Heinz Gstrein

«Die Hamas würde sich in den Sudan zurückziehen»

Verliert die Hamas gegen Israel, muss sie sich in den Sudan zurückziehen, sagt der Nahost-Experte Heinz Gstrein. Und der Darfur-Konflikt werde erst gelöst, wenn das Gebiet vom Sudan unabhängig werde.

Es kostete tausend Menschenleben und dauerte vier Wochen, bis sich die UNO durchrang, 20‘000 Soldaten in den Libanon zu senden. Das Debakel im West-Sudan dauert dreieinhalb Jahre und hat 300‘000 Todesopfer gekostet. Zwei Millionen Menschen sind zu Flüchtlingen geworden.

Dennoch ziert sich die UNO, ein ähnlich starkes Aufgebot zu senden. Dabei setzt das menschenfeindliche Regime in Khartum, Sudans Hauptstadt, Waffen gegen Zivilpersonen ein. Die Reitermilizen der Janjawid morden, vergewaltigen und vertreiben die Menschen aus ihren Dörfern. China (Interesse an Erdölvorkommen), Russland (Waffenhandel) und die Arabische Liga haben das Killer-Regime unterstützt.

Durch die vielen Flüchtlinge bleibt die Lage im Südsudan angespannt, dort verübte Khartum von 1983 bis 2003 einen Völkermord mit zwei Millionen Toten; ohne UNO-Zugriff. Immerhin: Betreffend Darfur spricht nun auch Nigeria von «Völkermord», als erster afrikanischer Staat, nach Frankreich und den USA. Nun kann es sein, dass die palästinensische Hamas im Südsudan auftaucht. Lesen Sie dazu unser Interview mit Dr. Heinz Gstrein, der 30 Jahre für die NZZ und Radio DRS im Nahen Osten war.

Livenet: Sie sagen, dass die palästinensische Hamas im Südsudan mitmischen könnte. Wie das?
Heinz Gstrein: Der Friedensvertrag im Süden war mit dem Tod John Garangs, des Führers der Südsudanesen, im Sommer 2005 mitbeerdigt. Was man vorhat, ist nicht ein Kampfeinsatz der Hamas gegen die Christen und Animisten im Südsudan. Sondern es ist eine Ansiedlung der Palästinenser im Südsudan. Um dort eine bodenständige moslemische Bevölkerung zu schaffen. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass dort einst der erste Staat Israel entstehen sollte. Herzl wollte die Juden am oberen Nil ansiedeln, dann im Sinai. Und dort kam der religiöse Aspekt dazu, man wollte nicht nur ein Heimland für die Juden, sondern etwas, das mit ihrer mosaischen Geschichte zusammenhängt. Dann war es nur noch ein kleiner Schritt, bis sie sagten, wir wollen ins Land der Väter. Wenn die Hamas den Krieg gegen Israel verliert, müsste sie sich nach islamischer Rechtssprechung zurückziehen, ihr Rückzugsgebiet wäre der Südsudan.

Warum tut die UNO im Sudan so gut wie nichts? Im Sommer 2004 sagte UNO-Generalsekretär Annan: «Wenn es ein Problem gibt, kümmern wir uns darum.» Warum beendet die UNO, diesen Völkermord nicht?
Das hängt leider damit zusammen, dass Sudans Präsident Omar al-Bashir ein Verbündeter des Westens ist. Das begann mit der Auslieferung des berühmt berüchtigten Terroristen Carlos, der glaubte, in Khartum sicher zu sein. Heute glaubt man ausserhalb des Sudans, sich auf Omar al-Bashir verlassen zu können. Deshalb kriegt die UNO nicht genügend Rückendeckung um aktiv zu werden. Eine echte Lösung wäre erst nach einem Regimewechsel in Khartum möglich.

Es ist dabei nicht nur an die Muslimbrüder und die Umma-Partei zu denken, die ein islamisches Reich in ganz Afrika wollen, ausgehend vom Sudan. Die zukünftige Macht im arabisch-islamischen Norden sind die Amir-Ganea, die sich auf die Derwische stützen. Die wollen religiöse Verinnerlichung und nicht äusserliche Gewalt. Die bemühen sich um ein gutes Zusammenleben mit den Schwarzafrikanern. Aber ob es dieser Bewegung gelingt, an die Macht zu kommen, ist fraglich. Im Sudan kommt man nur an die Macht, wenn man genügend Offiziere um sich schart. Bisher misslangen alle Versuche, al-Bashir zu stürzen; ich fürchte auch, weil der CIA und andere Geheimdienste ihn rechtzeitig warnten.

Würde das überhaupt etwas bringen, die Janjawid-Milizen könnten die Zivilbevölkerung auch bei einer neuen Regierung weiterhin ins Elend stürzen ...
... ja sicher, eine neue Regierung in Khartum hätte andere Sorgen als die Lage in Darfur. Das Problem sind die Grenzen, die während der britischen Kolonialzeit gezogen wurden. Darfur hat ja mit dem Sudan nichts zu tun, man war nach Westen ausgerichtet, Richtung Tschad. Und auch der Süden hatte mit dem Sudan nichts zu tun. Bloss die Kolonialverwaltung fasste es zu einem Gebiet zusammen. Für Darfur gibt es erst eine Lösung, wenn das Land unabhängig wird.

