Konstruktive Streitkultur

Über die Faust im Sack und die beleidigte Leberwurst

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Schmollen oder hinter dem Rücken über eine Personen reden war noch nie hilfreich, um einen Konflikt zu klären. Doch wie kann gerade auch in christlichen Gemeinschaften eine gute Streitkultur gepflegt werden? Christoph Ammann, Leiter des Bereichs Gemeindeentwicklung bei der FEG Schweiz, hat fürs Magazin «feg.ch» ein paar Tipps zusammengestellt.

Es war einmal eine Gemeinde. Jeden Sonntag trafen sich scheinbar erlöste Menschen. Andere blieben zu Hause. Alle lächelten. Die einen mehr, die anderen weniger gezwungen. Man schüttelte sich keine Hände, nicht nur wegen Corona. Nein, mit der Faust im Sack ist das schwierig. Einige redeten, die anderen hintenherum. Einige gingen aufeinander zu, die meisten aufeinander los. In der Gemeinde wurde es immer enger. Nicht wegen der vielen Leute. Wegen der fehlenden Finanzen. Und wenn sie nicht gestorben ist, dann haben sie etwas geändert.

Rücksichtsvoll streiten ist möglich

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Christoph Ammann / Bild: zvg
Märchen haben einen Funken Wahrheit. Sie erzählen vom Leben mit all seinen Erfahrungen und Gefahren. Viele Konflikte in Gemeinden schwellen, weil Menschen die Faust im Sack oder auf beleidigte Leberwurst machen. Oft fehlt eine gesunde Streitkultur. Klar, einige können besser argumentieren als andere. Wenn man jedoch rücksichtsvoll «streitet» und sich an einige Regeln hält, dient das dem Guten. Nur «lieb» sein miteinander ist nicht zielführend. Seine Meinung artikulieren, in einen guten Disput gehen, Verständnis für Entscheidungen aufbringen, eigene Meinungen hinterfragen und Gemeinsamkeiten finden, sind hilfreich. Es wird weiter in der Gemeinde, Räume öffnen sich – im Herzen – und auch für Aussenstehende.

Viele halten es für Schicksal, ob ein Disput, ein Streit eskaliert. Dabei kennt die Forschung Verhaltensweisen, die jedes Gespräch besser machen. Ich möchte Ihnen einige Regeln für gute Debatten und eine gute Streitkultur in Ihrer Gemeinde mitgeben.

Streit braucht Raum, Zeit und Regeln

Streit überall zuzulassen, ist nicht sinnvoll. Oft sind die Bedingungen nicht ideal. Gut ist es, einen neutralen Ort zu suchen, an dem keiner das «Heimrecht» hat. Dadurch ist es leichter, neutral und offen zu sein. Wenn ich unter Druck stehe, kann ich nicht gut streiten. Guter Streit braucht Zeit, ein gewisses Mass an Ruhe und Regeln, an die sich alle halten. Wenn das nicht gegeben ist, sollte der Streit vertagt oder durch eine gute Moderation begrenzt werden.

Streit braucht Haltung

Gut streiten kann sich nur, wer ohne Ego streitet. Wenn es mir um mich selbst geht (ich muss gewinnen, um besser dazustehen), streite ich anders, als wenn es mir um die Sache geht. Ich sollte meine Motive hinterfragen. Hilfreich ist auch hier eine neutrale Person, die im Zweifelsfall fragt: «Geht es dir um die Sache oder um dich?»

Streit braucht eine achtsame Sprache

Ein achtsamer Sprachgebrauch macht es viel einfacher, konstruktiv zu streiten. Rede ich gerade über eine Sache oder geht es mir um die Beziehung zu einer anderen Person? Falls die Beziehung berührt ist, soll das ausgesprochen werden. Es ist nicht zielführend, über eine Sache zu streiten, obwohl ich ein Vertrauensproblem mit dem Gesprächspartner habe.

Versuchen, wirklich zu verstehen

Hören Sie Ihrem Gegenüber zu und versuchen Sie zu verstehen, worum es ihm im Kern der Sache geht. Fassen Sie zusammen, was bei Ihnen angekommen ist. Hören Sie aktiv zu!

