

Wie einladende, von allen Seiten betretbare Festungen präsentieren sich die Stände der grossen Verlagsgruppen. Manche stellen Wände mit Durchblick und schaffen mit Dutzenden von Tischen Platz zum Lesen und Plaudern. Das Angebot allein der deutschsprachigen Verlage muss schon vor Jahrzehnten ins Unüberschaubare gewachsen sein; der Auftritt an der führenden Buchmesse gerät zum Haschen nach Aufmerksamkeit. Neben den ganz Grossen –in ihrem Schatten – suchen kleine und Spezialverlage den neugierigen Leser, die kundige Gesprächspartnerin, den Vertragsabschluss. Autoren lesen; Prominente kommen vorbei; das Hörbuch hat trendgemäss sein Forum.

Mittendrin

Mittendrin die christlichen Häuser. Wenige Gassen, teils bloss einige Schritte von den esoterischen Angeboten finden sich die Bücher, die zu dem einen Buch hinführen, das am Beginn der westlichen Kultur steht. „Was mich bewegt“ – das Motto von Gerth Medien – deutet das Bemühen an, Menschen aller Lebenslagen nahe zu kommen.

Am breiten Stand der Stiftung Christliche Medien (SCM) verbreitet Florence Joy, begleitet von einem Keyboarder, für eine halbe Stunde Lobpreisstimmung. Das Lukas-Evangelium im Taschenformat wird abgegeben; hinten drin stehen (gesondert nochmals, damit jeder sie findet) die Weihnachtsgeschichte und Tipps, ja gar ein Zeitplan zum Feiern von Heiligabend. Das Büchlein ist gedacht zum Weitergeben an Arbeitskollegen und Freunde, an jene, die ob den Geschenken Mühe haben könnten, zum Grund des Fests vorzustossen.

Lebensecht

Laut SCM-Vertriebsleiter Winfried Kuhn setzen die evangelischen Verlage 2006 auf berührende Lebensberichte wie den des Schuhfabrikanten Heinz-Horst Deichmann. Und christliche Klassiker: Bücher, die „man“ gelesen haben muss, werden als günstige Hardback-Serie neu aufgelegt, so „Das normale Christenleben“ von Watchman Nee. Denn es gehe – nach den 90er Jahren mit ihrer Selbstbezogenheit – jetzt wieder um das Wahrnehmen der grossen, von Gott gegebenen Aufträge. „Du musst sterben, bevor du lebst, damit du lebst, bevor du stirbst!“ – unverblümt der Titel des österreichischen Autors Hans Peter Royer.

Was für Männer

Weiterhin verlegen die fünf SCM-Häuser (Hänssler, Oncken, R. Brockhaus, Bundes- und ERF-Verlag) US-Autoren. Angesichts der kulturellen Unterschiede wünscht Kuhn, dass vermehrt hiesige Erfahrungen zu Buch werden. Doch „in den USA kann ein Autor vom Schreiben leben; hier in Deutschland stehen die Leute voll im Dienst“. Kuhn beschäftigt, dass „Männer kaum christliche Bücher lesen“. Der Bildband „Kunstwerk Kosmos“ lädt mit einem opulenten Bildteil zum Blättern ein; auch die hinteren Seiten haben noch zahlreiche Bilder. Dass die christlichen Verlage manche Themen verschlafen haben, gesteht Kuhn ohne Weiteres ein. Am Stand anzutreffen sind die Autorinnen eines Wellness-Buchs für Frauen –sie stossen in einen lange vernachlässigten Bereich vor.

Weltreligiös

Beim Stuttgarter Kreuz-Verlag, der zur Dornier-Verlagsgruppe gehört, betreut die Lektorin Marlene Fritsch theologische Bücher. Da zur Verlagstruppe auch je ein Verlag für Ratgeber, buddhistische und esoterische Bücher gehören, findet sich tibetische Weisheit am selben Stand wie Bücher von Anselm Grün und säkulare Ratgeber. Vom Basler Religionskundler Christoph Peter Baumann hat der Verlag letztes Jahr einen Knigge der Weltreligionen herausgegeben, der praktische Ratschläge für Begegnungen mit Menschen anderer Religionen, Feste und Kasualien gibt. Weiter sind auch Hochzeitsknigge für Protestanten und Katholiken erschienen. Marlene Fritsch nimmt in der Gesellschaft wenn nicht eine „Rückkehr der Religion“, so doch eine neue Offenheit für existentielle, religiöse Fragen wahr.

Die Judenhasser und das Volk…

Aus der Flut des Gedruckten, das in den Frankfurter Messehallen präsentiert wird, ragen einzelne epochale Werke heraus. Dazu gehört Saul Friedländers zweiter Band über die Judenvernichtung im Dritten Reich (C.H. Beck). Der Holocaust-Überlebende hat Hunderte von jüdischen Stimmen unnachahmlich in seine Schilderung verwoben, bringt Briefe und Tagebücher erschütternd zu Gehör.

Auf dem blauen Sofa interviewt, unterstreicht der Historiker die zentrale Rolle Hitlers und betont zugleich, dass er und die Nazis in der deutschen Gesellschaft auf viele zur Mitwirkung Bereite trafen, als sie die in ganz Europa verbreitete antijüdische Stimmung mit ihrer Hassideologie aufgeheizt hatten. Es wurden noch im Sommer 1944 – dies hält Friedländer dem Forscher Götz Aly entgegen, der den Raubcharakter der Judenverfolgung in den Vordergrund stellte – arme Juden von den ägäischen Inseln Rhodos und Kos nach Auschwitz deportiert. Auch Briefe von Wehrmacht-Soldaten zeigen abgrundtiefe Verachtung der Juden. In Osteuropa waren viele Einheimische zur Stelle, um die Häuser der Deportierten auszuräumen…

…und die Kirchen?

Saul Friedländer, dessen Eltern ermordet wurden, spricht ruhig, überlegt, präzise – und Hunderte hören zu. Er widerlegt die gängige Schutzbehauptung, man habe nicht davon gewusst. Die Kirchenführer hätten, davon ist der jüdische Zeitzeuge überzeugt, die Holocaust-Maschinerie bremsen können. Auf den Einspruch des Münsteraner Bischofs von Galen hin sei Hitler nicht mehr gleich verfahren in der Ermordung von geistig Behinderten. Wenn polnische Bischöfe – vom Vatikan unterstützt – zur Hilfe an Juden aufgerufen hätten, würden sich mehr Polen hilfsbereit gezeigt haben. Die Kritik Friedländers an den Kirchen weckt die Frage, ob die Christen heute – dort wo heute in unserer Gesellschaft Leben gefährdet sind – mutig Stellung beziehen.

Die SCM-Verlage
Gerth Medien
Verlagsgruppe Dornier
Saul Friedländers Buch „Die Jahre der Vernichtung“
Homepage der Frankfurter Buchmesse

Datum: 10.10.2006
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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