Heimat. Das Wort war viele Jahre lang out. Doch inzwischen gibt es in der Politik wieder Heimatministerien und allerorten wird die Heimat hochgehalten. Manchmal aus Überzeugung, manchmal zur Abgrenzung. Bleibt die Frage: Was ist Heimat überhaupt? Und was ist sie aus christlicher Sicht – wenn es so etwas dazu gibt?
Wikipedia behauptet, dass Heimat «zumeist auf eine Beziehung zwischen Mensch und Raum» verweist. Doch das ist nur eine halbe Wahrheit, denn Heimat ist viel mehr ein Gefühl als ein definierter Ort.
Heimat als Suche
Wer nach längerer Abwesenheit wieder in die Strasse zurückkommt, in der er lange gelebt hat, fühlt sich vielleicht im ersten Moment daheim. Doch egal, wie intensiv der erste Eindruck ist: Er bleibt nicht. Eigentlich entsteht das Gefühl von Heimat erst durch seine Abwesenheit. Dadurch, dass man weit von zu Hause entfernt ist. Dadurch, dass man heimkommt und plötzlich alles verändert vorfindet. Denn wenn wir «Heimat» sagen, meinen wir meistens die Sehnsucht danach, das Heimweh.
Psychologen vergleichen dies mit dem Verlust der «ersten Heimat». In irgendeiner Form sehnen wir uns alle nach der Geborgenheit im Mutterschoss zurück. Dieser Wunsch ist völlig legitim – gleichzeitig ist er unerfüllbar, eine Illusion. Der Österreicher Theologe Rainer Bucher meint in seinem lesenswerten Beitrag in «Publik-Forum» dazu: «Problematisch wird es erst – wie bei allen Sehnsüchten –, wenn man meint, man hätte ein Recht darauf, dass sie sich erfüllen.»
Heimat und Angst
Warum erlebt der Begriff der Heimat aber gerade eine solche Renaissance? «Wir leben in Zeiten, in denen die Vergangenheit nur noch sehr bedingt brauchbar, die Gegenwart offenkundig unüberschaubar und die Zukunft ziemlich unplanbar geworden ist», meint Bucher dazu. In dieser Ungewissheit entwickelt sich schnell ein tragendes Gefühl des neuen Heimatverständnisses: Angst. Der Soziologe Heinz Bude meint, dass «standardisierte Erwartungen auf nichtstandardisierte Wirklichkeiten treffen». Die Folge kann ein Rückzug ins Wir-Gefühl sein, das sich gegen «die da» abgrenzt. Bei diesem Heimatbegriff geht es nicht mehr um die Verwurzelung in einer Region, um einen gemeinsamen Dialekt oder Brauchtum, sondern um Angst vor Überfremdung, Identitäts- und Kulturverlust.
Heimat und Spannung
Religion bietet hier keinen Kitsch- und Kuschelclub. Vielmehr zeigt sie uns unsere eigene Heimatlosigkeit. Anders als gesellschaftliche Ängste, lässt sie uns aber nicht allein damit. Denn in ihrem Zentrum geht es um Jesus Christus und seine Botschaft vom Reich Gottes – dem Heimatangebot Gottes. Typisch dafür ist die Spannung aus «schon erfahrbar» und «noch nicht vollständig».
Dies gilt zeitlich: Gottes Reich ist laut Jesus sowohl «mitten unter euch» (Lukas, Kapitel 17, Vers 21) als auch «nahe» (Lukas, Kapitel 21, Vers 31), aber eben noch nicht da. Diese Spannung macht den christlichen Glauben aus. Wer das Reich Gottes jetzt auf eine rein diesseitige oder eine rein jenseitige Heimat verkürzt, verliert hier die Balance.
Dies gilt auch sozial: Die Botschaft von Jesus gilt nämlich einerseits für jeden Einzelnen persönlich, andererseits betrifft sie die gesamte Gesellschaft.
Dies gilt schliesslich auch erlösend: Unsere geistliche Heimat erleben Christen als Geschenk Gottes. Gleichzeitig ist immer wieder unsere Mitwirkung gefragt. So findet selbst die für den christlichen Glauben zentrale Erlösung in einer Spannung statt, die Heil schon jetzt erfahrbar macht und vollständige Heilung auf später verschiebt.
Heimat kann aus christlicher Sicht nur paradox sein, sie findet immer in den beschriebenen Spannungen statt, die, so Bucher, «nicht aufgelöst, nur gelebt werden können».
Heimat und Ewigkeit
«Ich bin ja nur ein Gast auf Erden…» fasst ein bekannter Gospelsong die oben beschriebenen Spannungen zusammen. Als Christen sind wir tatsächlich immer wieder Bürger zweier Welten – und probieren, die Balance dazwischen zu finden. Rainer Bucher schliesst seinen Beitrag in «Publik-Forum» mit der Feststellung: «Wie also ‚Heimat’ leben? Eigentlich ist es einfach: Indem man sich geschenkter Heimaterfahrungen erfreut, unvermeidliche Heimatlosigkeit erträgt und an Beheimatung, also der kreativen Gestaltung von Unterschieden, arbeitet: an der eigenen Beheimatung wie an jener der anderen. Und dabei nie das Wort des Kirchenlehrers Augustin vergisst: ‚Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.’»
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