Die aktuelle Hochschultheologie kommt fast ohne ihn aus. In
Kirchen und Gemeinden kennt man ihn hauptsächlich von freundlichen
Kalenderzitaten. Oder durch sein Lied «Von guten Mächten wunderbar geborgen»,
das er aus dem KZ an seine Verlobte schrieb. Dabei hat der Theologe Dietrich
Bonhoeffer bis heute herausfordernde Gedanken zur Nachfolge beizutragen – wie
zum Beispiel solche gegen eine «billige Gnade».
Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer (Bild: Facebook)
Aber muss Gnade nicht billig
sein? Ich kann doch nichts dazu beitragen, ein besserer Mensch zu werden oder
mir etwas vor Gott zu verdienen? Meint Paulus nicht genau das, wenn er sagt: «Denn
aus Gnade seid ihr errettet durch den Glauben, und das nicht aus euch – Gottes
Gabe ist es; nicht aus Werken, damit niemand sich rühme» (Epheser, Kapitel 2, Vers 8-9).
Dietrich Bonhoeffer (1906–1945),
der bekannte deutsche Theologe und Widerstandskämpfer, würde jetzt die Augen
verdrehen und seufzen: «Welch ein Missverständnis!» Und dann würde er das
erklären, was er im ersten Kapitel seines Buches «Nachfolge» beschreibt.
Billige Gnade als Todfeind
«Billige
Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. Unser Kampf heute geht um die teure
Gnade.» Natürlich weiss auch Bonhoeffer, dass Gnade nicht
mit Geld zu erkaufen ist. Das meint er gar nicht. Doch der Theologe bricht eine
Lanze dafür, dass billige Gnade den Menschen zwar scheinbar nichts kostet, ihr jedoch
auch die Kraft fehlt, Veränderungen in seinem Leben zu bewirken. Im
christlichen Glauben geht es für ihn um die teure Gnade, die den Nachfolger das
eigene Leben kostet, aber sein Leben von Grund auf verändert.
Bonhoeffer hat mit seiner
Wortschöpfung von der billigen Gnade Folgendes im Blick: Gnade ist eine
Institution geworden und wird wie im Schlussverkauf angeboten. «Billige Gnade heisst Gnade als
Schleuderware, verschleuderte Vergebung, verschleuderten Trost, verschleudertes
Sakrament…» Gottes Gnade und Liebe werden hierbei reduziert auf «Liebe Gottes als christliche Gottesidee.
Wer sie bejaht, der hat schon Vergebung seiner Sünden.»
Auch dem Denken, dass ein einmal
gesprochenes Übergabegebet als «Ticket in den Himmel» alles kläre, würde
Bonhoeffer heftig widersprechen: «In
dieser Kirche findet die Welt billige Bedeckung ihrer Sünden, die sie nicht
bereut und von denen frei zu werden sie erst recht nicht wünscht […] Billige
Gnade heisst Rechtfertigung der Sünde und nicht des Sünders. Weil Gnade doch
alles allein tut, darum kann alles beim alten bleiben.» Mit starken Worten
wie diesen wirbt der Theologe für ein Leben in der Nachfolge, eines, das sich
verändert hat und weiter verändert. Für eine 180-Grad-Wendung im Dasein, die
nicht nur für Extreme, Schwärmer und Gesetzliche gilt, sondern für jeden Christen.
Gnade ohne den Ruf in die Nachfolge ist für ihn billig. Teuer ist Gnade, «weil sie dem Menschen das Leben kostet,
Gnade ist sie, weil sie ihm so das Leben erst schenkt».
Wie die Gnade billig wurde
Aber wie kam es dazu, dass sich
die billige Gnade entwickelte? Nach Bonhoeffer hat die Kirche die Idee einer
teuren Gnade Stück für Stück verloren. Ein christliches Leben, das auch etwas
kosten durfte, wurde im Mittelalter immer stärker aufs Mönchstum reduziert. Nur
hier, bei dieser «Gruppe besonders
qualifizierter Menschen» galt völlige Hingabe. Allerdings entpuppte sich
dieses Denken schliesslich als Selbsterhöhung, als Versuch, sich durch ein
besonders frommes Leben Gnade zu erkaufen. Martin Luther setzte mit dem «Sola
Gratia!» (Allein aus Gnade) der Reformation einen neuen Akzent.
