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Jesus ist nicht abgetreten, sondern aufgefahren. So einzigartig wie seine Biographie war ihr Schlusspunkt: Er wurde von Gott in den Himmel hinaufgehoben – vor den Augen seiner Anhänger. Die Bibel macht klar: Das Entschwinden in der Wolke war bloss der Anfang. Die Bedeutung der Himmelfahrt ergibt sich aus dem, was dabei in der unsichtbaren Welt geschah.
Jedes menschliches Unternehmen endet am Boden – wie die Raumfähre «Endeavor», die in diesen Tagen von ihrem letzten Flug auf die Erde zurückkehrt und dann ins Museum kommt. Das Reich Gottes ist anders: Jesus, der es zu den Menschen brachte, führt es seit seiner Auferstehung von den Toten an Ostern mit umfassender Autorität und der Kraft von Gottes Geist fort. 40 Tage nach Ostern nahm er – im Bild gesprochen – den Platz in der Befehlszentrale im Himmel ein, der ihm allein zustand.
Die Aussagen der Bibel zu diesem Ereignis ergeben ein faszinierendes Bild. Sie zeigen: Die Himmelfahrt von Jesus war die Vollendung seines Siegs über Gewalt und Tod und alle finsteren Mächte. Er wurde in der unsichtbaren Welt inthronisiert – ein einzigartiger Triumph von Gottes Geist. Jesus hat sich «zur Rechten der Majestät in den Höhen gesetzt und ist weit erhabener geworden als die Engel. Er hat einen Namen geerbt, der den der Engel weit überragt» (1).
Die ersten Christen erfassten erst im Nachhinein, was bei der Himmelfahrt geschah und was sie bedeutete. Das Ereignis selbst, von dem wenige Anhänger Zeugen waren, verlief offensichtlich ohne Donner und Getöse. Es wird in einem nüchternen Satz berichtet: «Als er dies gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken» (2).
Das Markusevangelium gibt die Himmelfahrt noch kürzer wieder: «Nachdem nun der Herr, Jesus, zu ihnen geredet hatte, wurde er in den Himmel emporgehoben und setzte sich zur Rechten Gottes» (3). «Zur Rechten Gottes» meint: als Herrscher bei Gott über alles (4). Der Apostel Paulus nimmt Ostern und Himmelfahrt zusammen: «Der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit … hat seine überwältigende Kraft an ihm wirken lassen, als er ihn von den Toten auferweckte und in den Himmeln zu seiner Rechten setzte: hoch über jedes Regiment, jede Macht, Gewalt und Herrschaft und über jeden Namen, der nicht allein in dieser, sondern auch in der kommenden Weltzeit genannt wird» (5).
Am Tag der Himmelfahrt geschah Ungeheures, kaum Fassbares – aber nicht das, was die Anhänger von Jesus erträumt und erhofft hatten. Denn die Juden waren unter der Knute der römischen Besatzungsmacht. Sie erwarteten einen Befreier. Mit aller Härte unterdrückten die Römer die jüdische Guerillabewegung der Zeloten. Jesus wurde von der Jerusalemer Priesterschaft als Aufrührer hingestellt (6). Der römische Statthalter Pilatus liess ihn unter dem Titel «König der Juden» hinrichten – obwohl ihm Jesus im Verhör glaubwürdig dargelegt hatte: «Mein Reich ist nicht von dieser Welt» (7).
Jesus bezeichnete sich, während er umherzog, häufig als «Menschensohn». Damit identifizierte er sich in wenig verhüllter Form als den, der unterwegs dazu ist, von Gott Herrschaft zu empfangen (8). Der Seher Daniel hatte dies 600 Jahre zuvor in einer Vision geschaut: «Mit den Wolken des Himmels kam einer, der einem Menschen glich, und er kam vor den Hochbetagten, und vor diesen führte man ihn. Und ihm wurde Macht gegeben und Ehre und Königsherrschaft, und alle Völker, Nationen und Sprachen dienen ihm. Seine Macht ist eine ewige Macht, die nie vergeht, und seine Königsherrschaft wird nicht untergehen» (9).
Jesus trat an, die Religion der Juden von Gesetzlichkeit und Erstarrung in Traditionen zu befreien (10). Er erhob gegenüber den religiösen Autoritäten den Anspruch, nicht nur den Sabbat, den Ruhetag, anders zu feiern, sondern als Menschensohn «der Herr über den Sabbat» zu sein (11). Seine Predigten und Gespräche kreisten ständig um das Himmelreich, die «Herrschaft der Himmel» – was die Juden an die umfassende Herrschaft Gottes über ihr Volk denken liess. «Kehrt um! Denn nahe gekommen ist das Himmelreich» war seine Hauptbotschaft (12). In ihm, dem Menschensohn, war Gott nahe; das erlebten die Menschen tatsächlich, wenn Jesus predigte und Wunder wirkte.
