Malatya

Drei Märtyrer und die Nachbeben

Die Nachricht von der Ermordung dreier Christen in Malatya in der Südosttürkei ging um die Welt. Der Schock war gross, die Trauer bleibt. Einzelne Berichte kolportierten grausame Folterungen – offenbar zu Unrecht, wie nun bekannt wurde. Die Untat in Malatya brennt sich in mehrfacher Hinsicht ins Gedächtnis ein.

Gemeinsam

1. Zwei türkische Christen, ein Deutscher gaben ihr Leben im Einsatz für die Sache von Jesus Christus. Die drei Ermordeten arbeiteten gemeinsam in einem unruhigen, von Gewalt und Nationalismus versehrten Gebiet. Sie stammten aus verschiedenen Völkern und hatten sich zusammengetan, um die Gute Nachricht weiteren Menschen nahezubringen, was auch immer das Risiko sein würde. Tilmann Geske war mit seiner Familie von Deutschland in die Türkei gegangen, Necati Aydin letztes Jahr von der Ägäis-Metropole Izmir nach Malatya umgezogen. Die türkischen evangelischen Gemeinden sind junge Gemeinden. Im Unterschied zu Aydin erhielt der ledige Ugur Yüksel kein christliches Begräbnis; seine Familie wollte ihn nach islamischem Brauch bestattet haben.

Hinterlist

2. Die fünf Täter, junge Männer, gingen hinterhältig vor. Zwei der Mörder kamen, so Titus Vogt vom Martin Bucer Seminar in Bonn, schon am Vormittag des 18. April ins Zweigbüro des Zirve-Verlags in Malatya und sprachen mit den anwesenden Christen. Sie hatten seit Monaten Interesse fürs Christentum geheuchelt und so „das Vertrauen der Opfer erschlichen“. Wie ihre drei Kumpane eintrafen, zeigten sie ihr wahres Gesicht: Sie fesselten Geske und Aydin an Stühle. Yüksel, der hinzukam, wurde ebenfalls gefesselt. Als Polizei, von einem beunruhigten Christen später alarmiert, im Gebäude eintraf und die Öffnung der Tür verlangte, schnitten die Täter den dreien die Kehle durch. Yüksel lebte beim Eindringen der Polizei noch; er starb abends um halb sechs im Spital, trotz Notoperation.

Kein Kult, bitte!

3. Ein von der Bluttat angeregter Kult um die christlichen Märtyrer ist abwegig. Und: denen, die die Täter glorifizieren oder mit Horrorvorstellungen den Schock unter den Christen im Land vertiefen möchten, darf kein Anlass gegeben werden. Dies unterstreicht der türkische Pastor der Gemeinde von Diyarbakir, Ahmet Guvener, in einem Bericht am 30. April. In verschiedenen Medien – und zahllosen Mails – war von „Ritualmord“ und grausamen Folterungen die Rede (der Bericht des Martin Bucer Seminars Bonn spricht von 156 Messerstichen).

Dafür gibt es keine Beweise, betont Guvener, der noch am 18. April in Malatya eintraf und die Leichen von Geske und Aydin sah. Er konnte an Geskes Oberkörper nur die 8 bis 10 Zentimeterlange Schnittwunde am Hals wahrnehmen. Körperteile waren ihm und Aydin – entgegen den Gerüchten – keine abgeschnitten worden. Ein anderer Augenzeuge sah keine Stichwunden in Aydins Brust. Ein dritter nahm in Geskes Brust drei oder vier Stiche wahr. Über die Leiche von Yüksel gibt es keine Angaben. Ahmet Guvener weist darauf hin, er hätte, von zahlreichen Messerstichen getroffen, nicht noch Stunden gelebt. Seine Folgerung: „Ja, diese Brüder wurden gefoltert, aber nicht in dem Masse, wie man ausgemalt hat.“ Von den blutigen Kleidungsstücken, die man der Öffentlichkeit präsentierte, gehörte laut Guvener keines den drei Opfern!

Atmosphäre der Gewalt – und Nationalismus

4. Die religiöse Diskriminierung von Christen hält in der säkularen Türkei an. Während die islamistische Regierung Erdogan Einlass in die EU begehrt und auf den säkularen Staatscharakter, die Trennung von Staat und Religion, verweist, hat die Stimmungsmache gegen Christen über Jahre angehalten. Aktive Christen wurden und werden verunglimpft, als führten sie einen Kreuzzug gegen die Muslime. Und dies mit staatlichem Rückenwind: Der Nationale Sicherheitsrat bezeichnete Mission als „Bedrohung der nationalen Sicherheit“.