An den Gräbern von Ruanda sagte man 1994: «Nie wieder!» Aber bereits seit 1983 werden im Sudan Schwarzafrikaner aus den Dörfern getrieben und umgebracht. Die Zahl ist mittlerweile doppelt so hoch wie in Ruanda, warum gibt es da keine Massenproteste?
Es wird von aussen her nicht geändert, weil Darfur weder wirtschaftlich noch strategisch interessant ist für die grosse weite Welt. Auch wenn man dort Erdöl vermutet. Und für die USA wie die UNO gilt: Beide können sich dort nicht machtvoll engagieren, weil die Kräfte in anderen Konfliktzonen gebunden sind.

Macht Sie das wütend?
Es macht mich heute nicht mehr wütend. Als junger Journalist machte mich das sehr wütend. Ich bin leider pessimistisch, dass es in Dingen der Menschlichkeit keinen Fortschritt gibt auf dieser Welt. Wie es die österreichische Musikgruppe «Erste Allgemeine Verunsicherung» zynisch gesungen hat: «Das Böse ist immer und überall.» Damit kommen wir zu einem tiefen, religiösen Grundproblem. Es heisst nicht, dass wir als Christen nicht die Pflicht haben, uns zu engagieren und zu protestieren. Aber wir müssen uns immer die Einsicht von Martin Buber ins Bewusstsein rufen: «Erfolg ist keiner der Namen Gottes. Unnütze, unwürdige Knechte sind wir, was auch immer wir tun – aber wir haben etwas zu tun!»

Der Friedensvertrag mit dem Süden beinhaltet, dass der Süden im Jahr 2011 wählen kann, ob er unabhängig werden will. Wie schätzen Sie diese Perspektive ein?
Ich fürchte, dazu wird es nie kommen. Denn wer auch immer in Khartum am Ruder ist: Darfur würde man vermutlich abschreiben, aber nie und nimmer den Süden. Dort kommt das Erdöl aus der nilschlammigen Erde. Der Süden würde auch keine internationale Unterstützung finden. Wenn man nur schon schaut, wie lange es in Europa ging, bis die Slowaken wieder ein eigenes Land waren und wie lange es dauerte, bis Kroatien sich aus Jugoslawien lösen konnte – ich glaube, ein unabhängiger Südsudan ist erst in einer ganz langen Entwicklung in ganz Afrika möglich. Ich bin da sehr, sehr skeptisch.

Heinz Gstrein arbeitete über 30 Jahre für die NZZ und Radio DRS im Nahen Osten. Er schrieb zuletzt das Buch «Copts in Egypt – A Christian Minority under Siege»

Aktion Nothilfe Sudan

Was in Darfur geschieht ist im Südsudan von 1983 bis 2003 passiert. Gemeinsam mit verschiedenen Hilfswerken läuft bei Livenet.ch und Jesus.ch die Hilfsaktion Nothilfe Sudan. Sie hilft im Südsudan und wird von drei Schweizer Werken unterstützt: CSI (Christian Solidarity International), Frontiers und Vision Africa. Letztere ist nicht selber in diesem Land tätig, unterstützt diese Aktion aber publizistisch.

Die Kontonummer lautet: Postfinance 87-96742-1.
Das Konto lautet auf: CSI Schweiz, Sudan-Hilfe, Zelglistrasse 64, 8122 Binz.

CSI ist seit 1992 im Sudan tätig. Mit dem gesammelten Geld wird Hirse gekauft und an die leidende Bevölkerung verteilt. Karawanen bringen die Lebensmittel zum Beispiel in die Marktstadt Warawar im Südsudan, wo jedes bisschen Nahrung Menschenleben retten kann. Die Einkäufe werden vom Werk getätigt und überwacht.

Statistik der Spenden

Das Sammelkonto ist offen seit Dienstag, dem 7. Dezember 2004.

Bisher wurden 16’830 Franken gesammelt.

Statistik: Genozid im Südsudan

Tote: über 2 Millionen Menschen
Vertriebene: 5 Millionen Menschen
Versklavte Menschen: jetzt unter 200'000
Das Morden geschieht seit 1983; von Januar 2005 an via Hungerkatastrophe.

Statistik: Genozid in der Region Darfur (Westsudan)

Tote: über 300'000 Menschen (gemäss Washington Post)
Vertriebene: 2,5 bis 3 Millionen Menschen (epd, sda, UN-Schätzung)
Versklavte: noch keine Angaben; gemäss ARD und anderen Quellen passieren «Verschleppungen».
Das Morden geschieht seit 2003.

Dank der Dokumentationsarbeit von CSI konnten der Genozid und die Versklavungen im Süden abgebremst werden.

Hintergrundinfos zur Aktion: www.sudan.livenet.ch

Homepages der beteiligten Organisationen
CSI: www.csi-schweiz.ch
Frontiers: www.frontiers.ch

Vision Africa: www.visionafrica.ch

Datum: 25.10.2006
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

Glaubensfragen & Lebenshilfe

Diese Artikel könnten Sie interessieren

Im Iran
Viele Christen versammeln sich jeden Abend im Iran, um gemeinsam Gottesdienst zu feiern und das Abendmahl zu nehmen. Im Vergleich zu einmal pro Monat...
Isaak und Abimelech
Evan Thomas hat über 40 Jahre der Versöhnung zwischen lokalen Nachfolgern Jesu im israelisch-palästinensischen Konflikt gewidmet. Er stellt das...
Neuausrichtung
Vreni Müllhaupt ist in einer Bauernfamilie gross geworden. Dass sie einmal Strassenkinder der peruanischen Hauptstadt Lima aufsuchen würde, hatte sie...
In Mikronesien
Ein Missionsflugdienst leistet humanitäre Hilfe im Inselgebiet Mikronesien. Er nimmt aber auch Passagiere an Bord und breitet das Evangelium aus.

Anzeige