Die
meisten arbeiten, um Geld zu verdienen. Doch das darf nach Meinung vieler
Christen nicht alles sein. Denn Arbeit ist viel mehr als ein Drittel unseres
Tagesinhalts: Sie ist sinnstiftend und erfüllend. Sie ist eine Berufung Gottes
und sollte dementsprechend mit vollem Einsatz geschehen. Natürlich ohne dabei
die Work-Life-Balance zu beeinträchtigen… Lässt sich diese Spannung irgendwie
auflösen?
Wer über das Thema Arbeit redet, stellt die ersten
Weichen bereits mit der Wortwahl. Rede ich von Arbeit und betone die Tätigkeit,
vom Job und unterstreiche die Kurzfristigkeit, von der Erwerbstätigkeit und
denke an das finanzielle Ergebnis? Oder benutze ich die geniale Wortschöpfung
Luthers, der die Berufung des Menschen auf seine Arbeit hin ausdehnte und diese
kurzerhand «Beruf» nannte?
Auch wenn der grosse Reformator damit eine
naheliegende Verbindung zwischen Berufung und Beruf sieht, ist es wichtig zu erkennen, dass auch signifikante Unterschiede bestehen. Die christliche Sehnsucht nach
einer ganzheitlichen Berufung, die ein glücklich-zufriedenes Berufsleben mit
einschliesst, kann unsere Einstellung zur Arbeit auch fromm überfrachten. Trotz
allem hängen Arbeit und Sinnfrage heute für viele eng zusammen.
Und
Arbeit stiftet doch Sinn
Natürlich arbeitet man, um Geld zu verdienen. Aber
wenn das alles wäre, dann gäbe es in unseren Breiten nicht so viele
Enttäuschte, Frustrierte und Ausgebrannte. Denn jeder Mensch möchte dem, was er
immer wieder tut, einen Sinn geben oder einen Sinn darin finden. Auch der
Arbeit. So titelt ein aktueller Artikel in ZEIT online zu recht: «Arbeit ohne Sinn macht krank». Der darin zitierte Fehlzeiten-Report
2018 zeigt Zusammenhänge zwischen häufigen Krankheitsursachen und der Situation
am Arbeitsplatz auf.
Mehr noch: Er zeigt, dass 93 Prozent aller Beschäftigten
das Gefühl brauchen, etwas Sinnvolles zu tun und 92,7 Prozent etwas
Interessantes arbeiten möchten. Ein hohes Einkommen erwarten dagegen nur 60,6
Prozent. «Je höher die Sinnhaftigkeit ist, desto niedriger sind die Fehlzeiten»,
erklärt der Bielefelder Gesundheitswissenschaftler Bernhard Badura die
Ergebnisse der Studie. Sinnhaftigkeit meint hierbei übrigens nicht (nur)
Weltverbesserung, sondern durchaus auch das Gefühl, am richtigen Platz zu sein
und Wertschätzung für die eigene Arbeit zu erhalten.
Wahres
Leben – auch jenseits vom Urlaub
Wer von Arbeit redet, der kann den Urlaub nicht
weglassen. Gerade ist sie für viele Menschen wieder vorbei, die sogenannte
«schönste Zeit des Jahres». Und genau hier setzt die Frage nach Sinn und
Berufung an. Denn wer 200 Tage im Jahr mehr oder weniger perspektivlos vor sich
hinarbeitet, um dann in 22 Urlaubstagen das pralle Leben zu erfahren, der muss
fast zwangsläufig enttäuscht werden. Da kann es sehr hilfreich sein, wenn man
als Christ auch die Arbeit als Berufung sieht. Wobei die Betonung hier auf
«auch» liegt, denn sonst gerät man schnell aus einer Schieflage in die nächste.
Vorsicht
vor der sogenannten christlichen Arbeitsethik
Besonders durch den Calvinismus hat sich ein Verständnis von «Arbeit statt Spass» und eine erhebliche
Leistungserwartung an christliche Arbeiter und Angestellte entwickelt. Nun ist
Fleiss an sich nicht verkehrt, doch wer (im calvinistischen Sinne) versucht,
durch seinen Arbeitseinsatz zu klären, ob er auserwähltes Kind Gottes ist oder
nicht, und wer Einsatz und Erfolg mit Gottes Segen gleichsetzt, der entwickelt
leicht ein sehr verkrampftes Verhältnis zu Beruf und Berufung.
Aber was ist mit der «Protestantismusthese» des
deutschen Soziologen Max Weber? Gerade Deutschland und die Schweiz sollen
danach erheblich davon profitiert haben, dass wirtschaftlicher Erfolg in den
Fokus rückte, Zeitvergeudung zur Sünde und Arbeit zum gottgegebenen Selbstzweck
des Lebens erklärt wurden. Diese protestantische Ethik hat zwar tatsächlich
positive Auswirkungen gehabt, ist aber dadurch nicht automatisch allgemein
gültig. Tatsächlich ist sie ein Kind ihrer Zeit und hat neben guten auch ihre
schlechten Seiten.
