Wenn wir uns mit dem Leben eines Menschen befassen, der vor fast 2000
Jahren gelebt hat, erhebt sich die Frage, wie genau wir wissen können,
was er gesagt und getan hat oder, eine noch grundlegendere Frage: Wie
erfahren wir überhaupt etwas über seine Vergangenheit?
«Würde Jesus heute auf die Welt kommen, so würde er nicht einmal gekreuzigt werden. Man würde ihn zum Essen einladen, hören, was er zu sagen hat und sich darüber lustig machen.»
Thomas Carlyle
Die vier Evangelien
Unsere Hauptquellen, auf die sich unser Wissen über Jesus stützt, sind die vier Evangelien. Es sind vier je gesondert geschriebene Berichte, die die verschiedenen Geschichten der «Frohen Botschaft» enthalten. Warum brauchen wir gleich vier gesonderte Lebensberichte Jesu, wo doch sicherlich einer ausreichen würde?
Der Vorteil der vier Evangelien besteht darin, dass sie uns das Leben Jesu aus vier verschiedenen Blickrichtungen zeigen. Um sich ein objektives Bild machen zu können, muss man heutzutage zum Beispiel bei jeder Unfalluntersuchung die verschiedenen Standpunkte aller Zeugen sammeln. Diese Zeugenaussagen werden verchiedene Einzelheiten je anders gewichten, und doch berichten sie alle das gleiche Ereignis. Es ergibt sich aus ihnen das Gesamtbild. So geben uns auch die Evangelien einen umfassend-lebendigen Bericht über Jesu Worte und Taten und seinen Charakter.
Das Anliegen der Verfasser der Evangelien
Matthäus, Markus und Lukas werden die «Synoptiker» genannt, weil sie die Ereignisse unter ähnlichem Blickwinkel darstellen. Markus verfasste als erster sein Evangelium und stützte sich vermutlich auf die Informationen des Apostels Petrus; er schreibt lebendig und bewegt. Matthäus zeigt, wie Jesus alttestamentliche Prophezeiungen erfüllt; Lukas geht auf Fragen und Zweifel derer ein, die ernsthaft an Jesus interessiert sind. Anders Johannes: er will die tiefere Bedeutung des Kommens von Jesus Christus nachweisen.
Obwohl jeder Verfasser die Ereignisse auf seine Weise wiedergibt, haben alle ein gemeinsames Grundanliegen. Johannes beschreibt sein Anliegen mit folgenden Worten: «Noch viele andere Zeichen, die in diesem Buch geschrieben sind, hat Jesus vor den Augen seiner Jünger getan. Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.»
Auch nichtchristliche Schriftsteller äusserten sich
Geburt, Leben und Tod des Gründers einer für damalige Verhältnisse unbedeutenden jüdischen Sekte war für die Historiker und Schriftsteller des Römischen Reiches nicht besonders interessant. Trotzdem wird Jesus von einigen Autoren jener Zeit erwähnt, und zwei aus den ersten hundert Jahren nach Christi Geburt sind von besonderem Interesse.
Josephus war ein jüdischer Geschichtsschreiber, der in römische Dienste trat. Der Ausbreitung des christlichen Glaubens stand er eher feindlich gegenüber. Aber in seinem Werk «Die jüdischen Altertümer» schreibt er über Jesus: In dieser Zeit gab es einen weisen Mann, der Jesus hiess. Viele von den Juden wie auch von anderen Völkern wurden seine Anhänger. Pilatus verurteilte ihn zum Tode am Kreuz. Diejenigen, die seine Jünger geworden waren, blieben ihm treu; sie berichteten, dass er ihnen drei Tage nach seiner Kreuzigung lebendig erschienen sei.
Hier ist also ein nichtchristlicher Schriftsteller, der mitteilt, dass Jesus existierte, Gutes tat, Anhänger hatte, litt, starb und Berichten zufolge lebte. Obwohl Josephus sicher keine christlichen Interessen verfolgte, stimmt sein Bericht im wesentlichen mit den vier Evangelien überein.
Tacitus Tacitus, mit der Tochter des Statthalters von Britannien verheiratet, war römischer Geschichtsschreiber. In einer seiner Schriften erwähnt er die Hinrichtung Jesu auf Befehl des Pontius Pilatus. Im Jahre 115 n.Chr. berichtet er von Todesurteilen über Christen in Rom, die der römische Kaiser Nero gefällt hatte. Sein Bericht lautet: Mit den ausgesuchtesten Grausamkeiten bestrafte Nero eine Gruppe von Menschen, die allgemein Christen genannt werden und wegen ihrer Untaten verhasst sind. Christus, nach dem sie sich nennen, wurde von Pontius Pilatus, dem Statthalter unter der Regierung des Tiberius, zum Tode verurteilt.
Unser Wissen über Jesus
So sind wir imstande, durch die schriftlichen Dokumente der ersten Christen und zumindest zweier nichtchristlicher Autoren etwas über das Leben Jesu und seine Botschaft zu erfahren. Dieses Wissen über Jesus ist alles andere als zweifelhaft oder unsicher. Das kritische Studium der Evangelien hat gezeigt, dass sie einen zuverlässigen Kern historischer Information über Jesus enthalten, auch wenn nicht jedes einzelne Detail auf seine Echtheit hin überprüft werden kann.