Bonhoeffer
bemängelt allerdings, dass es ein Missverständnis sei, dass Gnade uns vom
unbedingten Gehorsam gegenüber Gott freistellen würde, dass ihr kein Handeln
folgen müsse. Das Gegenteil ist für ihn der Fall. Luther habe Gnade und
Nachfolge noch gar nicht getrennt denken können, weil beide sein ganzes Leben
bestimmten. Doch die folgenden Generationen machten «aus der Rechtfertigung des Sünders in der Welt […] die Rechtfertigung
der Sünde und der Welt. Aus der teuren Gnade wurde die billige Gnade ohne
Nachfolge.»
Herausfordernd
Die Spannung zwischen billiger
und teurer Gnade scheint eine zu sein, die sich bis in die Bibel selbst
zurückverfolgen lässt. Gegen eine übersteigerte Gesetzlichkeit zitiert Paulus 1. Mose, Kapitel 15, Vers 6
und zieht daraus gegenüber den Galatern die entspannende Schlussfolgerung, dass
Glaube zur Rettung genügt: «Gleichwie Abraham Gott geglaubt hat und es ihm zur
Gerechtigkeit angerechnet wurde, so erkennt auch: Die aus Glauben sind, diese
sind Abrahams Kinder» (Galater, Kapitel 3, Vers 6–7).
Jakobus zitiert in seinem Brief denselben Vers und kommt zu einem völlig
anderen Schluss: «So seht ihr nun, dass der Mensch durch Werke gerechtfertigt
wird und nicht durch den Glauben allein» (Jakobus, Kapitel 2, Vers 24).
Ist das ein Widerspruch? Ja. Definitiv. Aber kann es sein, dass wir viel
verlieren, wenn wir uns ausschliesslich auf eine Seite schlagen? In diesem
Sinne lässt sich sehr wohl von Gottes frei geschenkter Gnade reden – und
gleichzeitig davon, den Ruf Jesu in seine Nachfolge sehr ernst zu nehmen.
Für solche und weitere
herausfordernden Gedanken ist Dietrich Bonhoeffers Buch «Nachfolge»
hervorragend geeignet. Und es hat nichts von seiner Aktualität eingebüsst.
Trotz seiner vorbildl. Hingabe muss man einwenden, dass B. in wesentlichen Fragen ein moderner Theologe war – mit allen Konsequenzen. So lehnte er die wesenhafte Gottheit von Christus ab; dieser sei erst anwesend in Leiden und Schwachheit, er „ereigne“ sich erst als Gott in den Beziehungen in der Gemeinde. Die (nicht unfehlbare) Bibel sei auch nicht wesenhaft Gottes Wort, sondern müsse sich beim Leser als solches ereignen. Nachfolge ist bei B. nicht Folge, sondern Voraussetzung für die Gnade. So erscheinen dann die betr. Stellen von Galater und Jakobus fälschlich als Widerspruch, statt als Ergänzung in richtiger Reihenfolge. (hilfreiche Handreichung von zeltmacher.eu: https://goo.gl/eRnKJZ )
Submitted by Hauke Burgarth on 27. Juli 2018 - 14:44.
In den Konsequenzen bin ich nicht ganz bei Ihnen, aber ja: Bonhoeffer ist ein „moderner“ Theologe. Allerdings einer, der nur schlecht in die gängigen Schubladen passt. Sein Versuch, persönliche Frömmigkeit mit gemeindlichem Leben und universitärer Theologie unter einen Hut zu bringen, muss geradezu Brüche erzeugen und Kritik hervorrufen. Trotzdem halte ich ihn für eine wertvolle Stimme, die bis heute gute Impulse setzt – ohne dass man jedem seiner Gedanken direkt folgen müsste. Und dies gilt besonders, weil sich Bonhoeffer mit seinen Akzenten bewusst "zwischen die Stühle" setzt und damit den Frommen zu liberal und den Liberalen zu fromm wird.
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