Beim Thema bleiben

Menschen neigen in Diskussionen dazu, an entscheidenden Stellen abrupt das Thema zu wechseln oder verschiedene Meinungen zu äussern. Das führt dazu, dass Streitpunkte aus dem Blickfeld geraten, bevor man ihnen auf den Grund gegangen ist. Machen Sie das Parolenspringen nicht mit. Haken Sie nach: «Das scheint mir ein neuer Punkt zu sein. Erkläre mir vorerst, was du gemeint hast mit…»

Viele offene Fragen stellen

Signalisieren Sie Ihrem Gegenüber den aufrichtigen Wunsch, seine Position zu verstehen, und schaffen Sie auf der Sach- und der Beziehungsebene eine gute Grundlage für die weitere Diskussion. Die wichtigste Frage für einen guten Disput ist: «Warum glaubst du, dass…?»

Gemeinsamkeiten finden

Machen Sie deutlich, wo Sie mit Ihrem Gegenüber übereinstimmen. Finden Sie heraus, wo Ihre Auffassungen auseinandergehen. Wahrscheinlich liegen Ihre Positionen weniger weit entfernt, als Sie ursprünglich dachten.

Gegenüber nicht belehren

Wer belehrt, demonstriert höhere Erkenntnis und ruft beim Gegenüber Abwehr hervor. Vermeiden Sie es, zu moralisieren. Fragen Sie besser nach und stellen Sie persönliche Bezüge her: «Ist dir schon mal widerfahren, dass…?»

Den eigenen Standpunkt begründen

Ihre Meinung ist wichtig. Um miteinander ins Gespräch zu kommen, ist es entscheidend, warum Sie diese Meinung haben. Begründen Sie Ihren Standpunkt und laden Sie Ihr Gegenüber ein, das Gleiche zu tun.

Wohlwollend interpretieren

Stürzen Sie sich nicht auf die offensichtlichen Schwächen der Argumente Ihres Streitpartners. Versuchen Sie, jedes Argument im bestmöglichen Sinn zu interpretieren, auch dann, wenn Ihr Gegenüber nicht in der Lage ist, das Argument in Perfektion auszuführen. In der Argumentationslehre nennt man diesen Grundsatz «Prinzip des Wohlwollens».

Sachliche Kritik üben

Korrigieren Sie falsche Informationen. Decken Sie voreilige Schlüsse und Pauschalisierungen auf. Weisen Sie auf lückenhafte oder widersprüchliche Stellen in der Argumentation hin. Gehen Sie mit Kritik sparsam um und vermeiden Sie, wenn möglich, offene Konfrontation.

Deeskalieren

Beim Streiten kochen häufig Emotionen hoch. Achten Sie darauf, dass Ihr Gegenüber das Gesicht nicht verliert, wenn Sie Kritik üben. Bringen Sie gelegentlich etwas Witz oder Ironie ein und sprechen Sie Ihre Gefühle und die des Gegenübers an. Wichtig ist in jedem Fall: ruhig bleiben!

Die Perspektive wechseln

Oft scheitern Diskussionen nicht an unterschiedlichen Meinungen, sondern an entgegengesetzten Wertvorstellungen. Da ist es hilfreich, die Perspektive des Gegenübers einzunehmen und zu überlegen, wie Sie argumentieren können, wenn Sie sich die Wertvorstellungen Ihres Gegenübers zugrunde legen. Im wissenschaftlichen Diskurs nennt man dieses Vorgehen «reframing». Wichtig ist dabei, authentisch zu bleiben und die eigenen Grenzen und insbesondere die christlichen Werte nicht zu verleugnen.

Und zum Schluss noch dies

«Vergeltet anderen Menschen nicht Böses mit Bösem, sondern bemüht euch allen gegenüber um das Gute. Tragt euren Teil dazu bei, mit anderen in Frieden zu leben, soweit es möglich ist!» (Römer Kapitel 12, Vers 17)

Ich ermutige Sie, Römer Kapitel 12 die Verse 9 bis 21 zu lesen und wünsche Ihnen «guten Streit», der Frieden schafft!

Zum Thema:
Spannungsfelder in Gemeinden : Umgang mit Konflikten
Spannungsfelder in Gemeinden: Eine (un)gesunde Kritikkultur
Spannungsfelder in Gemeinden: Verschiedene Weltanschauungen und Überzeugungen

Datum: 27.12.2020
Autor: Christoph Ammann
Quelle: feg.ch

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