Weil sie auf den völligen Durchbruch der Herrschaft Gottes auch im politischen Sinn hofften und die Vertreibung der Römer erwarteten, hatten sie kein Gehör für die Ankündigung von Jesus, er werde von den Machthabern abgelehnt und hingerichtet werden. Dem werde seine Auferstehung folgen (13). Erst im Rückblick ging den ersten Christen auf, welche Bedeutung der Tod von Jesus in den Augen von Gott hatte: «Er, der doch von göttlichem Wesen war, Er, der doch von göttlichem Wesen war, … wurde den Menschen ähnlich, in seiner Erscheinung wie ein Mensch. Er erniedrigte sich und wurde gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Deshalb hat Gott ihn auch über alles erhöht und ihm den Namen verliehen, der über allen Namen ist, damit im Namen Jesu sich beuge jedes Knie, all derer, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters» (14).
Jesus ist der Gerechte, der den Kampf für das Gute bis zum Letzten gewaltlos, mit den Waffen des Heiligen Geistes, ausfocht. Auch darum blieb er nicht im Grab, als er gestorben war: Gott stellte sich zu ihm, weckte ihn auf, verwandelte seinen Leib durch die Kraft des Heiligen Geistes und erhob ihn 40 Tage später – nachdem er sich seinen Anhängern gezeigt und sie unterrichtet hatte – zu sich in den Himmel (15).
Die 40 Tage waren nicht einfach für die Jünger, denn sie erwarteten immer noch, dass Jesus sich politisch durchsetzen würde: «Herr, wirst du noch in dieser Zeit deine Herrschaft aufrichten für Israel?» (16). Jesus machte deutlich, dass Gottes Herrschaft auch künftig nicht mit Waffen durchgesetzt würde, dass Befreiung nicht politisch, sondern geistlich anzustreben war. Gott habe zwar eine Zeit für die sichtbare Übernahme der Herrschaft festgesetzt, deutete er an, doch darum gehe es jetzt nicht: «Ihr werdet Kraft empfangen, wenn der heilige Geist über euch kommt, und ihr werdet meine Zeugen sein, in Jerusalem, in ganz Judäa, in Samaria und bis an die Enden der Erde» (17).
In der Himmelfahrt von Jesus triumphiert der Geist Gottes, indem er Jesus, den Gerechten, dahin bringt, wohin er gehört. Jesus hat sich würdig erwiesen, zur Rechten der Majestät Gottes zu sitzen und zu herrschen. Daraus leitet sich seit der Himmelfahrt auch die Autorität von Menschen ab, die der Heilige Geist inspiriert, Gutes zu tun und als Zeugen des aufgefahrenen Jesus Christus seine Herrschaft anzukünden (18).
Das Reich hat seinen Sitz im Himmel, in der unsichtbaren Welt; doch erhebt Jesus in seiner Vollmacht, die Gott ihm an Ostern gegeben hat, auch Anspruch auf die Erde, ihre Imperien und ihre Schätze. Bis Jesus Christus sichtbar wieder kommt und seine Herrschaft selbst auch politisch durchsetzt, ist auf Seiten der Christen Gewaltlosigkeit in der Erwartung dieser Herrschaft angesagt. Wie Jesus sollen sie geistlich kämpfen (19). In diesem Sinn beten wir (20): «Unser Vater im Himmel, dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.».
(1) Die Bibel, Hebräer 1,3.4
(2) Apostelgeschichte 1,9
(3) Markus 16,19
(4) Psalm 110,1 ist der Vers des Alten Testaments, der im Neuen Testament am häufigsten zitiert wird.
(5) Epheser 1,17-21
(6) Lukas 23,2
(7) Johannes 18,36; 19,19
(8) Markus 10,45; Matthäus 19,28
(9) Daniel 7,13-14
(10) Matthäus 23
(11) Matthäus 12,8
(12) Matthäus 4,17
(13) Matthäus 16,21; Lukas 18,31-34
(14) Philipper 2,6-11
(15) An Pfingsten, zehn Tage nach der Himmelfahrt von Jesus, stellte Petrus sie in den Zusammenhang von Tod und Auferweckung, Apostelgeschichte 2,22-36.
(16) Apostelgeschichte 1,6
(17) Apostelgeschichte 1,8
(18) Wenige Jahre nach Himmelfahrt und Pfingsten begannen Christen, auch ausserhalb von Jerusalem und Umgebung das Himmelreich und Jesus als Retter und Herrn über alle zu verkündigen. Innert wenigen Jahrzehnten gelangte die Botschaft in den ganzen Mittelmeerraum (Apostelgeschichte 8-28).
(19) Paulus forderte dazu auf, zur «Waffenrüstung Gottes» zu greifen, Epheser 6,10-17. Christen sollen mit den Mitteln kämpfen, die der Heilige Geist gibt, und auf Gewalt verzichten, entsprechend dem Wort von Jesus: «Alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen», Matthäus 26,52.
(20) Im Unser-Vater-Gebet, Matthäus 6,9-10