Überschwemmungen, Demos und Interesse an christlichen Schulen
Andreas Zurbrügg (Bild: zVg)
Schwere Überschwemmungen suchten den Tschad heim. Um
den Menschen vor Ort beizustehen, wurde eine Kampagne für die Opfer
eingerichtet, erklärt Andreas Zurbrügg von «SAM global» im Interview mit
Livenet. Und: Christliche Schulen im Land sind beliebt.
Andreas Zurbrügg, über den Tschad hört man bei uns in
Westeuropa wenig – was sind die Herausforderungen?
Andreas Zurbrügg: Die Herausforderungen im Tschad
sind sehr vielschichtig. Auf dem Human Development Index besetzt
das Land aktuell den zweitletzten Platz. Das bedeutet,
dass es an einem effizienten Gesundheitswesen, genügenden Bildungsstrukturen, praktikablen
Voraussetzungen für wirtschaftliche Aktivitäten oder an einem fairen
Justizsystem mangelt.
Wie sieht die politische Lage im Land aus?
Seit dem bis heute nicht aufgeklärten Tod des
autoritären Präsidenten Idriss Deby im April 2021 führt dessen Sohn Mahamat das
Land an der Spitze einer militärischen Übergangsregierung. Das Versprechen,
innerhalb von 18 Monaten neutrale Präsidentschaftswahlen zu organisieren, wurde
nicht eingehalten. Dies hat am 20. Oktober 2022 zu Manifestationen von Seiten der
Opposition geführt, welche von der Regierung offiziell verboten wurden. Es ist
in mehreren Städten zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen. Offizielle
Quellen sprechen von 50 Toten und hunderten Verletzten.
Der Tschad ist von einer Überschwemmung betroffen –
was ist geschehen und wie sind die Auswirkungen?
Die Regenfälle in der zu Ende gehenden Regenzeit sind
extrem schwer ausgefallen. Die beiden grössten Flüsse im Land haben noch nie
gemessene Höchststände erreicht. Über eine Million Menschen sind
betroffen. Hunderttausende mussten ihre Häuser verlassen und leben in aus Ästen und
Tüchern gebauten Unterständen, teilweise auf sehr engem Raum. Zudem fällt in grossen und wichtigen Anbaugebieten die
Ernte von diesem Jahr aus.
Überschwemmung in Tschad (Bild: zVg)
Sie reagieren mit einem Projekt, was genau tun Sie?
Unsere Partnerkirche, die Evangelische Kirche im
Tschad, hat ein Nothilfeprojekt lanciert. Dies beinhaltet zwei Schwerpunkte:
Die Versorgung von 2000 betroffenen Familien in der Hauptstatt mit
Nahrungsmitteln.
Ankauf und Verteilung von Saatgut für Trockenzeithirse an
2000 Familien in einer der am schlimmsten betroffenen ländlichen Regionen.
Diese Saat wird nach dem Rückgang des Wassers in den feuchten Boden gesät und
wird dann einige Monate versetzt zur normalen Hirse geerntet.
Wie sieht es betreffend Freiheit für Christen im Land
aus?
Der gesamte Süden des Landes ist sehr christlich
geprägt. Im Land herrscht Religionsfreiheit. Rund 60 Prozent der Bevölkerung
sind Muslime. Wer vom Islam zum Christentum konvertiert, wird jedoch immer
schwerer verfolgt. Daher bleiben viele ehemalige Muslime im Untergrund oder
behalten ihre Entscheidung für sich.
Sind die Menschen im Tschad offen für den christlichen
Glauben?
Die tschadische Bevölkerung ist, wie übrigens fast
alle in Afrika lebenden Menschen, sehr religiös. Der Glaube an Gott oder
zumindest an höhere Mächte ist ganz normal. Wer nicht glaubt, wird skeptisch
angesehen. Daher ist es relativ einfach, über den Glauben ins Gespräch zu
kommen. Der Islam ist aber mehr als eine Religion, es ist eine Kultur. Und
diese einfach so hinter sich zu lassen, nimmt niemand auf die leichte Schulter.
Können Sie ein, zwei Beispiele nennen, wie Menschen
durch Ihren Einsatz und den Glauben verändert worden sind?
Ali, so nennen wir ihn, ist vom selben Stamm wie die
Präsidentenfamilie. Durch übernatürliche Begegnungen hat er sich auf die Suche
nach der Wahrheit gemacht. Nach seiner Entscheidung für ein Leben mit Jesus,
konnte er das nicht für sich behalten. Durch sein Zeugnis haben sich ihm einige
Verwandte angeschlossen. Sie wurden alle aus ihren Familien ausgeschlossen.
Seit dem Präsidentenwechsel wird jedoch regelrecht auf ihn und seine Freunde Jagd
gemacht. Ohne offizielle Anklage wurden sie ins Gefängnis geworfen, gefoltert,
geschlagen. Auf wundersame Weise ist Ali mit einigen Freunden wieder
freigekommen, sie werden aber wohl bis an ihr Lebensende an den Verletzungen
leiden, die ihnen zugefügt wurden. Von einer Frau wissen wir, dass sie die
Folter nicht überlebt hat. Ali schätzt, dass sich zwischen 70 und 100 Christen
aus seiner erweiterten Familie in kleinen Gruppen regelmässig treffen. Er
selbst musste sich ins Ausland absetzen.
Wo wir als SAM global im Moment viel investieren, ist
die Schulbildung. Christliche Grundschulen sind im Tschad sehr geschätzt, weil
die Lehrkräfte nicht korrupt sind, regelmässig anwesend und sich auch echt für
das Wohl und den Lernerfolg ihrer Schülerinnen und Schüler interessieren. Auch
Muslime schätzen diese Schulen, aufgrund der guten Qualität. Dass ihre Kinder
auch lernen, was den christlichen Glaube ausmacht, stört die meisten nicht. Im
Gegenteil: Sie schätzen es, dass ihre Kinder nach biblischen Werten geprägt werden.
Ein Resultat können wir heute bereits klar erkennen: Viele muslimische Kader in
der öffentlichen Verwaltung haben solche Schulen besucht. Sie sind heute noch
für ihre Grundausbildung dankbar und sind uns gegenüber offen und hilfsbereit.
Welche Spuren sonst noch in ihren Herzen hinterlassen wurden, können wir nur
erahnen.