In Malatya wurden die Christen über Monate mit wüsten Drohungen eingedeckt. Tilmann Geske schrieb am 6. März 2007 in einem Mail, er fühle sich in seiner geistlichen Arbeit unter „Beschuss und auch getroffen“. Dass die Behörden nicht einschritten, um den gewaltbereiten Nationalisten das Handwerk zu legen, wirft ein grelles Licht auf die Zustände im anatolischen Hinterland. In dem Landesteil, in dem Malatya liegt, dürfte auch das Bemühen der Christen, Kurden das Evangelium nahezubringen, Zorn erregt haben.

Türkische Christen unter Schock

5. Die Christen in der Türkei bedürfen anhaltender weltweiter Solidarität. Unter dem Schock der Mordtat sagte Pastor Ihsan Ozbek, Präsident der Vereinigung protestantischer Gemeinden in der Türkei, das Land sei „in der Finsternis des Nahen Ostens begraben worden“. Er verglich die im Lande gehegten Verschwörungstheorien, wonach christliche Missionare Staat und Gesellschaft unterminieren, mit den europäischen Hexenverfolgungen. Necati Aydin und Ugur Yüksel gelten als die ersten türkischen Christen muslimischer Herkunft, die seit der Gründung der modernen Türkei 1923 ihres Glaubens wegen starben.

Die Verachtung der Christen, genährt etwa durch die unausrottbare Unterstellung, Muslime würden mit Geld gekauft (oder ärger: Christen böten ihnen Prostituierte an), ist in der Türkei weit verbreitet. Doch die Witwe Susanne Geske machte tiefen Eindruck auf die Öffentlichkeit, als sie am 19. April in einem TV-Interview sagte, sie vergebe den Mördern ihres Mannes, denn auch Christus habe denen vergeben, die ihn töteten. Sie will in Malatya bleiben. Tilmann Geske wurde am 20. April auf dem armenischen Friedhof der Stadt begraben – die Behörden hatten dies zu verhindern versucht. Am 22. April hielten manche türkische Gemeinden unter Polizeischutz Gottesdienst. Zwei Polizeioffiziere rieten einer Gemeinde in Istanbul dringend an, ein Alarmsystem und Überwachungskameras zu installieren.

Unter dem Eindruck der Worte von Susanne Geske predigten am 25. April vier Christen in einem Park in Istanbul zu 40 Passanten über die Vergebung in Christus. Nach kurzer Zeit griff die Polizei ein und verhaftete alle vier wegen missionarischer Tätigkeit, Ordnungsstörung und Beleidigung des Islam. Ein US-Amerikaner und zwei türkische Christen wurden nach 48 Stunden freigelassen, der vierte, ein Südkoreaner, wurde des Landes verwiesen.

Solidarität in Europa – für Verfolgte überall nötig

6. Christliche Solidarität gehört allen Verfolgten – weltweit. Gestern Sonntag fanden in allen 50 Provinzhauptstädten Spaniens Gedenkkundgebungen für die drei ermordeten Christen statt. Die Evangelische Allianz von Bern und Umgebung lädt für Mittwochabend, 9. Mai, zu einer stillen Demonstration vor der türkischen Botschaft ein (Besammlung um 19 Uhr vor der Bruder-Klaus-Kirche, Segantinistrasse 26, Burgernziel).

Zugleich macht die Weltweite Evangelische Allianz darauf aufmerksam, dass in Indien, einem anderen säkularen Staat, Christen seit langem so bösartig verleumdet werden, dass sie das Schlimmste befürchten müssen. Um sich politisch zu profilieren, speien extreme Hindus Gift und Galle. Sie behaupten hemmungslos, Christen wollten die einheimische Hindu-Religion und Kultur zerstören. Der unmissverständliche Hauptslogan der Hindutva-Kräfte: „Auf, Hindus, werft die Christen raus!“ ('Hindu Jago, Christi Bhagao').

„Was ist euer Leben?“

Das letzte Wort soll Ahmed Guvener gehören. Der Pastor von Diyarbakir schreibt: „Brüder und Schwestern, in den vergangenen zehn Tagen haben wir äusserst schmerzhafte Momente erlebt, für die es keine Worte gibt. Die schmerzliche Erfahrung hat uns gezeigt, dass es mit unserem Leben so steht, wie der Herr beschreibt: ‚Was ist euer Leben? Ein Rauch seid ihr, der eine kleine Zeit bleibt und dann verschwindet.’ So haben wir verstanden, einmal mehr, wie heilig und nahe beim Herrn wir unser Leben führen sollen.“

Quellen: Livenet / idea, WEA, MBS, Open Doors

Datum: 07.05.2007
Autor: Peter Schmid

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