Mitmenschliche Wärme kostet nicht viel und trägt doch erheblich zu unserem Wohlbefinden bei. Aber Freundlichkeit kann auch unecht wirken, wenn eine Angst oder ein Mangel in einem steckt. Stets ist auch wichtig, für abwesende Personen ein freundliches Wort einzulegen. Ein Ratgeber von Kerstin Hack.
Die S-Bahn hatte ich gerade
noch geschafft. Erst als ich sass, merkte ich, dass ich vergessen hatte, mein
Ticket abzustempeln. An der nächsten Station sprang ich kurz raus. Weit und
breit war kein Automat zum Abstempeln. Der Automat an der übernächsten Station war
zu weit weg, um ihn schnell zu erreichen. Der an der überübernächsten kaputt.
An der vierten Station war
es so überfüllt, dass ich nicht zur Maschine durchkam. Ich gab auf. Und geriet
in eine Fahrgast-Kontrolle. So ein Pech! Aber der Mitarbeiter erklärte mir, was
ich tun könnte, um mit einer möglichst geringen Strafe davon zu kommen und
behandelte mich so freundlich, dass mir die ganze Sache fast nichts mehr
ausmachte.
Kleinigkeiten sind viel wert
Mitmenschliche Wärme kostet
nicht viel und trägt doch erheblich zu unserem Wohlbefinden bei. Ein Lächeln
kostet nur einen Moment unserer Zeit und ein bisschen Muskelkraft. Ein
individueller Gruss unter einer E-Mail dauert nur einige Sekunden länger als das
Kürzel «Mit freundlichen Grüssen» zu schreiben. Eine kleine Aufmerksamkeit
kostet ebenfalls nicht viel, kann aber einem anderen viel bedeuten.
Bevor ich heute anfing zu
schreiben, habe ich im Garten eine Blume gepflückt und meiner Praktikantin an
den Arbeitsplatz gestellt und gesagt: «Wer hart arbeitet, darf auch Schönes um
sich haben!» Sie hat über das ganze Gesicht gestrahlt.
Die ganze Atmosphäre ändert
sich, wenn Menschen warm und liebevoll miteinander umgehen. Ein befreundeter
Geschäftsmann und sein kleines Team belegten miteinander einen Kurs in
Entspannungsmassage. Wenn jetzt einer im Büro gestresst ist, massiert ein
anderer ihn kurz. Das tut allen und dem Betriebsklima gut.
Echte Freundlichkeit beruht
darauf, dass man den anderen im Blick hat. Man überlegt: Was könnte ihm jetzt
gut tun? Ein freundliches Wort? Ein Stück Schokolade? Eine Umarmung? Und das
schenkt man ihm dann – ganz freiwillig.
Unechte Freundlichkeit?
Unechte Freundlichkeit liegt
in Angst begründet. Man beschenkt andere nicht aus freien Stücken und dem
Reichtum des eigenen Lebens, sondern weil man in sich selbst Mangel spürt und
im Gegenzug etwas von dem anderen erwartet. Darunter liegt oft Angst. Etwa die
Angst, man könnte nicht akzeptiert oder gemocht werden. Also ist man
superfreundlich.
Manche Menschen sind auch
nur aus Pflichtgefühl freundlich. Sie denken, sie müssten sich grosszügig verhalten,
aber sie tun es nicht von Herzen. Auch das ist letztlich Angst. Angst vor dem
eigenen inneren Kritiker, den verinnerlichten Stimmen der Autoritätspersonen,
die sagten: «Wenn du das nicht tust, bist du kein gutes Kind.»
Menschen haben feine
Antennen. Sie spüren, ob jemand wirklich freundlich ist oder nur so tut. Wenn
Sie spüren, dass Ihre Freundlichkeit manchmal nicht von Herzen kommt, kann es
hilfreich sein, dem auf die Spur zu kommen. Sie können sich fragen, was
Ihnen Angst macht und Ihnen den entspannten Blick auf den anderen verstellt.
Freundlich zu Abwesenden
Und nicht zuletzt trägt es
zu einer warmen Atmosphäre bei, dass man auch zu Menschen, die abwesend sind,
freundlich ist. Das bedeutet, Dinge direkt mit ihnen zu klären, nicht in ihrer
Abwesenheit negativ über sie zu sprechen.
Mich beeindruckt mein
Kieferorthopäde. Er ist Spezialist für Patienten, deren Kiefer nicht mehr
richtig funktioniert – häufig, weil andere Zahnärzte grobe Behandlungsfehler
gemacht haben, unter denen die Patienten leiden. Er erwähnt fachliche Fehler,
spricht jedoch nie negativ über seine Kollegen, sondern nimmt sie in Schutz: «Damals wusste man das noch nicht besser!» oder «Nicht jeder hat das Fachwissen über
Kieferfunktionalität!» Die Art, wie er in ihrer Abwesenheit über andere
spricht, trägt dazu bei, dass ich ihm vertraue!
Falls andere negativ über
abwesende Menschen sprechen, kann man sie mutig und freundlich darauf
hinweisen: «Fällt dir auf, dass du nur Negatives über diese Person sagst? Gibt
es auch Dinge an ihr, die du schätzt?»
Das gilt übrigens auch fürs
Reden über das Leben. Wenn jemand nur über sein Leben oder das Leben
schlechthin klagt, kann man ihn ebenfalls darauf aufmerksam machen – und darum
bitten, auch andere Aspekte zu erwähnen. Natürlich freundlich. Das tut allen
gut.
Praxistipps
Kleinigkeiten: Machen Sie heute jemandem durch
eine kleine Aufmerksamkeit eine Freude.
Üben: Wenn jemand über das Leben
oder andere Menschen klagt, sagen Sie freundlich zu ihm: «Ist dir aufgefallen, dass
du nur Negatives sagst? Ich würde gern auch etwas Positives dazu hören.»
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