Umfragen
zeigen: Dienst nach Vorschrift ist gut!
Hier bietet eine Gallup-Umfrage interessante
Erkenntnisse an, nach der 71 Prozent der deutschen Arbeitnehmer nur «Dienst
nach Vorschrift» machten. ZEIT online
interviewte dazu den Arbeitssoziologen Falk Eckert. Dieser sieht in der Pflichterfüllung
auf der einen Seite und den klaren Grenzen zwischen Privatem und Arbeit auf der
anderen Seite kein Problem: «In diesem Sinn ist Dienst nach Vorschrift sogar
gesund». Sein Ansatz entzaubert auch den vergleichsweise jungen Denkansatz,
dass Arbeit immer sinnstiftend und emotional befriedigend sein muss. Während
ein Arbeiter früher eher «Routinetätigkeit in Hitze und Dreck» ausübte, werden
«unsere Biografien… heute immer mehr um die Arbeit herum organisiert, wir
definieren uns viel mehr durch sie». Eckert holt mit vielen seiner Gedanken die
Emotionen aus der Arbeitswelt heraus. Er hinterfragt ihre Überfrachtung mit
Sinnfragen. Er zeigt scheinbare Arbeitsethik auch als ein Instrument zur
Ausbeutung. Gleichzeitig bricht er eine Lanze für eine Grundzufriedenheit beim
Arbeiten, denn «auf lange Sicht kann das krank machen, wenn jeder Arbeitstag
aus Erleiden, Ertragen und Erdulden besteht».
Beruf
und Berufung
Beruf und Berufung scheinen vielfach im Alltag
zusammenzuhängen. Aber manchmal stehen sie sich geradezu diametral entgegen.
Arbeit kann ein wichtiger Faktor sein, etwas Sinnvolles zu tun. Aber wer die
Sinnfrage aufs Arbeitsleben verschiebt, wird einseitig: Feiern, Beten, Pausen und
Freunde gehören genauso dazu. Auflösen lässt sich diese Spannung kaum, sie
gewinnt allerdings eine positive Dynamik, wenn wir ähnlich wie Salomo im 2. Kapitel des Predigerbuchs
feststellen, dass es nie einzelne Elemente sind, die uns Erfüllung bringen,
sondern stets ihre Gesamtheit. Und dass es segensreich ist, wenn wir sie im
Alltag immer wieder auf Gott beziehen.
Datum:
16.09.2018 Autor: Hauke Burgarth Quelle: Livenet / ZEIT online
Kommentare
Submitted by Manaslu on 17. September 2018 - 12:15.
Work-Life-Balance steht am Anfang des Textes. Diesen Begriff kann ich schon lange nicht mehr hören/lesen und sollte dringend durch eine passendere Bezeichnunge ersetzt werden. Work ist ja gerade auch ein Teil unseres Lebens, wie im Beitrag oben geschrieben. Leider kam mir bis jetzt auch noch nicht "der" Begriff in den Sinn, der für unser Arbeits- und Freizeitleben stehen könnte. Wer hat eine Idee?
Submitted by florianwuethrich on 17. September 2018 - 12:24.
Submitted by Manaslu on 17. September 2018 - 20:07.
Danke für diese Antwort. "Life-Balance", das muss ich mir merken, tönt gut und passend.
Submitted by Bready on 17. September 2018 - 11:21.
Generell und christlich-neutral gesagt, gehört's zur gottgegebenen Würde d. Menschen, dass er etwas i.d./für die Welt beitragen kann.
Aus der Schöpfungsperspektive + aus eschatologischer Sicht ist Arbeit nämlich ein Teil d. Berufung d. Menschen (nebst Gott loben, feiern). Aus ebendieser Sicht ist Arbeit auch nicht Mittel zur Versorgung, sondern schlicht ein Teilhaben an Gottes kreativem Prozess in + mit d. Welt. Denn es gilt übergeordnet: Gott versorgt (mit Arbeit + dem, was wir zum Leben brauchen) + nicht wir uns selbst.
Ausserdem gibt d. Teilhaben an Gottes Arbeit unserem Tun Ewigkeitswert, sofern unsere Arbeit Gottes Absichten entspricht. Faszinierend + schön! PTL!!! Bitte weiter
Der ehemalige BBC-Frühstücksmoderator Dan Walker hat kürzlich in einem Interview mit der britischen Zeitung «The Guardian» über die Bedeutung seines...
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