Haus in der Bohatyrskastrasse nach dem Beschuss am 14. März 2022 (Bild: Wikimedia / https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/)
Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, desto
grösser sind seine Auswirkungen auf Europa – auch emotional. Ist es legitim,
gerade ausgelassen zu feiern und sich zu freuen? Ein Plädoyer.
Harry hat am 16. September Geburtstag – und das ist
einfach der falsche Tag. Dieses Jahr war es sogar ein runder Geburtstag, und
Harry hatte sich im Vorfeld überlegt, nach den ganzen Coronabeschränkungen
endlich wieder einmal zu feiern. Er mietete einen Grillplatz an, organisierte
eine kleine Band für Livemusik, bestellte Getränke und Salate beim Caterer und
freute sich auf die Party. Morgens am 16. September hörte er die Nachrichten:
«In der kürzlich zurückeroberten Stadt Isjum bei Charkiw wurde heute ein
Massengrab mit mindestens 400 Toten entdeckt…» Plötzlich war die Ukraine keine
2'500 Kilometer mehr entfernt, und Harry fragte sich, ob er jetzt noch
feiern könnte.
Zwanghafte Gruppentrauer
«Wie kannst du in den Urlaub fliegen, wenn anderswo
Leute verhungern?» – «Es ist doch völlig unangebracht, hier zu feiern, während
in der Ukraine Menschen sterben.» Wir haben wohl alle schon solche Äusserungen
gehört und sie zumindest schon gedacht, wenn nicht sogar ausgesprochen.
Nun ist
überhaupt nichts dagegen zu sagen, wenn wir selbst stark betroffen sind von
einem nahen Todesfall oder einem fernen Krieg, dass wir die Konsequenzen daraus
ziehen und eben nicht feiern oder verreisen. Manchmal passt es einfach nicht.
Das Ganze hat nur einen völlig anderen Charakter, wenn es «verordnet» wird,
wenn erst eine Betroffenheit inszeniert wird, die dann anschliessend
Auswirkungen auf uns haben soll. Dabei – Hand aufs Herz – lässt uns gar nicht
jedes Unglück mitleiden. Und ich behaupte, dass das legitim ist. Dazu kommt,
dass omnipräsente Medien uns in Echtzeit mit allen Katastrophenmeldungen der
Welt versorgen: Streng genommen dürfte unsere Gruppentrauer nie abreissen.
Pragmatisches Mitleiden
Manchmal kann die Frage nach der Nützlichkeit weiterhelfen:
«Was hilft es den Menschen in der Ukraine, wenn ich meinen Geburtstag nicht
feiere?» Richtig: gar nichts. Tatsache ist, dass das Leben ein ständiger Mix
aus Licht und Schatten ist, aus Krieg und Frieden. Wenn wir uns Gedanken machen
über die Situation von Menschen auf der Flucht, dann können wir unser
Gästezimmer anbieten, einer Hilfsorganisation unseres Vertrauens eine Spende
überweisen oder sogar selbst eine Hilfslieferung in den Osten fahren.
Aber wenn
es uns gerade rundum gut geht, dann können wir es uns auch gut gehen lassen.
Schon der alttestamentliche Prediger hat das in Prediger, Kapitel 3, Vers 4 unterstrichen: «weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit».
Trotzige Dankbarkeit
Dazu kommt das Wissen, dass all das Schöne und Gute,
was momentan unser Leben ausmacht, morgen vorbei sein könnte. Glück ist nicht
selbstverständlich! Wir müssen die guten Zeiten nicht krampfhaft festzuhalten
versuchen, aber wir können Gott von ganzem Herzen dankbar sein für den Frieden und
Freude, die wir gerade erleben – in dem Wissen, dass dies nicht überall so ist
und auch wir sie nicht abonniert haben. Paulus hat dies in seinem Brief an die Römer im Kapitel 12, Vers 15 folgendermassen ausgedrückt: «Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden.»
Schönes und Schlimmes liegen oft nahe beieinander.
Manchmal haben wir deswegen das Gefühl, dass es uns zerreisst, andererseits
lässt uns dieses Miteinander ganz neu dankbar sein für das Schöne, was es auch
noch gibt. Man könnte sagen: «Tu, was du gerade tust – und tu es ganz!»
Hat Sie
dieser Beitrag angesprochen? Als Spendenwerk bekommt auch Livenet die weltweite Krise zu spüren.
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